Im Schein des Mondlichts – die Haṭhapradīpikā

Vorweg einige einleitende Gedanken zur Serie Āgama und zum Ursprung der Haṭhapradīpikā – der Leuchte des Haṭha-Yoga.

Das Sanskritwort Āgama bezeichnet Bezugssysteme, die hilfreich sind, um etwas besser zu verstehen. Für das Verständnis von Yoga ist dieses Bezugssystem eine vielfältige und alte Tradition, die vorwiegend im lebendigen Unterrichten lebt, und sich durch mündliche Weitergabe auch in niedergeschriebenen Texten ausdrückt. In der Serie Āgama werden Texte vorgestellt, die für Yoga Übende von Interesse sind und damit etwas Appetit auf das Studium dieser Texte machen.

Heute ist die Haṭhapradīpikā besser bekannt unter dem Namen Haṭha Yoga Pradīpikā. Sie wurde zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert von einem Yogi namens Svātmārāma Yogendra verfasst. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde der Text, wie es in der indischen Tradition üblich ist, von einem Yogi namens Bramhānanda kommentiert. Diesen Kommentar nannte er selbst das Mondlicht (jyotsnā) der Haṭhapradīpikā.

In diesem Artikel wird versucht, das Konzept von Āsanas, so wie es in der Haṭhapradīpikā verstanden wird, deutlicher zu machen. Dazu wird nicht nur auf Quellenmaterial zur Haṭhapradīpikā selbst zurückgegriffen, sondern auch auf einen Kommentar zu diesem Text, den der Yogi Brahmānanda im 18. Jahrhundert verfasst hat.

Im Schein des Mondlichts – die Haṭhapradīpikā

Vorweg einige einleitende Gedanken zur Serie Āgama und zum Ursprung der Haṭhapradīpikā – der Leuchte des Haṭha-Yoga.

Das Sanskritwort Āgama bezeichnet Bezugssysteme, die hilfreich sind, um etwas besser zu verstehen. Für das Verständnis von Yoga ist dieses Bezugssystem eine vielfältige und alte Tradition, die vorwiegend im lebendigen Unterrichten lebt, und sich durch mündliche Weitergabe auch in niedergeschriebenen Texten ausdrückt. In der Serie Āgama werden Texte vorgestellt, die für Yoga Übende von Interesse sind und damit etwas Appetit auf das Studium dieser Texte machen.

Heute ist die Haṭhapradīpikā besser bekannt unter dem Namen Haṭha Yoga Pradīpikā. Sie wurde zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert von einem Yogi namens Svātmārāma Yogendra verfasst. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde der Text, wie es in der indischen Tradition üblich ist, von einem Yogi namens Bramhānanda kommentiert. Diesen Kommentar nannte er selbst das Mondlicht (jyotsnā) der Haṭhapradīpikā.

In diesem Artikel wird versucht, das Konzept von Āsanas, so wie es in der Haṭhapradīpikā verstanden wird, deutlicher zu machen. Dazu wird nicht nur auf Quellenmaterial zur Haṭhapradīpikā selbst zurückgegriffen, sondern auch auf einen Kommentar zu diesem Text, den der Yogi Brahmānanda im 18. Jahrhundert verfasst hat.

Im Schein des Mondlichts – die Haṭhapradīpikā

Vorweg einige einleitende Gedanken zur Serie Āgama und zum Ursprung der Haṭhapradīpikā – der Leuchte des Haṭha-Yoga.

Das Sanskritwort Āgama bezeichnet Bezugssysteme, die hilfreich sind, um etwas besser zu verstehen. Für das Verständnis von Yoga ist dieses Bezugssystem eine vielfältige und alte Tradition, die vorwiegend im lebendigen Unterrichten lebt, und sich durch mündliche Weitergabe auch in niedergeschriebenen Texten ausdrückt. In der Serie Āgama werden Texte vorgestellt, die für Yoga Übende von Interesse sind und damit etwas Appetit auf das Studium dieser Texte machen.

Heute ist die Haṭhapradīpikā besser bekannt unter dem Namen Haṭha Yoga Pradīpikā. Sie wurde zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert von einem Yogi namens Svātmārāma Yogendra verfasst. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde der Text, wie es in der indischen Tradition üblich ist, von einem Yogi namens Bramhānanda kommentiert. Diesen Kommentar nannte er selbst das Mondlicht (jyotsnā) der Haṭhapradīpikā.

In diesem Artikel wird versucht, das Konzept von Āsanas, so wie es in der Haṭhapradīpikā verstanden wird, deutlicher zu machen. Dazu wird nicht nur auf Quellenmaterial zur Haṭhapradīpikā selbst zurückgegriffen, sondern auch auf einen Kommentar zu diesem Text, den der Yogi Brahmānanda im 18. Jahrhundert verfasst hat.

Āsanas stammen aus verschiedenen Yogatraditionen

Die Haṭhapradīpikā war in Indien weitverbreitet, davon zeugt eine überaus große Anzahl an Handschriften, die über den ganzen Subkontinent verteilt erhalten sind. So wurde sie dann auch schon 1893 im Auftrag der Theosophischen Adyar Bibliothek von dem Gelehrten Tukaram Tatya ins Englische übersetzt. Zur gleichen Zeit erschien eine deutsche Übersetzung von Hermann Walter.

Die hier zugrundeliegende Ausgabe der Haṭhapradīpikā besteht aus vier Kapiteln, in denen ein viergliedriger Yoga gelehrt wird:

  • Āsana
  • Prāṇāyāma
  • Mudrā
  • Samādhi

Obwohl die Haṭhapradīpikā sehr verbreitet war und der Text schon seit über hundert Jahren in Übersetzungen vorliegt, mehren sich unter Yogaforschern die Fragen nach der ursprünglichen Gestalt der Schrift. So wurde 1973 in Varanasi unter dem Titel Gorakṣiddhāntasangraḥ ein Sanskrittext veröffentlicht, der eine Zusammenstellung aus verschiedenen Haṭhatexten beinhaltet. Dort findet sich eine Textstelle, die als Quellenangabe das zehnte Kapitel der Haṭhapradīpikā angibt.

Der Yogalehrer und Yogaforscher Dr. Gharote aus Lonavla in Indien begann nach einer Haṭhapradīpikā zu suchen, die zehn anstelle von vier Kapiteln beinhalten sollte. Nach jahrelangen Forschungen fand Gharote in Jodhpur, Rajastan, tatsächlich eine solche Handschrift. Daneben entdeckte er ein weiteres Manuskript, das noch wesentlich umfangreicher ist, sich jedoch in nur sechs Kapitel aufgeteilt. Er steht mit dieser Quellenforschung in bester Tradition seines Lehrers Svāmi Kuvalyananda, der den Originaltext des Gorakṣaśataka und andere bedeutende Yogatexte entdeckt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.

Inzwischen weiß man, dass viele Textstellen der Haṭhapradīpikā aus Passagen anderer Yogawerke zusammengestellt wurden, einige Stellen sich widersprechen, sowie einzelne Konzepte nicht klar erläutert werden.

Zum Beispiel werden im Āsana Kapitel in den Versen 19 bis 32 elf Āsanas beschrieben. Schon im nächsten Vers, 33, ist von 84 Āsanas die Rede, von denen im Weiteren nur vier detaillierter beschrieben werden. Das ist verwirrend.

Neben Digambarji und Kokaje, Herausgeber einer kritischen Ausgabe der Haṭhapradīpikā, ziehen mehr und mehr Schriftexperten daraus den Schluss, dass der Text kein Originaltext ist, sondern eine Zusammenstellung und nicht in einem Guss entstanden sein kann. Die große Bedeutung des Textes bezüglich konkreter Fragen an die Yogapraxis bleibt davon jedoch unberührt.

Die Haṭhapradīpikā – Verbindung zwischen verschiedenen Traditionen

Nicht nur der Haṭha-Yoga kennt Körperübungen, die im Sanskrit, der Sprache der alten Texte, Āsana genannt werden. Sicher aber sind es die Āsanas, die am häufigsten mit dem Begriff Haṭha-Yoga verbunden werden. Dies lässt sich auch im Verständnis nicht weniger YogalehrerInnen wiederfinden und so liest und hört man Sätze wie: Haṭhayoga ist der Yoga der Körpe­rübun­gen oder Haṭhayoga ist das dritte Glied in Patañjalis achtgliedrigem Yoga (der dritte Aspekt dieser acht Glieder ist im Yoga Sūtra des Patañjali eben Āsana).

Tatsächlich aber existieren wenig klare Vorstellungen davon, welchen Stellenwert Āsanas im System des Haṭha-Yoga haben. Ebenso oft herrscht Unklarheit über den Zweck und die Zielgruppe von Haṭhayoga.

Die Haṭhapradīpikā auf diese Weise aus dem Text und einem Kommentar heraus zu interpretieren, kann das Thema nur skizzieren. Es wurde bereits erwähnt, dass die Texte nur einen Teil der Yogatradition ausmachen, die mündliche Überlieferung aber die wesentlichere Rolle gespielt hat.

Im Kern entwirft die Haṭhapradīpikā einen Übungsweg, der durch Körper und Atem die Sammlung des Geistes (samādhi) erreichen möchte. Der Text beginnt im ersten Kapitel mit der Erläuterung der Körperübungen (Āsana) als ersten Schritt auf diesem Weg. Die Haṭhapradīpikā zählt fünfzehn Āsanas auf. Der Autor des Textes, Svātmārāma, hat dabei offensichtlich jeweils einige Āsanas aus mindestens zwei unterschiedlichen Yogatraditionen ausgewählt. Er hat Körperhaltungen aus der Tradition von sogenannten Yogis (Abb. 1) wie Matsyendra ausgewählt. Im Kommentar zur Haṭhapradīpikā werden dieser Tradition von Matsyendra noch weitere Stränge der Überlieferung zugeordnet, etwa die des Lehrers Jālandaranāth.

Abb. 1

Gorakṣa gilt als direkter Schüler von Matsyendra und ist der Autor der Gorakṣaśataka. Dieser alte Text dient vielen Indologen als wesentliche Grundlage für die Haṭhapradīpikā. Svātmārāma hat daraus siddhāsana (Sitz der Weisen) und padmāsana (Lotussitz) übernommen.

Die für die Haṭhapradīpikā ausgewählten Körperübungen stammen aus der Tradition von sogenannten Weisen (Munis), einschließlich des Muni Vasiṣtha. Bramhānandas Kommentar zur Haṭhapradīpikā ergänzt diese Information. Er erklärt, dass zur Tradition des Muni Vasiṣtha noch weitere Traditionen gehören, darunter eine, die sich auf Yājñavalkya bezieht.

So sind elf Verse, in denen insgesamt acht der fünfzehn in der Haṭhapradīpikā beschriebenen Āsanas erläutert werden, wortwörtlich aus einem älteren Text entnommen, der Muni Vasiṣtha zugeschrieben wird. Der Titel dieses Textes ist Vasiṣthasamhitā. Svātmārāma Text enthält also Āsanas, die sowohl aus der Traditionslinie von Matsyendra und seinem Schüler Gorakṣa stammen, als auch aus der Tradition von Vasiṣtha, einem Vertreter der sogenannten Muni.

Die Haṭhapradīpikā muss daher als Text beschrieben werden, der verschiedene Traditionen miteinander in Verbindung stellt.

Genaue Übungsanweisungen sind in der Haṭhapradīpikā nicht zu finden

Die Anleitungen für die Ausführung von Āsanas sind so knapp gehalten, dass es unmöglich ist, die Übungen allein aufgrund des Textes durchzuführen. Für die Leser war es selbstverständlich, dass nicht nur nach dem Text praktiziert werden sollte. Die Beschreibung der Āsanas folgt auch keiner klaren Struktur und die meisten Āsanas werden nur mit sehr spärlichen Hinweisen auf ihre Form genannt, bei anderen finden wir zusätzlich Aussagen darüber, wie sie wirken. Allen Beschreibungen ist gemeinsam, dass das Āsana nur in seiner Endstellung grob skizziert wird.

Der Text weist somit lediglich darauf hin, in welche Richtung sich als Übende bewegt werden sollte. Die Benennung des Weges zu dem skizzierten Āsana, einschließlich aller Vorbereitungen und der konkreten Umsetzung, angepasst an die besonderen Bedingungen des Übenden, konnte seit jeher nur durch die mündliche Unterweisung (Abb. 2) der jeweiligen Lehrer erfolgen. Im Text wird dies deutlich, wenn zum Beispiel im Zusammenhang mit padmāsana und siddhāsana verschiedene Varianten beschrieben werden, die unterschiedliche Lehrer bevorzugten.

Abb. 2

Die Tatsache, die heute manchmal Verwirrung unter Yoga-Praktizierenden stiftet, dass nämlich die gleichen Āsana je nach Schule unterschiedliche Namen tragen, ist bereits in der Haṭhapradīpikā belegt.
So wird siddhāsana auch vajrāsana, guptāsana oder muktāsana genannt (HP, Kapitel 1, Vers 37), badhrāsana heißt im 55. Vers desselben Kapitels auch gorakṣāsana. Und im Kommentar zur Haṭhapradīpikā werden die verschiedenen Namen von siddhāsana als unterschiedliche Varianten desselben Asana beschrieben. Auch das ist einer der vielen Hinweise darauf, dass Āsanas verändert und variiert wurden.

Gibt es klassische Āsanas?

Manchmal wird der Eindruck erweckt, dass es einzelne klassische Āsanas gibt, die sich von weniger klassischen unterscheiden würden. Was könnte das Geheimnis dieser sogenannten Āsanas sein, die in immer der gleichen Form geübt werden sollen?

Dieser Schleier lässt sich leicht lüften, sie existieren nicht. Dr. Gharote vom Kaivalyadharma Institut in Lonavla, Indien, hat an einer Enzyklopädie aller Āsanas gearbeitet, die in den alten Texten vorkommen. Er hat über fünfhundert Āsanas nachgewiesen; allein in einem Manuskript der Haṭhapradīpikā, das er in Jodhpur, Rajasthan, gefunden hat, werden hundert verschiedene Āsanas erwähnt.

Was bedeutet das für unsere Frage nach der Existenz von klassischen Āsanas?

  • Sind nur die fünfzehn Haltungen der uns bekannten Haṭhapradīpikā klassisch?
  • Oder sind es die hundert des Jodhpur-Manuskripts?
  • Oder die von Gharote gesammelten fünfhundert?
  • Oder vielleicht sogar diejenigen, die im Westen als solche präsentiert werden?
  • Und lässt nicht alles, was wir über einen Text wie die Haṭhapradīpikā und andere Yoga-Texte wissen, vermuten, dass die Texte uns immer nur eine Auswahl der tatsächlich gelehrt und praktizierten Āsanas anbieten?

Die Haṭhapradīpikā weist darauf hin, dass die hier genannten Āsanas nur eine kleine Auswahl von eigentlich 84 Āsanas sind (HP, Kapitel 1, Vers 33). Der Kommentar zum Text zitiert die Gorakṣaśataka und betont, dass diese 84 Āsanas ihrerseits nur eine kleine Auswahl aus den 84.000 Körperhaltungen seien, die Gott Śiva selbst getroffen habe – eine Zahl, die ins Mythologische reicht. Im Reich der Mythologie soll Śiva den Ausspruch getan haben, dass es so viele Āsanas gibt wie Menschen.

Der Körper, der Atem und letztlich der Geist sollen durch Āsanapraxis positiv beeinflusst werden. Um dieses Ziel zu erreichen, haben Yogis und Munis viele verschiedene Körperhaltungen verwendet und angepasst. Dabei wurde einigen Āsanas eine ganz besondere Bedeutung beigemessen.

In der Haṭhapradīpikā finden wir dafür exemplarische Beispiele:

  • Paścimatānāsana – Vorbeuge aus dem Langsitz
  • Matsyendrāsana – Drehsitz
  • Viparīta karaṇī – Umkehrpostionen

Eine bestimmte Systematik dazu ist dort jedoch nicht zu finden. So wird etwa das wichtige Konzept der Rückbeuge gar nicht vorgestellt. Dazu braucht es einen anderen Haṭha-Yoga Text, die Gherandasamhitā, in ihr werden exemplarisch folgende Rückbeugen genannt.

  • Dhanurāsana – Bogen
  • Bhujaṅgāsana – Kobra
  • Śalabhāsana – Heuschrecke

In beiden Texten steht die Aufrichtung der Wirbelsäule in unterschiedlichen Sitzhaltungen als Grundlage für Prāṇāyāma und Meditation im Mittelpunkt (acht der fünfzehn in der Haṭhapradīpikā genannten Āsanas sind solche Sitzpositionen).

So ist die Idee, von klassischen Āsanas zu sprechen, dann sinnvoll, wenn sie den Blick für den Schatz der traditionellen Yoga-Lehren schärft und davor bewahrt, Übungen aus verschiedensten Körperarbeitssystemen mit dem der Āsanas zu vermischen und so die Grundideen des Yoga zu verwischen.

Sie wird jedoch falsch und zu einem Hindernis, wenn die breite Palette der Āsanas und ihrer Variationen auf einige wenige Endformen reduziert wird. Ebenso ist es falsch, wenn der Übungsweg des Yoga damit verwechselt wird, Menschen in eine bestimmte Āsana-Form zu zwingen, die ihnen nicht hilft, den Schatz der Körperhaltungen des Yoga zu entdecken und den Blick darauf manchmal sogar verstellt.

Vier Yogis

Vasiṣṭha

Vasiṣṭha, ein berühmter vedischer Seher, gilt als einer der sieben großen Rishis. Eine ganze Reihe vedischer Hymnen werden ihm zugeschrieben. Ähnlich wie bei Vyāsa und vielen anderen berühmten Namen ist es jedoch fraglich, ob es sich bei Vasiṣṭha um eine Person handelt oder ob nicht vielmehr eine Funktion, ein Titel, mit dem Namen Vasiṣṭha bezeichnet wurde, den viele Weise oder Rishis trugen.
So gibt es unter diesem Namen einen Gesetzestext, einen berühmten Advaita-Vedānta-Text, der aus der Zeit um 800 vor Beginn unserer Zeitrechnung stammt. Der zitierte Yogatext Vasiṣṭhasamhitā dagegen datiert wohl aus dem 12. bis 13. Jahrhundert und bildet die Quelle für einige andere Texte wie die Yoga Yājñavalkya und die Darshana Upanishad.

Matsyendra

Matsyendra gilt als der erste Lehrer der Haṭhatradition. Sein berühmtester Schüler war Gorakṣa. Auch er wurde – wie die meisten großen Yogis – auf mythische Weise beschrieben. Nach der Legende soll ein Fisch zufällig Zeuge gewesen sein, als Shiva seiner Gefährtin Pārvathi die Lehren des Yoga übermittelte. Shiva soll diesem Fisch menschliche Gestalt verliehen und ihn König der Fische (matsya – indra) genannt haben. In anderen Legenden wird von einem Fischer berichtet, der von einem Fisch verschluckt wurde. Dieser hörte vom Bauch des Fisches aus dem oben genannten Gespräch von Shiva und Pārvathi zu.
Matsyendra gilt als der erste Guru der tantrischen Kaula-Tradition. Der historische Matsyendranath stammte aus dem Osten Indiens, Assam und Bengalen. Unter dem Namen Maccendra wird er als Nationalheiliger der Nepalis verehrt, denen er den ersten Reissamen ins Land gebracht haben soll.

Gorakṣa

Gorakṣa oder Goraknātha ist der bekannteste und sicher einer der größten Meister des Haṭha Yoga. Wahrscheinlich lebte er im neunten oder zehnten Jahrhundert, geboren vermutlich im heutigen Punjab. Seinen Lehrer Matsyendra hat Gorakṣa an Popularität sowie an Bedeutung für die Tradition des Haṭha Yoga noch übertroffen. Er ist der Verfasser zahlreicher bedeutender Yogatexte, von denen die wichtigste, die Gorakṣaśataka, in einem separaten Artikel vorgestellt wird.

Jālandara

Jālandara war ein berühmter Yogi aus der Nātha- Tradition. Mitglied der niedrigsten aller indischen Kasten, ein Shūdra, stammte er aus der Gegend des heutigen Pakistan.
Seine Unterweisungen in Tantra erhielt er in Jālandara, einem Ort in Nordindien, der heute als einer der großen Kraftplätze des Subkontinents gilt. Ebenso wie Matsyendra und Gorakṣa gilt er als einer der großen 84 Vollendeten (siddhas) und dem Yogi Matsyendra als ebenbürtig.

Was soll Āsanapraxis bewirken?

Da Āsana das erste Glied des Haṭha ist, wird es zuerst besprochen; so heißt es in der Haṭhapradīpikā (HYP, 1. Kapitel, 17. Vers). Und weiter: „Asana bewirkt Stabilität, Gesundheit und Leichtigkeit der Glieder.“ An diese Wirkungen erinnert auch ein anderer Text, der Āsana mit den Worten Stabilität und Leichtigkeit, auf Sanskrit sthira und sukham, definiert: das Yoga Sūtra von Patañjali. (YS, 2. Kapitel – Sūtra 46).

Doch zurück zu den drei beschriebenen Wirkungen in der Haṭhapradīpikā. Ausgangspunkt ist Bramhānandas Kommentar zum 1. Kapitel, Vers 17; er schreibt: Āsana bewirkt Stabilität, Gesundheit und Leichtigkeit der Glieder.

  1. Dass Āsana Stabilität bewirkt, wird folgendermaßen erklärt: Stabilität ist ein Mittel, um die Tendenz in unserem System zu reduzieren, die für die Zerstreuung des Geistes verantwortlich ist. Obwohl der Zusammenhang immer auch einen stabilen Körper betrifft, wird dieser offensichtlich vor allem als Voraussetzung für einen stabilen Geist verstanden. Vyāsa, der den bekanntesten Kommentar zum Yoga Sūtra von Patañjali verfasst hat, erklärt, dass sowohl Zerstreutheit als auch Dumpfheit überwunden werden müssen, um den Geist zu sammeln und auszurichten. Er bringt diese beiden Geisteszustände mit ganz bestimmten Qualitäten in Verbindung, die zur Natur des Menschen gehören, den sogenannten Guna. Sie sind gewissermaßen die Fäden, aus denen unsere Welt und entsprechend die Natur des Menschen gewebt sind.
    • Im Zustand der Zerstreutheit dominiert rajas – das Bewegte, das Leidenschaftliche.
    • Im Zustand der Dumpfheit dominiert tamas – das Schwere, das Träge.
    • Weichen rajas und tamas allmählich, dominiert sattva – Klarheit und Freude.
      Laut Vyāsa ist der Weg des Yoga durch Übungen gekennzeichnet, die sowohl Zerstreutheit als auch Dumpfheit einer neuen Qualität Platz machen, die er sattva nennt. Es ist das dritte Guna und steht für Klarheit und Freude. Durch das Üben von Yoga nimmt diese Qualität mehr und mehr Raum ein und verdrängt die beiden anderen. Die dazu notwendige Reduzierung von Rajas ist es, die Vyāsa mit dem Aspekt von Stabilität in Verbindung bringt.
  2. Die Haṭhapradīpikā nennt Gesundheit als zweite Wirkung der Āsanapraxis. Der Kommentar zur Haṭhapradīpikā stellt eine Verbindung zum Yoga Sūtra Patañjalis her, indem er den 30. Vers des 1. Kapitels des Yoga Sūtra zitiert. Krankheiten (und anderes, Anmerkung des Verfassers) führen zur Zerstreuung des Geistes und stellen Hindernisse auf dem Weg des Yoga dar. Auch hier wirkt Āsana auf die Konstitution des Körpers, im Mittelpunkt steht jedoch der Geist als eigentliches Ziel.
  3. Die dritte Wirkung wird mit der Leichtigkeit der Glieder beschrieben. Āsana wird zu einem geeigneten Mittel, das die Tendenz zu Schwere und Trägheit, tamas, veringern kann.

In der Erwähnung der drei Eigenschaften werden körperliche Qualitäten eindeutig als Unterstützung für den Geist verstanden. Der stabile, gesunde und leichte Körper ist Voraussetzung, um den Geist in Richtung Klarheit, Unterscheidungsvermögen und Freude zu bewegen.

Der energetische Aspekt von Āsana

Obwohl in der Aufzählung der oben genannten Auswirkungen besonders der Zustand und die Struktur des Körpers betont werden, findet man in den Beschreibungen einzelner Āsanas hauptsächlich Hinweise auf Auswirkungen, die den Bereich der Lebensenergie, die im Yoga prāṇa genannt wird, betreffen. Diese Hinweise sind besonders ausführlich bei der Besprechung des Lotussitzes, padmāsana. Es heißt dort, dass im padmāsana der Geist gesammelt wird. Die Apāna-Energie wird aufwärts, die Prāṇa-Energie abwärts geführt, um sie schließlich beide miteinander zu vereinigen. Danach leitet man sie in die zentrale Energiebahn, die sogenannte Sushumna. Dies soll Stabilität des Geistes hervorbringen und zu unvergleichlicher Weisheit führen.

Die Haṭhapradīpikā beschreibt das Entfachen des Feuers als eine der Wirkungen von matsyendrāsana (Drehsitz), paścimatānāsana (Vorbeuge aus dem Langsitz) und mayurāsana (Pfau). Es wird auch ein Konzept erwähnt, das sich um den Begriff Kundalini dreht.

Was passiert genau, wenn dieses innere Feuer entfacht wird?
Dem Feuer wird die Kraft zugeschrieben, Ballast, Blockaden und Schlacke zu verbrennen und somit zu entfernen. Laut der Haṭhapradīpikā wird dadurch die Voraussetzung geschaffen, damit prāṇa, die Lebensenergie, in die Mitte des Körpers fließen kann. Diese Mitte wird mit vielen verschiedenen Namen beschrieben, oft als Sushumna, eine Energiebahn, die entlang der Wirbelsäule verlaufen soll. Die Haṭhapradīpikā vermittelt diese Idee immer wieder in verschiedenen Formulierungen. So heißt es zum Beispiel in der Beschreibung der Wirkung von paścimatānāsana, dass die Lebensenergie Prāṇa durch Paścima, die Rückseite unseres Körpers fließt. Der Kommentator erklärt, dass dieser »Weg der Rückseite« nichts anderes ist als der Sushumna-Weg, also der Weg der Energie durch die mittlere Energiebahn im Bereich der Wirbelsäule.

Auch in siddhāsana, dem Sitz der Weisen, werden laut Haṭhapradīpikā die Energiebahnen, die Nāḍī, von Abfall gereinigt. Dann würde das Verschließen bestimmter Bereiche des Körpers, gemeint ist das Einnehmen der Bandha, ohne Anstrengung möglich sein.

Diese Hinweise machen deutlich, dass Āsanapraxis in der Haṭhapradīpikā als wichtiges Mittel für ein gutes prāṇa verstanden wird.

Āsanas harmonisieren und unterstützen den Fluss der Lebensenergie im Menschen, da sie ein ganzes System von reinigenden Kräften entfalten können. Diese Reinigung wird als wesentlich für die Haṭha-Yoga-Praxis angesehen. Es wird erreicht durch:

  • Anfachen des inneren Feuers
  • Beseitigung der Schlacke in den Energiebahnen (nāḍī)
  • Beseitigung von Blockaden in der mittleren, zentralen Energiebahn (sushumna)

Werden Āsanas auf diese Weise verstanden, führen sie auch direkt zu den in der Haṭhapradīpikā erwähnten Atemübungen Prāṇāyāma und den Mudrās. Sie sind ganz bestimmte Körperhaltungen, in denen der Atem in definierter Weise, auch mithilfe der Bandhas, gelenkt wird.

Der Yogi, der ohne zu ermüden, im Āsana verweilen kann, soll mit Atemübungen beginnen. (HYP, 1. Kapitel, Vers 55)

Damit wird der Kern des Haṭha-Yoga beschrieben: Prāṇāyāma, dem gezielten und über die Praxis von āsana hinaus verfeinerten Umgang mit der Lebensenergie Prāṇa.

Zu guter Letzt – Wer kann üben?

Der vielfältige Nutzen, den Menschen aus dieser Art zu üben ziehen können, wird in der Haṭhapradīpikā so beschrieben: Diejenigen, die alle möglichen anderen Arten von Yoga praktizieren, können den Haṭha-Yoga als Unterstützung nutzen. (HYP, 1. Kapitel, Vers 10)

Yogi Bramhānanda nennt in seinem Kommentar Beispiele für diese anderen Yogaarten:

  • Mantrayoga, der mithilfe des intensiven Rezitierens bestimmter Silben oder Passagen aus den Veden den Geist erreichen will
  • Karmayoga, der dieses Ziel mithilfe achtsamer und absichtsloser Alltagsverrichtungen anstrebt

Auch wenn der Schwerpunkt im Yoga anders gelegt wird, kann Haṭha-Yoga von großem Nutzen sein. Viele Menschen verstehen Āsana und Prāṇāyāma als Unterstützung für ihre eigene Praxis, sei es im Zen, einer Vipassana-Meditation oder einer Sufi-Praxis. Vor allem aber kann „Haṭha-Yoga ... eine Zuflucht sein für diejenigen, die von allerlei Leiden geplagt werden“, heißt es an gleicher Stelle (HYP, 1. Kapitel, Vers 10).

Keine Vorbedingungen also für jemanden, der mit dem Üben beginnen will, im Gegenteil, Haṭha-Yoga kann Zuflucht sein für die, die leiden!

Der Text wird noch deutlicher in diesem Anliegen, wenn er später im gleichen Kapitel erklärt: Egal ob jung, erwachsen oder sehr alt, ob krank oder schwach – jeder, der unermüdlich Haṭha-Yoga übt, kann Erfolg erlangen (HYP, 1. Kapitel, Vers 64).

So jedenfalls verspricht es die Haṭhapradīpikā. ▼

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Āsanas stammen aus verschiedenen Yogatraditionen

Die Haṭhapradīpikā war in Indien weitverbreitet, davon zeugt eine überaus große Anzahl an Handschriften, die über den ganzen Subkontinent verteilt erhalten sind. So wurde sie dann auch schon 1893 im Auftrag der Theosophischen Adyar Bibliothek von dem Gelehrten Tukaram Tatya ins Englische übersetzt. Zur gleichen Zeit erschien eine deutsche Übersetzung von Hermann Walter.

Die hier zugrundeliegende Ausgabe der Haṭhapradīpikā besteht aus vier Kapiteln, in denen ein viergliedriger Yoga gelehrt wird:

  • Āsana
  • Prāṇāyāma
  • Mudrā
  • Samādhi

Obwohl die Haṭhapradīpikā sehr verbreitet war und der Text schon seit über hundert Jahren in Übersetzungen vorliegt, mehren sich unter Yogaforschern die Fragen nach der ursprünglichen Gestalt der Schrift. So wurde 1973 in Varanasi unter dem Titel Gorakṣiddhāntasangraḥ ein Sanskrittext veröffentlicht, der eine Zusammenstellung aus verschiedenen Haṭhatexten beinhaltet. Dort findet sich eine Textstelle, die als Quellenangabe das zehnte Kapitel der Haṭhapradīpikā angibt.

Der Yogalehrer und Yogaforscher Dr. Gharote aus Lonavla in Indien begann nach einer Haṭhapradīpikā zu suchen, die zehn anstelle von vier Kapiteln beinhalten sollte. Nach jahrelangen Forschungen fand Gharote in Jodhpur, Rajastan, tatsächlich eine solche Handschrift. Daneben entdeckte er ein weiteres Manuskript, das noch wesentlich umfangreicher ist, sich jedoch in nur sechs Kapitel aufgeteilt. Er steht mit dieser Quellenforschung in bester Tradition seines Lehrers Svāmi Kuvalyananda, der den Originaltext des Gorakṣaśataka und andere bedeutende Yogatexte entdeckt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.

Inzwischen weiß man, dass viele Textstellen der Haṭhapradīpikā aus Passagen anderer Yogawerke zusammengestellt wurden, einige Stellen sich widersprechen, sowie einzelne Konzepte nicht klar erläutert werden.

Zum Beispiel werden im Āsana Kapitel in den Versen 19 bis 32 elf Āsanas beschrieben. Schon im nächsten Vers, 33, ist von 84 Āsanas die Rede, von denen im Weiteren nur vier detaillierter beschrieben werden. Das ist verwirrend.

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Die Haṭhapradīpikā – Verbindung zwischen verschiedenen Traditionen

Nicht nur der Haṭha-Yoga kennt Körperübungen, die im Sanskrit, der Sprache der alten Texte, Āsana genannt werden. Sicher aber sind es die Āsanas, die am häufigsten mit dem Begriff Haṭha-Yoga verbunden werden. Dies lässt sich auch im Verständnis nicht weniger YogalehrerInnen wiederfinden und so liest und hört man Sätze wie: Haṭhayoga ist der Yoga der Körpe­rübun­gen oder Haṭhayoga ist das dritte Glied in Patañjalis achtgliedrigem Yoga (der dritte Aspekt dieser acht Glieder ist im Yoga Sūtra des Patañjali eben Āsana).

Tatsächlich aber existieren wenig klare Vorstellungen davon, welchen Stellenwert Āsanas im System des Haṭha-Yoga haben. Ebenso oft herrscht Unklarheit über den Zweck und die Zielgruppe von Haṭhayoga.

Die Haṭhapradīpikā auf diese Weise aus dem Text und einem Kommentar heraus zu interpretieren, kann das Thema nur skizzieren. Es wurde bereits erwähnt, dass die Texte nur einen Teil der Yogatradition ausmachen, die mündliche Überlieferung aber die wesentlichere Rolle gespielt hat.

Im Kern entwirft die Haṭhapradīpikā einen Übungsweg, der durch Körper und Atem die Sammlung des Geistes (samādhi) erreichen möchte. Der Text beginnt im ersten Kapitel mit der Erläuterung der Körperübungen (Āsana) als ersten Schritt auf diesem Weg. Die Haṭhapradīpikā zählt fünfzehn Āsanas auf. Der Autor des Textes, Svātmārāma, hat dabei offensichtlich jeweils einige Āsanas aus mindestens zwei unterschiedlichen Yogatraditionen ausgewählt. Er hat Körperhaltungen aus der Tradition von sogenannten Yogis (Abb. 1) wie Matsyendra ausgewählt. Im Kommentar zur Haṭhapradīpikā werden dieser Tradition von Matsyendra noch weitere Stränge der Überlieferung zugeordnet, etwa die des Lehrers Jālandaranāth.

Abb. 1

Gorakṣa gilt als direkter Schüler von Matsyendra und ist der Autor der Gorakṣaśataka. Dieser alte Text dient vielen Indologen als wesentliche Grundlage für die Haṭhapradīpikā. Svātmārāma hat daraus siddhāsana (Sitz der Weisen) und padmāsana (Lotussitz) übernommen.

Die für die Haṭhapradīpikā ausgewählten Körperübungen stammen aus der Tradition von sogenannten Weisen (Munis), einschließlich des Muni Vasiṣtha. Bramhānandas Kommentar zur Haṭhapradīpikā ergänzt diese Information. Er erklärt, dass zur Tradition des Muni Vasiṣtha noch weitere Traditionen gehören, darunter eine, die sich auf Yājñavalkya bezieht.

So sind elf Verse, in denen insgesamt acht der fünfzehn in der Haṭhapradīpikā beschriebenen Āsanas erläutert werden, wortwörtlich aus einem älteren Text entnommen, der Muni Vasiṣtha zugeschrieben wird. Der Titel dieses Textes ist Vasiṣthasamhitā. Svātmārāma Text enthält also Āsanas, die sowohl aus der Traditionslinie von Matsyendra und seinem Schüler Gorakṣa stammen, als auch aus der Tradition von Vasiṣtha, einem Vertreter der sogenannten Muni.

Die Haṭhapradīpikā muss daher als Text beschrieben werden, der verschiedene Traditionen miteinander in Verbindung stellt.

Genaue Übungsanweisungen sind in der Haṭhapradīpikā nicht zu finden

Die Anleitungen für die Ausführung von Āsanas sind so knapp gehalten, dass es unmöglich ist, die Übungen allein aufgrund des Textes durchzuführen. Für die Leser war es selbstverständlich, dass nicht nur nach dem Text praktiziert werden sollte. Die Beschreibung der Āsanas folgt auch keiner klaren Struktur und die meisten Āsanas werden nur mit sehr spärlichen Hinweisen auf ihre Form genannt, bei anderen finden wir zusätzlich Aussagen darüber, wie sie wirken. Allen Beschreibungen ist gemeinsam, dass das Āsana nur in seiner Endstellung grob skizziert wird.

Der Text weist somit lediglich darauf hin, in welche Richtung sich als Übende bewegt werden sollte. Die Benennung des Weges zu dem skizzierten Āsana, einschließlich aller Vorbereitungen und der konkreten Umsetzung, angepasst an die besonderen Bedingungen des Übenden, konnte seit jeher nur durch die mündliche Unterweisung (Abb. 2) der jeweiligen Lehrer erfolgen. Im Text wird dies deutlich, wenn zum Beispiel im Zusammenhang mit padmāsana und siddhāsana verschiedene Varianten beschrieben werden, die unterschiedliche Lehrer bevorzugten.

Abb. 2

Die Tatsache, die heute manchmal Verwirrung unter Yoga-Praktizierenden stiftet, dass nämlich die gleichen Āsana je nach Schule unterschiedliche Namen tragen, ist bereits in der Haṭhapradīpikā belegt.
So wird siddhāsana auch vajrāsana, guptāsana oder muktāsana genannt (HP, Kapitel 1, Vers 37), badhrāsana heißt im 55. Vers desselben Kapitels auch gorakṣāsana. Und im Kommentar zur Haṭhapradīpikā werden die verschiedenen Namen von siddhāsana als unterschiedliche Varianten desselben Asana beschrieben. Auch das ist einer der vielen Hinweise darauf, dass Āsanas verändert und variiert wurden.

Gibt es klassische Āsanas?

Manchmal wird der Eindruck erweckt, dass es einzelne klassische Āsanas gibt, die sich von weniger klassischen unterscheiden würden. Was könnte das Geheimnis dieser sogenannten Āsanas sein, die in immer der gleichen Form geübt werden sollen?

Dieser Schleier lässt sich leicht lüften, sie existieren nicht. Dr. Gharote vom Kaivalyadharma Institut in Lonavla, Indien, hat an einer Enzyklopädie aller Āsanas gearbeitet, die in den alten Texten vorkommen. Er hat über fünfhundert Āsanas nachgewiesen; allein in einem Manuskript der Haṭhapradīpikā, das er in Jodhpur, Rajasthan, gefunden hat, werden hundert verschiedene Āsanas erwähnt.

Was bedeutet das für unsere Frage nach der Existenz von klassischen Āsanas?

  • Sind nur die fünfzehn Haltungen der uns bekannten Haṭhapradīpikā klassisch?
  • Oder sind es die hundert des Jodhpur-Manuskripts?
  • Oder die von Gharote gesammelten fünfhundert?
  • Oder vielleicht sogar diejenigen, die im Westen als solche präsentiert werden?
  • Und lässt nicht alles, was wir über einen Text wie die Haṭhapradīpikā und andere Yoga-Texte wissen, vermuten, dass die Texte uns immer nur eine Auswahl der tatsächlich gelehrt und praktizierten Āsanas anbieten?

Die Haṭhapradīpikā weist darauf hin, dass die hier genannten Āsanas nur eine kleine Auswahl von eigentlich 84 Āsanas sind (HP, Kapitel 1, Vers 33). Der Kommentar zum Text zitiert die Gorakṣaśataka und betont, dass diese 84 Āsanas ihrerseits nur eine kleine Auswahl aus den 84.000 Körperhaltungen seien, die Gott Śiva selbst getroffen habe – eine Zahl, die ins Mythologische reicht. Im Reich der Mythologie soll Śiva den Ausspruch getan haben, dass es so viele Āsanas gibt wie Menschen.

Der Körper, der Atem und letztlich der Geist sollen durch Āsanapraxis positiv beeinflusst werden. Um dieses Ziel zu erreichen, haben Yogis und Munis viele verschiedene Körperhaltungen verwendet und angepasst. Dabei wurde einigen Āsanas eine ganz besondere Bedeutung beigemessen.

In der Haṭhapradīpikā finden wir dafür exemplarische Beispiele:

  • Paścimatānāsana – Vorbeuge aus dem Langsitz
  • Matsyendrāsana – Drehsitz
  • Viparīta karaṇī – Umkehrpostionen

Eine bestimmte Systematik dazu ist dort jedoch nicht zu finden. So wird etwa das wichtige Konzept der Rückbeuge gar nicht vorgestellt. Dazu braucht es einen anderen Haṭha-Yoga Text, die Gherandasamhitā, in ihr werden exemplarisch folgende Rückbeugen genannt.

  • Dhanurāsana – Bogen
  • Bhujaṅgāsana – Kobra
  • Śalabhāsana – Heuschrecke

In beiden Texten steht die Aufrichtung der Wirbelsäule in unterschiedlichen Sitzhaltungen als Grundlage für Prāṇāyāma und Meditation im Mittelpunkt (acht der fünfzehn in der Haṭhapradīpikā genannten Āsanas sind solche Sitzpositionen).

So ist die Idee, von klassischen Āsanas zu sprechen, dann sinnvoll, wenn sie den Blick für den Schatz der traditionellen Yoga-Lehren schärft und davor bewahrt, Übungen aus verschiedensten Körperarbeitssystemen mit dem der Āsanas zu vermischen und so die Grundideen des Yoga zu verwischen.

Sie wird jedoch falsch und zu einem Hindernis, wenn die breite Palette der Āsanas und ihrer Variationen auf einige wenige Endformen reduziert wird. Ebenso ist es falsch, wenn der Übungsweg des Yoga damit verwechselt wird, Menschen in eine bestimmte Āsana-Form zu zwingen, die ihnen nicht hilft, den Schatz der Körperhaltungen des Yoga zu entdecken und den Blick darauf manchmal sogar verstellt.

Vier Yogis

Vasiṣṭha

Vasiṣṭha, ein berühmter vedischer Seher, gilt als einer der sieben großen Rishis. Eine ganze Reihe vedischer Hymnen werden ihm zugeschrieben. Ähnlich wie bei Vyāsa und vielen anderen berühmten Namen ist es jedoch fraglich, ob es sich bei Vasiṣṭha um eine Person handelt oder ob nicht vielmehr eine Funktion, ein Titel, mit dem Namen Vasiṣṭha bezeichnet wurde, den viele Weise oder Rishis trugen.
So gibt es unter diesem Namen einen Gesetzestext, einen berühmten Advaita-Vedānta-Text, der aus der Zeit um 800 vor Beginn unserer Zeitrechnung stammt. Der zitierte Yogatext Vasiṣṭhasamhitā dagegen datiert wohl aus dem 12. bis 13. Jahrhundert und bildet die Quelle für einige andere Texte wie die Yoga Yājñavalkya und die Darshana Upanishad.

Matsyendra

Matsyendra gilt als der erste Lehrer der Haṭhatradition. Sein berühmtester Schüler war Gorakṣa. Auch er wurde – wie die meisten großen Yogis – auf mythische Weise beschrieben. Nach der Legende soll ein Fisch zufällig Zeuge gewesen sein, als Shiva seiner Gefährtin Pārvathi die Lehren des Yoga übermittelte. Shiva soll diesem Fisch menschliche Gestalt verliehen und ihn König der Fische (matsya – indra) genannt haben. In anderen Legenden wird von einem Fischer berichtet, der von einem Fisch verschluckt wurde. Dieser hörte vom Bauch des Fisches aus dem oben genannten Gespräch von Shiva und Pārvathi zu.
Matsyendra gilt als der erste Guru der tantrischen Kaula-Tradition. Der historische Matsyendranath stammte aus dem Osten Indiens, Assam und Bengalen. Unter dem Namen Maccendra wird er als Nationalheiliger der Nepalis verehrt, denen er den ersten Reissamen ins Land gebracht haben soll.

Gorakṣa

Gorakṣa oder Goraknātha ist der bekannteste und sicher einer der größten Meister des Haṭha Yoga. Wahrscheinlich lebte er im neunten oder zehnten Jahrhundert, geboren vermutlich im heutigen Punjab. Seinen Lehrer Matsyendra hat Gorakṣa an Popularität sowie an Bedeutung für die Tradition des Haṭha Yoga noch übertroffen. Er ist der Verfasser zahlreicher bedeutender Yogatexte, von denen die wichtigste, die Gorakṣaśataka, in einem separaten Artikel vorgestellt wird.

Jālandara

Jālandara war ein berühmter Yogi aus der Nātha- Tradition. Mitglied der niedrigsten aller indischen Kasten, ein Shūdra, stammte er aus der Gegend des heutigen Pakistan.
Seine Unterweisungen in Tantra erhielt er in Jālandara, einem Ort in Nordindien, der heute als einer der großen Kraftplätze des Subkontinents gilt. Ebenso wie Matsyendra und Gorakṣa gilt er als einer der großen 84 Vollendeten (siddhas) und dem Yogi Matsyendra als ebenbürtig.

Was soll Āsanapraxis bewirken?

Da Āsana das erste Glied des Haṭha ist, wird es zuerst besprochen; so heißt es in der Haṭhapradīpikā (HYP, 1. Kapitel, 17. Vers). Und weiter: „Asana bewirkt Stabilität, Gesundheit und Leichtigkeit der Glieder.“ An diese Wirkungen erinnert auch ein anderer Text, der Āsana mit den Worten Stabilität und Leichtigkeit, auf Sanskrit sthira und sukham, definiert: das Yoga Sūtra von Patañjali. (YS, 2. Kapitel – Sūtra 46).

Doch zurück zu den drei beschriebenen Wirkungen in der Haṭhapradīpikā. Ausgangspunkt ist Bramhānandas Kommentar zum 1. Kapitel, Vers 17; er schreibt: Āsana bewirkt Stabilität, Gesundheit und Leichtigkeit der Glieder.

  1. Dass Āsana Stabilität bewirkt, wird folgendermaßen erklärt: Stabilität ist ein Mittel, um die Tendenz in unserem System zu reduzieren, die für die Zerstreuung des Geistes verantwortlich ist. Obwohl der Zusammenhang immer auch einen stabilen Körper betrifft, wird dieser offensichtlich vor allem als Voraussetzung für einen stabilen Geist verstanden. Vyāsa, der den bekanntesten Kommentar zum Yoga Sūtra von Patañjali verfasst hat, erklärt, dass sowohl Zerstreutheit als auch Dumpfheit überwunden werden müssen, um den Geist zu sammeln und auszurichten. Er bringt diese beiden Geisteszustände mit ganz bestimmten Qualitäten in Verbindung, die zur Natur des Menschen gehören, den sogenannten Guna. Sie sind gewissermaßen die Fäden, aus denen unsere Welt und entsprechend die Natur des Menschen gewebt sind.
    • Im Zustand der Zerstreutheit dominiert rajas – das Bewegte, das Leidenschaftliche.
    • Im Zustand der Dumpfheit dominiert tamas – das Schwere, das Träge.
    • Weichen rajas und tamas allmählich, dominiert sattva – Klarheit und Freude.
      Laut Vyāsa ist der Weg des Yoga durch Übungen gekennzeichnet, die sowohl Zerstreutheit als auch Dumpfheit einer neuen Qualität Platz machen, die er sattva nennt. Es ist das dritte Guna und steht für Klarheit und Freude. Durch das Üben von Yoga nimmt diese Qualität mehr und mehr Raum ein und verdrängt die beiden anderen. Die dazu notwendige Reduzierung von Rajas ist es, die Vyāsa mit dem Aspekt von Stabilität in Verbindung bringt.
  2. Die Haṭhapradīpikā nennt Gesundheit als zweite Wirkung der Āsanapraxis. Der Kommentar zur Haṭhapradīpikā stellt eine Verbindung zum Yoga Sūtra Patañjalis her, indem er den 30. Vers des 1. Kapitels des Yoga Sūtra zitiert. Krankheiten (und anderes, Anmerkung des Verfassers) führen zur Zerstreuung des Geistes und stellen Hindernisse auf dem Weg des Yoga dar. Auch hier wirkt Āsana auf die Konstitution des Körpers, im Mittelpunkt steht jedoch der Geist als eigentliches Ziel.
  3. Die dritte Wirkung wird mit der Leichtigkeit der Glieder beschrieben. Āsana wird zu einem geeigneten Mittel, das die Tendenz zu Schwere und Trägheit, tamas, veringern kann.

In der Erwähnung der drei Eigenschaften werden körperliche Qualitäten eindeutig als Unterstützung für den Geist verstanden. Der stabile, gesunde und leichte Körper ist Voraussetzung, um den Geist in Richtung Klarheit, Unterscheidungsvermögen und Freude zu bewegen.

Der energetische Aspekt von Āsana

Obwohl in der Aufzählung der oben genannten Auswirkungen besonders der Zustand und die Struktur des Körpers betont werden, findet man in den Beschreibungen einzelner Āsanas hauptsächlich Hinweise auf Auswirkungen, die den Bereich der Lebensenergie, die im Yoga prāṇa genannt wird, betreffen. Diese Hinweise sind besonders ausführlich bei der Besprechung des Lotussitzes, padmāsana. Es heißt dort, dass im padmāsana der Geist gesammelt wird. Die Apāna-Energie wird aufwärts, die Prāṇa-Energie abwärts geführt, um sie schließlich beide miteinander zu vereinigen. Danach leitet man sie in die zentrale Energiebahn, die sogenannte Sushumna. Dies soll Stabilität des Geistes hervorbringen und zu unvergleichlicher Weisheit führen.

Die Haṭhapradīpikā beschreibt das Entfachen des Feuers als eine der Wirkungen von matsyendrāsana (Drehsitz), paścimatānāsana (Vorbeuge aus dem Langsitz) und mayurāsana (Pfau). Es wird auch ein Konzept erwähnt, das sich um den Begriff Kundalini dreht.

Was passiert genau, wenn dieses innere Feuer entfacht wird?
Dem Feuer wird die Kraft zugeschrieben, Ballast, Blockaden und Schlacke zu verbrennen und somit zu entfernen. Laut der Haṭhapradīpikā wird dadurch die Voraussetzung geschaffen, damit prāṇa, die Lebensenergie, in die Mitte des Körpers fließen kann. Diese Mitte wird mit vielen verschiedenen Namen beschrieben, oft als Sushumna, eine Energiebahn, die entlang der Wirbelsäule verlaufen soll. Die Haṭhapradīpikā vermittelt diese Idee immer wieder in verschiedenen Formulierungen. So heißt es zum Beispiel in der Beschreibung der Wirkung von paścimatānāsana, dass die Lebensenergie Prāṇa durch Paścima, die Rückseite unseres Körpers fließt. Der Kommentator erklärt, dass dieser »Weg der Rückseite« nichts anderes ist als der Sushumna-Weg, also der Weg der Energie durch die mittlere Energiebahn im Bereich der Wirbelsäule.

Auch in siddhāsana, dem Sitz der Weisen, werden laut Haṭhapradīpikā die Energiebahnen, die Nāḍī, von Abfall gereinigt. Dann würde das Verschließen bestimmter Bereiche des Körpers, gemeint ist das Einnehmen der Bandha, ohne Anstrengung möglich sein.

Diese Hinweise machen deutlich, dass Āsanapraxis in der Haṭhapradīpikā als wichtiges Mittel für ein gutes prāṇa verstanden wird.

Āsanas harmonisieren und unterstützen den Fluss der Lebensenergie im Menschen, da sie ein ganzes System von reinigenden Kräften entfalten können. Diese Reinigung wird als wesentlich für die Haṭha-Yoga-Praxis angesehen. Es wird erreicht durch:

  • Anfachen des inneren Feuers
  • Beseitigung der Schlacke in den Energiebahnen (nāḍī)
  • Beseitigung von Blockaden in der mittleren, zentralen Energiebahn (sushumna)

Werden Āsanas auf diese Weise verstanden, führen sie auch direkt zu den in der Haṭhapradīpikā erwähnten Atemübungen Prāṇāyāma und den Mudrās. Sie sind ganz bestimmte Körperhaltungen, in denen der Atem in definierter Weise, auch mithilfe der Bandhas, gelenkt wird.

Der Yogi, der ohne zu ermüden, im Āsana verweilen kann, soll mit Atemübungen beginnen. (HYP, 1. Kapitel, Vers 55)

Damit wird der Kern des Haṭha-Yoga beschrieben: Prāṇāyāma, dem gezielten und über die Praxis von āsana hinaus verfeinerten Umgang mit der Lebensenergie Prāṇa.

Zu guter Letzt – Wer kann üben?

Der vielfältige Nutzen, den Menschen aus dieser Art zu üben ziehen können, wird in der Haṭhapradīpikā so beschrieben: Diejenigen, die alle möglichen anderen Arten von Yoga praktizieren, können den Haṭha-Yoga als Unterstützung nutzen. (HYP, 1. Kapitel, Vers 10)

Yogi Bramhānanda nennt in seinem Kommentar Beispiele für diese anderen Yogaarten:

  • Mantrayoga, der mithilfe des intensiven Rezitierens bestimmter Silben oder Passagen aus den Veden den Geist erreichen will
  • Karmayoga, der dieses Ziel mithilfe achtsamer und absichtsloser Alltagsverrichtungen anstrebt

Auch wenn der Schwerpunkt im Yoga anders gelegt wird, kann Haṭha-Yoga von großem Nutzen sein. Viele Menschen verstehen Āsana und Prāṇāyāma als Unterstützung für ihre eigene Praxis, sei es im Zen, einer Vipassana-Meditation oder einer Sufi-Praxis. Vor allem aber kann „Haṭha-Yoga ... eine Zuflucht sein für diejenigen, die von allerlei Leiden geplagt werden“, heißt es an gleicher Stelle (HYP, 1. Kapitel, Vers 10).

Keine Vorbedingungen also für jemanden, der mit dem Üben beginnen will, im Gegenteil, Haṭha-Yoga kann Zuflucht sein für die, die leiden!

Der Text wird noch deutlicher in diesem Anliegen, wenn er später im gleichen Kapitel erklärt: Egal ob jung, erwachsen oder sehr alt, ob krank oder schwach – jeder, der unermüdlich Haṭha-Yoga übt, kann Erfolg erlangen (HYP, 1. Kapitel, Vers 64).

So jedenfalls verspricht es die Haṭhapradīpikā. ▼

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