Yoga für Menschen mit Tinnitus

In den vergangenen Jahren ist das Anwachsen einer Gruppe von Menschen zu beobachten, die unter Störungen ihres Gehörs leiden. Das Wahr­nehmen von plagenden Geräuschen, die in Zusammen­hang mit einer solchen Störung auftreten, nennt man Tinnitus. Immer häufiger suchen Menschen auch Hilfe im Yoga.

Wenn ein Mensch Āsana auf die richtige Art und Weise übt, hat das zur Folge, dass er auch durch extreme Einflüsse nicht aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Dies wird im alten grundlegenden Text des Yoga, dem Yoga Sūtra von Patañjali, hervorgehoben. Kaum ein anderer Satz scheint mir so gut auf die Situation von Menschen zu passen, die an Ohrgeräuschen leiden. Ohrgeräusche sind ein solch extremer Einfluss. Ohrgeräusche sind keine neue Erscheinung des neunzehnten Jahr­hunderts.

Im überarbeiteten Artikel, ursprünglich erschienen in Viveka Heft 17 (1999), beschreibt Gabriele Bilitewsky ihre Erfahrungen aus der Perspektive einer Yogalehrerin in der Arbeit mit Menschen mit Tinnitus.

Yoga für Menschen mit Tinnitus

In den vergangenen Jahren ist das Anwachsen einer Gruppe von Menschen zu beobachten, die unter Störungen ihres Gehörs leiden. Das Wahr­nehmen von plagenden Geräuschen, die in Zusammen­hang mit einer solchen Störung auftreten, nennt man Tinnitus. Immer häufiger suchen Menschen auch Hilfe im Yoga.

Wenn ein Mensch Āsana auf die richtige Art und Weise übt, hat das zur Folge, dass er auch durch extreme Einflüsse nicht aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Dies wird im alten grundlegenden Text des Yoga, dem Yoga Sūtra von Patañjali, hervorgehoben. Kaum ein anderer Satz scheint mir so gut auf die Situation von Menschen zu passen, die an Ohrgeräuschen leiden. Ohrgeräusche sind ein solch extremer Einfluss. Ohrgeräusche sind keine neue Erscheinung des neunzehnten Jahr­hunderts.

Im überarbeiteten Artikel, ursprünglich erschienen in Viveka Heft 17 (1999), beschreibt Gabriele Bilitewsky ihre Erfahrungen aus der Perspektive einer Yogalehrerin in der Arbeit mit Menschen mit Tinnitus.

Yoga für Menschen mit Tinnitus

In den vergangenen Jahren ist das Anwachsen einer Gruppe von Menschen zu beobachten, die unter Störungen ihres Gehörs leiden. Das Wahr­nehmen von plagenden Geräuschen, die in Zusammen­hang mit einer solchen Störung auftreten, nennt man Tinnitus. Immer häufiger suchen Menschen auch Hilfe im Yoga.

Wenn ein Mensch Āsana auf die richtige Art und Weise übt, hat das zur Folge, dass er auch durch extreme Einflüsse nicht aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Dies wird im alten grundlegenden Text des Yoga, dem Yoga Sūtra von Patañjali, hervorgehoben. Kaum ein anderer Satz scheint mir so gut auf die Situation von Menschen zu passen, die an Ohrgeräuschen leiden. Ohrgeräusche sind ein solch extremer Einfluss. Ohrgeräusche sind keine neue Erscheinung des neunzehnten Jahr­hunderts.

Im überarbeiteten Artikel, ursprünglich erschienen in Viveka Heft 17 (1999), beschreibt Gabriele Bilitewsky ihre Erfahrungen aus der Perspektive einer Yogalehrerin in der Arbeit mit Menschen mit Tinnitus.

Auf der Suche nach der Tinnitus-Reihe

Als vermehrt Menschen mit Ohrgeräuschen meinen Unterricht aufsuchten, entstand in mir der Wunsch, mithilfe meiner Yoga-Vorschläge diese Geräusche möglichst schnell zu beseitigen. Der Leidensdruck dieser Personen war sehr hoch, viele hatten über Jahre hinweg erfolglos verschiedene Therapien ausprobiert. Ihr Alltag und Berufsleben waren stark beeinträchtigt, persönliche Beziehungen schwer belastet. Manche fühlten sich durch die Verstärkung der Symptome in Gruppensituationen mit hohem Nebengeräuschpegel isoliert. Häufig kamen lang anhaltende Schlafstörungen hinzu, die zu extremer Erschöpfung und erhöhter Empfindlichkeit führten. Oft befanden sich Menschen, die Yoga wegen ihrer Tinnitus-Beschwerden praktizieren wollten, gleichzeitig in psychotherapeutischer Behandlung. Diese war oft notwendig, forderte jedoch durch die Auseinandersetzung mit schmerzhaften Lebensthemen zusätzliche Kräfte.

Ich suchte nach der geeigneten Tinnitus-Therapie, genauer gesagt nach präzisen Körperübungen und effektiven Atemtechniken, die die störende Symptomatik möglichst schnell lindern sollten. Meine Hoffnung war, dass sich durch mein Angebot, ähnlich wie bei der Arbeit mit Rückenschmerzpatienten, eine gewisse Sicherheit einstellen würde: Diese Übungen sind ausgeschlossen, mit diesen kann man beginnen und – bei gutem Verlauf – können die Übungen weiterentwickelt werden.

Abb. 1

(Abb. 1) Francisco José de Goya (1746–1828), litt selbst unter Ohrgeräuschen, die sich 1791 bis zum völligen Verlust des Hörvermögens steigerten. In dem Ausschnitt eines Blattes aus den Caprichos (entstanden um 1797) stellt er sie als Dämonen dar, die über ihre Opfer herfallen.

Tinnitus hat vielfältige Ursachen

Mittlerweile ist mir klar, dass es keine einheitliche Tinnitus-Reihe gibt. Es scheint mir manchmal, dass kaum eine menschliche Störung einen so unberechenbaren Verlauf hat und die Vorgehensweise so individuell an die einzelnen Personen angepasst und in engem Dialog mit ihnen verändert werden muss, wie bei Menschen mit Ohrgeräuschen. Dies ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass Tinnitus-Patienten mit sehr unterschiedlichen ärztlichen Diagnosen bezüglich der Ursachen ihrer Erkrankung kommen. Die Gründe können vielfältig sein:

  • Ohrgeräusche infolge von Nasennebenhöhleninfektionen
  • durch beruflichen oder privaten Stress ausgelöste Beschwerden
  • Bluthochdruck
  • Bandscheibenprobleme im Bereich der Halswirbelsäule
  • Hirntumor-Operation …

Selten gibt es nur eine Erklärung für das Phänomen.

Was jedoch alle Betroffenen gemeinsam haben, ist die Erfahrung, dass Lärm sowie emotionaler oder beruflicher Stress die Beschwerden verstärken oder auslösen können.

Ausatmen

In dieser Situation, in der es um die Entwicklung einer Yoga-Praxis geht, gibt es keine Übungen, die grundsätzlich ausgeschlossen sind. Jede Übung muss individuell erprobt werden. Was heute nicht möglich war oder als symptomverstärkend empfunden wurde, kann in der nächsten Woche angenehm sein und umgekehrt. Dies gilt insbesondere für die ersten Monate des Übens.

Ich habe inzwischen gelernt, dass bei der Begleitung von Tinnitus-Betroffenen vor allem eines wichtig ist: der betroffenen Person Zeit zu geben, Geduld zu entwickeln und Vertrauen zu fassen.

Dies ist besonders wichtig, da viele durch zahlreiche fehlgeschlagene Therapieversuche ihr Vertrauen verloren haben. Es gibt kaum eine Gruppe von Menschen, die so stark ermutigt und motiviert werden müssen, wie diejenigen, die an Ohrgeräuschen leiden. Obwohl die Ansätze für das Yoga-Üben aufgrund der Krankheitsursachen oder der subjektiven Befindlichkeit unterschiedlich sein können, gibt es eine Leitlinie für die Planung der Übungsreihen:

Im Mittelpunkt sollten Körper- und Atemübungen stehen, die eine Verlängerung des Ausatmens bewirken, wie Vorbeugen oder sanfte Drehungen. Sie helfen, Spannung und Stress abzubauen. Welche Übungen dabei angemessen sind, muss jedoch individuell ermittelt werden. Das Koppeln des Atems mit Tönen kann zur Verlängerung des Ausatmens hilfreich sein und lässt das Ohrgeräusch in den Hintergrund treten. Allerdings wird das Tönen manchmal als unangenehm empfunden.

Anfangs zögerte ich, jemanden mit Tinnitus anspruchsvollere Übungen ausführen zu lassen. Mittlerweile habe ich diese Bedenken aufgegeben.

Besonders jüngere Menschen benötigen und wünschen dies, auch wenn sich das Ohrgeräusch während der Bewegung kurzfristig verstärken kann. Bei der Beurteilung der Wirksamkeit des Yoga-Übens ist es wichtig, die Auswirkungen auf das alltägliche Befinden (innere Ruhe, Ausgeglichenheit oder Stressanfälligkeit, Verschlechterung oder Verbesserung der Symptome) zu berücksichtigen. Diese treten oft erst nach einem längeren Zeitraum regelmäßigen Übens auf.
Eine kleine Umfrage unter meinen Yoga-Schülerinnen und Schülern mit Ohrgeräuschen bestätigt dies. Alle betonten die Wichtigkeit des täglichen Übens für mehrere Wochen, um eine spürbare Verbesserung zu erzielen. Das Unterbrechen der Übungspraxis, etwa im Urlaub, führte zu einer Verschlechterung, ebenso wenn das Üben weniger als fünfmal pro Woche erfolgte.

Die Atemübungen waren für alle Befragten besonders wichtig. Viele Betroffene hielten auch den Gruppenunterricht für sehr wichtig. Der Austausch mit anderen, denen Yoga geholfen hat, und die Stärkung der Motivation für das eigene Üben zu Hause spielen dabei eine große Rolle. Das eher stille, aber gemeinsame Üben in der Yogagruppe ermöglicht eine positive Gruppenerfahrung. Es hilft, die Isolation zu überwinden, die sich durch die Vermeidung von Gruppen aufgrund der erhöhten Geräuschempfindlichkeit bei Tinnitus entwickelt hat.

Zwei Beispiele

Ich möchte anhand von zwei Beispielen zeigen, wie unterschiedlich individuelle Übungsreihen für zu Hause aussehen können. Ich nenne sie hier Gerd S. und Melitta K. Beide sind Anfang dreißig und leiden seit mehreren Jahren an Ohrgeräuschen. Aufgrund ihrer Erkrankung mussten sie ihren Beruf aufgeben oder ihr Studium unterbrechen. Sie üben seit etwa einem Jahr regelmäßig Yoga in einer persönlichen Übungsreihe und zusätzlich einmal pro Woche im Gruppenunterricht.

Beispiel 1

Gerd S. erlebte zum ersten Mal Ohrgeräusche nach schweren familiären Belastungen. Trotz umfangreicher ärztlicher Untersuchungen gab es keine Diagnose, die auf eine körperliche Ursache hindeuten würde.
Aufgrund von Schlafstörungen, die durch seinen Tinnitus verursacht wurden, war Gerd S. sehr erschöpft. Selbst eine sehr sanfte, kurze Yoga-Übungsreihe im Sitzen war manchmal zu anstrengend für ihn. Er befand sich in psychotherapeutischer Behandlung. Als er mit dem Yoga-Üben anfing, war seine Geräuschempfindlichkeit extrem hoch. Ich musste bei jeder Unterrichtsstunde die Heizungsanlage abschalten, weil er das leise Rauschen im Raum nicht ertragen konnte. Auffällig war, dass er seinen Nacken nicht frei bewegen konnte und sein Atem unruhig und flach war. Es gab kaum eine Bewegung, die er ausführen konnte, ohne sie als zu anstrengend zu empfinden oder eine Verstärkung des Ohrgeräusches zu bemerken.

Nach jeder Übung lauschte er ängstlich in sich hinein.

Es war schwierig, aus den verbleibenden Übungen nach dem Testen ein zusammenhängendes Übungsprogramm zu erstellen. Letztlich entwickelte ich mit ihm ein einfaches Programm, mit dem sich Gerd S. wohlfühlte: Es sollte:

  • Bewegung in den Schulter-Nackenbereich bringen, um die vorhandene Spannung etwas zu reduzieren
  • Durch die Verbindung von Atem und Bewegung sowie die Verlängerung des Ausatems durch Tönen in einfachen Körperübungen sollte das unruhige Atemmuster harmonisiert werden

Ich bat ihn, diese kurze Übungsreihe, etwa 15 Minuten (Abb. 2) zweimal täglich durchzuführen – Kursvorschlag 1.

Abb. 2

Nach drei Tagen rief er an und teilte mir mit, dass ihm das Üben mit den Tönen besonders gut gefiel und ihn beruhigte. Allerdings fand er das Üben zweimal am Tag oft zu anstrengend. Daher ließ ich ihn täglich selbst entscheiden, wie oft er üben wollte.

Das Gespräch wurde zu einem wichtigen Teil der Yoga-Begleitung. Es half ihm, Vertrauen in das Üben zu gewinnen, sich mit seinen Schwierigkeiten angenommen zu fühlen und seine überängstliche Körperbeobachtung zugunsten eines größeren Selbstvertrauens zu überwinden.
Als Gerd S. nach zehn Tagen zurückkehrte, waren die Ohrgeräusche nicht weniger geworden, aber er hatte etwas erholsamer geschlafen. Das Atemmuster hatte sich deutlich verbessert. Auch die Bewegungseinschränkungen im Nacken hatten sich etwas gelockert.
Da er weiterhin Freude am Tönen beim Üben fand, schlug ich ihm vor, beim Ausatmen Silben zu singen. Das Rezitieren dieser Silben und einiger Passagen aus alten Sanskrittexten wurde zu einem festen Bestandteil unserer Treffen und seiner Übungen. Für Gerd S. wurde es im Alltag zu einem Selbsthilfeinstrument.
Wenn das Ohrgeräusch unerträglich wurde, half er sich mit dem Rezitieren – soweit es die Alltagssituation zuließ – und konnte so oft seine aufkommende Panik überwinden. Bereits nach acht Wochen machte ich das Programm etwas anspruchsvoller (Abb. 3) – Kursvorschlag 2.
Nun konnte Gerd S. sich intensiv spüren, ohne dass das Ohrgeräusch sich verschlimmerte. Der Atem, immer verbunden mit dem Tönen, wurde lang und tief. Er empfand während dieser Übungen zunehmend eine ganz große Ruhe im Bauch.
Ein wichtiger Schritt war der Übergang vom lauten zum mentalen Tönen nach etwa acht Monaten. Während der äußere Klang zunächst den Tinnitus nur übertönt hatte, konnte Gerd S. jetzt den Atem nur durch die Erinnerung an den Klang beruhigen, ohne dass die Aufmerksamkeit auf das Ohrgeräusch verlagert wurde. Dies erleichterte ihm auch viele Alltagssituationen.

Abb. 3

Gerd S. übt mittlerweile im Gruppenunterricht sogar sehr anstrengende Übungsfolgen, ohne sich überfordert zu fühlen. Er hat sein Studium wieder aufgenommen, fühlt sich deutlich belastbarer und kommt meist ohne Schlaftabletten durch die Nacht.
Das Ohrgeräusch ist bis heute nicht verschwunden. Im Gegensatz zum Beginn des Yoga-Übens, wo die Situation als durchweg schlecht und fast unerträglich beschrieben wurde, gibt es jedoch unterschiedliche Modalitäten und Zeiten. Es gibt Phasen, in denen das Geräusch deutlich hörbar und lästig ist, Zeiten, in denen es unangenehm und schmerzhaft verstärkt wird, sowie Zeiten, in denen es vollständig verschwunden ist. Selbst in den schwierigen Zeiten hat Gerd S. gelernt, mit seinem Ohrgeräusch umzugehen und seinen Alltag trotzdem zu bewältigen.

Beispiel 2

Melitta K. erlebte ihre ersten Symptome während einer Entziehungskur. Sie nahm an einem meiner Stressbewältigungskurse teil, in dem sie Yoga ausprobierte. Dort konnte sie fast alle Übungen problemlos ausführen. Sie ist sportlich und liebt die Herausforderungen beim Yoga. Sie kam zum Einzelunterricht, um durch tägliches Üben mehr innere Ausgeglichenheit zu erreichen. Ihr Tinnitus, der beidseitig auftritt und in wechselnder Lautstärke erscheint, manchmal mit sehr quälenden Pfeiftönen, führte dazu, dass sie ihren Beruf als Orchestermusikerin und Klavierlehrerin aufgeben musste.
Ihre große innere Unruhe, in Verbindung mit starkem Zigarettenkonsum, konnte sich so steigern, dass ihr ganzer Körper wie unter Strom stand und ein ständiges Zittern alle Bewegungen begleitete. Aus dem Gruppenunterricht hat sie die Erfahrung mitgebracht, dass das Nachspüren nach den Übungen ihr besonders zu einem intensiveren Körpergefühl und größerer Feinfühligkeit im Umgang mit sich selbst verhalf.
Auch die Atemübungen taten ihr sehr gut. Bei Melitta K. führten viele Bewegungen zunächst zu einer Verstärkung des Ohrgeräuschs. Atem- und Spürübungen hingegen bekamen von Anfang an großen Raum und sie übte abends. Im Gegensatz zu Gerd S. empfand Melitta K. das Tönen als unangenehm, weshalb der Ausatem in den Atemübungen mithilfe einer anderen Technik verlängert werden sollte. Das Muskelzittern verbesserte sich zeitnah deutlich. Melitta K. wünschte sich Übungen, die sie körperlich mehr forderten. Sie wollte lieber morgens statt abends üben, um besser in Schwung zu kommen und einen bewussten Tagesanfang zu haben, der aufgrund ihrer Erwerbslosigkeit nicht von außen vorgegeben wurde.
Drehungen im Sitzen, Liegen oder Stehen erwiesen sich bei ihr als ungünstig, da sie regelmäßig einen Pfeifton auslösten. Mit der Atemtechnik des Śītālī, bei der das Einatmen mithilfe der Zunge und das Ausatmen an der Kehle reguliert wird, machte Melitta K. gute Erfahrungen. Ihre Zukunftspläne, sich beruflich neu zu orientieren und eine Umschulung zu beginnen, nahmen im Gespräch einen großen Raum ein und wurden am Ende ihrer Übungspraxis durch eine reflektierende Meditation zum Ausdruck gebracht.

In der Umfrage unter meinen Patienten mit Tinnitus antwortete sie auf die Frage: Welche Erwartungen habe/hatte ich in Bezug auf Yoga?

Ein wenig mehr Ausgeglichenheit hat sich bereits erfüllt. Dies hängt natürlich auch von meiner persönlichen Bereitschaft ab, mir die Zeit zu nehmen, die ich dafür benötige. Wichtig: Kurzfristige vermehrte Tinnitus-Beschwerden, zum Beispiel beim Sport oder Yoga, messe ich mittlerweile keinerlei Bedeutung bei! Es sei denn, sie werden direkt durch Lärm verursacht. Langfristige Ausgeglichenheit ist für mich viel wichtiger, sie macht den Tinnitus leiser, und vorhandene Geräusche stören mich dann viel weniger.

Abb. 4

Nach fast einem Jahr regelmäßigen Übens hat sich Melitta K.s Gesundheit stabilisiert. Bei täglichem Üben (Abb. 3) – Kursvorschlag 1, gibt es im Alltag keine Beeinträchtigungen mehr. Bei sehr großen Lautstärken und bestimmten Frequenzen entsteht manchmal noch ein lauter Pfeifton, der jedoch wieder verschwindet. Yogaübungen, die zuvor symptomverstärkend wirkten, wie Vorbeugen im Stehen oder Drehungen, sind nun wieder möglich (Abb. 4) – Kursvorschlag 2.

Abb. 5

Melitta K. findet inzwischen viel Freude am Tönen. Daher bin ich zuversichtlich, dass sie in einiger Zeit auch wieder uneingeschränkt Musik genießen kann. Sie hat bereits erfolgreich die ersten Schritte in Richtung ihres neuen Berufes gemeistert.

Offen für neue Erfahrungen

In meiner Erfahrung mit dem Unterrichten eines anderen Tinnitus betroffenen habe ich erlebt, wie wichtig es ist, offen für positive Erfahrungen zu sein, die Übende aus anderen Therapien mitbringen. Ansgar W., Mitte vierzig, ist ein Mann mit stark eingeschränkter Hörfähigkeit, einem Ohrgeräusch und Schwindelanfällen, die im Rahmen eines akuten Hörsturzes auftraten.

Bevor er Yogaunterricht bei mir nahm, hatte er verschiedene Methoden ausprobiert, darunter auch positive Erfahrungen mit einem sogenannten biomentalen Training gemacht.
In diesem Training lernte er, Klänge und Geräusche im eigenen Körper als Entspannungsmedium zu nutzen und sie in den Entspannungsprozess zu integrieren, anstatt sie als Stressoren zu empfinden. Ich konnte diesen Ansatz in die Yogapraxis integrieren, obwohl es einige Zeit dauerte, bis ich die passenden Töne – anfangs unterstützt durch Kassetten – in die Übungen einführen konnte, die in diesem Fall in eine Meditation mündeten.

Durch diesen Fall lernte ich, dass es sich lohnt, Anregungen aus anderen Therapien aufzugreifen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn wir die Übungssysteme nicht einfach durcheinander mischen. Vielmehr geht es darum, die zugrunde liegende Erfahrung der Betroffenen wirklich zu verstehen und diese Erkenntnis für die Auswahl der passenden Yogamethoden zu nutzen.

Krankheit – Leiden – Behandlung – Heilung

Gerade in der Begleitung von Tinnitus-Patienten bewegt mich immer wieder die Erkenntnis, dass so viele Heilungsmöglichkeiten im menschlichen Geist existieren. Ich staune jedes Mal, welche Entwicklungschancen sich in scheinbar festgefahrenen Situationen ergeben, wenn unser Geist beginnt, sich zu verändern. Zwei wichtige Unterscheidungen helfen mir, meine Yoga-Arbeit besser zu verstehen:

Zwischen Krankheit und Leiden und zwischen medizinischer Behandlung und Heilung.

Krankheit können wir mit medizinischen Begriffen beschreiben, während Leiden die persönliche Erfahrung eines Menschen mit seiner Krankheit umfasst. Eine Krankheit können wir mit medizinischen Methoden behandeln. Heilung hingegen entsteht aus den inneren Kräften eines Menschen.

Wir wissen, dass die Heilung von innen kommt. Und wir wissen auch, dass diese innere Kraft sowohl positiv als auch negativ beeinflusst werden kann –durch andere Menschen oder durch die Umgebung.

Wie können wir diese Quelle der Heilung in uns erreichen und damit arbeiten? T.K.V. Desikachar: Health, Healing and Beyond. Yoga and the living Tradition of Krishnamacharya, 122 f.

Genau an diesem Punkt setzt das Übungssystem des Yoga an. Mir scheint, als würden selbst die besten Therapien bei manchen Menschen scheitern, weil der Zugang zur inneren Heilung bislang nicht geebnet ist. So entsteht ein Teufelskreis: Jemand leidet an den Symptomen einer Krankheit, was zu Einschränkungen im Alltag und Beruf führt und Ängste hervorruft. Die Symptome verstärken sich.

Wenn es gelingt, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, indem wir uns ein- oder zweimal täglich mit unserem Körper wohlfühlen, den freien Fluss des Atems spüren und ganz bei uns sind, werden zuvor gebundene Selbstheilungskräfte freigesetzt. Im Rahmen von Therapien mag es allgemeingültige Behandlungsmethoden und symptomlindernde Medikamente für alle Erkrankten geben. Aber wie wir die innere Heilquelle eines Menschen erreichen können, dafür gibt es kein Patentrezept. Dieser Zugang muss individuell in der vertrauensvollen Begegnung zwischen Yogalehrer und Schüler gefunden werden.

  • Für den einen mag dies durch die Erfahrung von Leichtigkeit und Kraft in den Yoga-Haltungen geschehen.
  • Für den anderen öffnet sich die Tür zur Heilung, vielleicht durch das Erleben der befreienden Kraft ihres Atems.
  • Eine dritte Person fühlt sich in der Begleitung durch den Lehrer uneingeschränkt angenommen, erlebt, dass Zeit für Gespräche und gemeinsames Nachdenken über Schwierigkeiten vorhanden ist. Der Blick weitet sich. Freiraum für Heilung entsteht.
  • Andere finden zu ihrer inneren Kraft zurück durch die Wirkungen eines Klangs beim Üben, durch ein Gebet oder den inneren Frieden, den eine gelungene Meditation vermittelt.

Es gibt so viele Möglichkeiten, wie es Menschen gibt. Aus der Sicht des Yoga benötigt Heilung jedoch immer auch eines: individuelle und langfristige Begleitung und Unterstützung. ▼

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Wer mehr über den hier beschriebenen Zugang zu Tinnitus erfahren will, findet Unterstützung und viele anregende Informationen hauptsächlich bei der Deutschen Tinnitus-Liga e.V.

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Auf der Suche nach der Tinnitus-Reihe

Als vermehrt Menschen mit Ohrgeräuschen meinen Unterricht aufsuchten, entstand in mir der Wunsch, mithilfe meiner Yoga-Vorschläge diese Geräusche möglichst schnell zu beseitigen. Der Leidensdruck dieser Personen war sehr hoch, viele hatten über Jahre hinweg erfolglos verschiedene Therapien ausprobiert. Ihr Alltag und Berufsleben waren stark beeinträchtigt, persönliche Beziehungen schwer belastet. Manche fühlten sich durch die Verstärkung der Symptome in Gruppensituationen mit hohem Nebengeräuschpegel isoliert. Häufig kamen lang anhaltende Schlafstörungen hinzu, die zu extremer Erschöpfung und erhöhter Empfindlichkeit führten. Oft befanden sich Menschen, die Yoga wegen ihrer Tinnitus-Beschwerden praktizieren wollten, gleichzeitig in psychotherapeutischer Behandlung. Diese war oft notwendig, forderte jedoch durch die Auseinandersetzung mit schmerzhaften Lebensthemen zusätzliche Kräfte.

Ich suchte nach der geeigneten Tinnitus-Therapie, genauer gesagt nach präzisen Körperübungen und effektiven Atemtechniken, die die störende Symptomatik möglichst schnell lindern sollten. Meine Hoffnung war, dass sich durch mein Angebot, ähnlich wie bei der Arbeit mit Rückenschmerzpatienten, eine gewisse Sicherheit einstellen würde: Diese Übungen sind ausgeschlossen, mit diesen kann man beginnen und – bei gutem Verlauf – können die Übungen weiterentwickelt werden.

Abb. 1

(Abb. 1) Francisco José de Goya (1746–1828), litt selbst unter Ohrgeräuschen, die sich 1791 bis zum völligen Verlust des Hörvermögens steigerten. In dem Ausschnitt eines Blattes aus den Caprichos (entstanden um 1797) stellt er sie als Dämonen dar, die über ihre Opfer herfallen.

Tinnitus hat vielfältige Ursachen

Mittlerweile ist mir klar, dass es keine einheitliche Tinnitus-Reihe gibt. Es scheint mir manchmal, dass kaum eine menschliche Störung einen so unberechenbaren Verlauf hat und die Vorgehensweise so individuell an die einzelnen Personen angepasst und in engem Dialog mit ihnen verändert werden muss, wie bei Menschen mit Ohrgeräuschen. Dies ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass Tinnitus-Patienten mit sehr unterschiedlichen ärztlichen Diagnosen bezüglich der Ursachen ihrer Erkrankung kommen. Die Gründe können vielfältig sein:

  • Ohrgeräusche infolge von Nasennebenhöhleninfektionen
  • durch beruflichen oder privaten Stress ausgelöste Beschwerden
  • Bluthochdruck
  • Bandscheibenprobleme im Bereich der Halswirbelsäule
  • Hirntumor-Operation …

Selten gibt es nur eine Erklärung für das Phänomen.

Was jedoch alle Betroffenen gemeinsam haben, ist die Erfahrung, dass Lärm sowie emotionaler oder beruflicher Stress die Beschwerden verstärken oder auslösen können.

Ausatmen

In dieser Situation, in der es um die Entwicklung einer Yoga-Praxis geht, gibt es keine Übungen, die grundsätzlich ausgeschlossen sind. Jede Übung muss individuell erprobt werden. Was heute nicht möglich war oder als symptomverstärkend empfunden wurde, kann in der nächsten Woche angenehm sein und umgekehrt. Dies gilt insbesondere für die ersten Monate des Übens.

Ich habe inzwischen gelernt, dass bei der Begleitung von Tinnitus-Betroffenen vor allem eines wichtig ist: der betroffenen Person Zeit zu geben, Geduld zu entwickeln und Vertrauen zu fassen.

Dies ist besonders wichtig, da viele durch zahlreiche fehlgeschlagene Therapieversuche ihr Vertrauen verloren haben. Es gibt kaum eine Gruppe von Menschen, die so stark ermutigt und motiviert werden müssen, wie diejenigen, die an Ohrgeräuschen leiden. Obwohl die Ansätze für das Yoga-Üben aufgrund der Krankheitsursachen oder der subjektiven Befindlichkeit unterschiedlich sein können, gibt es eine Leitlinie für die Planung der Übungsreihen:

Im Mittelpunkt sollten Körper- und Atemübungen stehen, die eine Verlängerung des Ausatmens bewirken, wie Vorbeugen oder sanfte Drehungen. Sie helfen, Spannung und Stress abzubauen. Welche Übungen dabei angemessen sind, muss jedoch individuell ermittelt werden. Das Koppeln des Atems mit Tönen kann zur Verlängerung des Ausatmens hilfreich sein und lässt das Ohrgeräusch in den Hintergrund treten. Allerdings wird das Tönen manchmal als unangenehm empfunden.

Anfangs zögerte ich, jemanden mit Tinnitus anspruchsvollere Übungen ausführen zu lassen. Mittlerweile habe ich diese Bedenken aufgegeben.

Besonders jüngere Menschen benötigen und wünschen dies, auch wenn sich das Ohrgeräusch während der Bewegung kurzfristig verstärken kann. Bei der Beurteilung der Wirksamkeit des Yoga-Übens ist es wichtig, die Auswirkungen auf das alltägliche Befinden (innere Ruhe, Ausgeglichenheit oder Stressanfälligkeit, Verschlechterung oder Verbesserung der Symptome) zu berücksichtigen. Diese treten oft erst nach einem längeren Zeitraum regelmäßigen Übens auf.
Eine kleine Umfrage unter meinen Yoga-Schülerinnen und Schülern mit Ohrgeräuschen bestätigt dies. Alle betonten die Wichtigkeit des täglichen Übens für mehrere Wochen, um eine spürbare Verbesserung zu erzielen. Das Unterbrechen der Übungspraxis, etwa im Urlaub, führte zu einer Verschlechterung, ebenso wenn das Üben weniger als fünfmal pro Woche erfolgte.

Die Atemübungen waren für alle Befragten besonders wichtig. Viele Betroffene hielten auch den Gruppenunterricht für sehr wichtig. Der Austausch mit anderen, denen Yoga geholfen hat, und die Stärkung der Motivation für das eigene Üben zu Hause spielen dabei eine große Rolle. Das eher stille, aber gemeinsame Üben in der Yogagruppe ermöglicht eine positive Gruppenerfahrung. Es hilft, die Isolation zu überwinden, die sich durch die Vermeidung von Gruppen aufgrund der erhöhten Geräuschempfindlichkeit bei Tinnitus entwickelt hat.

Zwei Beispiele

Ich möchte anhand von zwei Beispielen zeigen, wie unterschiedlich individuelle Übungsreihen für zu Hause aussehen können. Ich nenne sie hier Gerd S. und Melitta K. Beide sind Anfang dreißig und leiden seit mehreren Jahren an Ohrgeräuschen. Aufgrund ihrer Erkrankung mussten sie ihren Beruf aufgeben oder ihr Studium unterbrechen. Sie üben seit etwa einem Jahr regelmäßig Yoga in einer persönlichen Übungsreihe und zusätzlich einmal pro Woche im Gruppenunterricht.

Beispiel 1

Gerd S. erlebte zum ersten Mal Ohrgeräusche nach schweren familiären Belastungen. Trotz umfangreicher ärztlicher Untersuchungen gab es keine Diagnose, die auf eine körperliche Ursache hindeuten würde.
Aufgrund von Schlafstörungen, die durch seinen Tinnitus verursacht wurden, war Gerd S. sehr erschöpft. Selbst eine sehr sanfte, kurze Yoga-Übungsreihe im Sitzen war manchmal zu anstrengend für ihn. Er befand sich in psychotherapeutischer Behandlung. Als er mit dem Yoga-Üben anfing, war seine Geräuschempfindlichkeit extrem hoch. Ich musste bei jeder Unterrichtsstunde die Heizungsanlage abschalten, weil er das leise Rauschen im Raum nicht ertragen konnte. Auffällig war, dass er seinen Nacken nicht frei bewegen konnte und sein Atem unruhig und flach war. Es gab kaum eine Bewegung, die er ausführen konnte, ohne sie als zu anstrengend zu empfinden oder eine Verstärkung des Ohrgeräusches zu bemerken.

Nach jeder Übung lauschte er ängstlich in sich hinein.

Es war schwierig, aus den verbleibenden Übungen nach dem Testen ein zusammenhängendes Übungsprogramm zu erstellen. Letztlich entwickelte ich mit ihm ein einfaches Programm, mit dem sich Gerd S. wohlfühlte: Es sollte:

  • Bewegung in den Schulter-Nackenbereich bringen, um die vorhandene Spannung etwas zu reduzieren
  • Durch die Verbindung von Atem und Bewegung sowie die Verlängerung des Ausatems durch Tönen in einfachen Körperübungen sollte das unruhige Atemmuster harmonisiert werden

Ich bat ihn, diese kurze Übungsreihe, etwa 15 Minuten (Abb. 2) zweimal täglich durchzuführen – Kursvorschlag 1.

Abb. 2

Nach drei Tagen rief er an und teilte mir mit, dass ihm das Üben mit den Tönen besonders gut gefiel und ihn beruhigte. Allerdings fand er das Üben zweimal am Tag oft zu anstrengend. Daher ließ ich ihn täglich selbst entscheiden, wie oft er üben wollte.

Das Gespräch wurde zu einem wichtigen Teil der Yoga-Begleitung. Es half ihm, Vertrauen in das Üben zu gewinnen, sich mit seinen Schwierigkeiten angenommen zu fühlen und seine überängstliche Körperbeobachtung zugunsten eines größeren Selbstvertrauens zu überwinden.
Als Gerd S. nach zehn Tagen zurückkehrte, waren die Ohrgeräusche nicht weniger geworden, aber er hatte etwas erholsamer geschlafen. Das Atemmuster hatte sich deutlich verbessert. Auch die Bewegungseinschränkungen im Nacken hatten sich etwas gelockert.
Da er weiterhin Freude am Tönen beim Üben fand, schlug ich ihm vor, beim Ausatmen Silben zu singen. Das Rezitieren dieser Silben und einiger Passagen aus alten Sanskrittexten wurde zu einem festen Bestandteil unserer Treffen und seiner Übungen. Für Gerd S. wurde es im Alltag zu einem Selbsthilfeinstrument.
Wenn das Ohrgeräusch unerträglich wurde, half er sich mit dem Rezitieren – soweit es die Alltagssituation zuließ – und konnte so oft seine aufkommende Panik überwinden. Bereits nach acht Wochen machte ich das Programm etwas anspruchsvoller (Abb. 3) – Kursvorschlag 2.
Nun konnte Gerd S. sich intensiv spüren, ohne dass das Ohrgeräusch sich verschlimmerte. Der Atem, immer verbunden mit dem Tönen, wurde lang und tief. Er empfand während dieser Übungen zunehmend eine ganz große Ruhe im Bauch.
Ein wichtiger Schritt war der Übergang vom lauten zum mentalen Tönen nach etwa acht Monaten. Während der äußere Klang zunächst den Tinnitus nur übertönt hatte, konnte Gerd S. jetzt den Atem nur durch die Erinnerung an den Klang beruhigen, ohne dass die Aufmerksamkeit auf das Ohrgeräusch verlagert wurde. Dies erleichterte ihm auch viele Alltagssituationen.

Abb. 3

Gerd S. übt mittlerweile im Gruppenunterricht sogar sehr anstrengende Übungsfolgen, ohne sich überfordert zu fühlen. Er hat sein Studium wieder aufgenommen, fühlt sich deutlich belastbarer und kommt meist ohne Schlaftabletten durch die Nacht.
Das Ohrgeräusch ist bis heute nicht verschwunden. Im Gegensatz zum Beginn des Yoga-Übens, wo die Situation als durchweg schlecht und fast unerträglich beschrieben wurde, gibt es jedoch unterschiedliche Modalitäten und Zeiten. Es gibt Phasen, in denen das Geräusch deutlich hörbar und lästig ist, Zeiten, in denen es unangenehm und schmerzhaft verstärkt wird, sowie Zeiten, in denen es vollständig verschwunden ist. Selbst in den schwierigen Zeiten hat Gerd S. gelernt, mit seinem Ohrgeräusch umzugehen und seinen Alltag trotzdem zu bewältigen.

Beispiel 2

Melitta K. erlebte ihre ersten Symptome während einer Entziehungskur. Sie nahm an einem meiner Stressbewältigungskurse teil, in dem sie Yoga ausprobierte. Dort konnte sie fast alle Übungen problemlos ausführen. Sie ist sportlich und liebt die Herausforderungen beim Yoga. Sie kam zum Einzelunterricht, um durch tägliches Üben mehr innere Ausgeglichenheit zu erreichen. Ihr Tinnitus, der beidseitig auftritt und in wechselnder Lautstärke erscheint, manchmal mit sehr quälenden Pfeiftönen, führte dazu, dass sie ihren Beruf als Orchestermusikerin und Klavierlehrerin aufgeben musste.
Ihre große innere Unruhe, in Verbindung mit starkem Zigarettenkonsum, konnte sich so steigern, dass ihr ganzer Körper wie unter Strom stand und ein ständiges Zittern alle Bewegungen begleitete. Aus dem Gruppenunterricht hat sie die Erfahrung mitgebracht, dass das Nachspüren nach den Übungen ihr besonders zu einem intensiveren Körpergefühl und größerer Feinfühligkeit im Umgang mit sich selbst verhalf.
Auch die Atemübungen taten ihr sehr gut. Bei Melitta K. führten viele Bewegungen zunächst zu einer Verstärkung des Ohrgeräuschs. Atem- und Spürübungen hingegen bekamen von Anfang an großen Raum und sie übte abends. Im Gegensatz zu Gerd S. empfand Melitta K. das Tönen als unangenehm, weshalb der Ausatem in den Atemübungen mithilfe einer anderen Technik verlängert werden sollte. Das Muskelzittern verbesserte sich zeitnah deutlich. Melitta K. wünschte sich Übungen, die sie körperlich mehr forderten. Sie wollte lieber morgens statt abends üben, um besser in Schwung zu kommen und einen bewussten Tagesanfang zu haben, der aufgrund ihrer Erwerbslosigkeit nicht von außen vorgegeben wurde.
Drehungen im Sitzen, Liegen oder Stehen erwiesen sich bei ihr als ungünstig, da sie regelmäßig einen Pfeifton auslösten. Mit der Atemtechnik des Śītālī, bei der das Einatmen mithilfe der Zunge und das Ausatmen an der Kehle reguliert wird, machte Melitta K. gute Erfahrungen. Ihre Zukunftspläne, sich beruflich neu zu orientieren und eine Umschulung zu beginnen, nahmen im Gespräch einen großen Raum ein und wurden am Ende ihrer Übungspraxis durch eine reflektierende Meditation zum Ausdruck gebracht.

In der Umfrage unter meinen Patienten mit Tinnitus antwortete sie auf die Frage: Welche Erwartungen habe/hatte ich in Bezug auf Yoga?

Ein wenig mehr Ausgeglichenheit hat sich bereits erfüllt. Dies hängt natürlich auch von meiner persönlichen Bereitschaft ab, mir die Zeit zu nehmen, die ich dafür benötige. Wichtig: Kurzfristige vermehrte Tinnitus-Beschwerden, zum Beispiel beim Sport oder Yoga, messe ich mittlerweile keinerlei Bedeutung bei! Es sei denn, sie werden direkt durch Lärm verursacht. Langfristige Ausgeglichenheit ist für mich viel wichtiger, sie macht den Tinnitus leiser, und vorhandene Geräusche stören mich dann viel weniger.

Abb. 4

Nach fast einem Jahr regelmäßigen Übens hat sich Melitta K.s Gesundheit stabilisiert. Bei täglichem Üben (Abb. 3) – Kursvorschlag 1, gibt es im Alltag keine Beeinträchtigungen mehr. Bei sehr großen Lautstärken und bestimmten Frequenzen entsteht manchmal noch ein lauter Pfeifton, der jedoch wieder verschwindet. Yogaübungen, die zuvor symptomverstärkend wirkten, wie Vorbeugen im Stehen oder Drehungen, sind nun wieder möglich (Abb. 4) – Kursvorschlag 2.

Abb. 5

Melitta K. findet inzwischen viel Freude am Tönen. Daher bin ich zuversichtlich, dass sie in einiger Zeit auch wieder uneingeschränkt Musik genießen kann. Sie hat bereits erfolgreich die ersten Schritte in Richtung ihres neuen Berufes gemeistert.

Offen für neue Erfahrungen

In meiner Erfahrung mit dem Unterrichten eines anderen Tinnitus betroffenen habe ich erlebt, wie wichtig es ist, offen für positive Erfahrungen zu sein, die Übende aus anderen Therapien mitbringen. Ansgar W., Mitte vierzig, ist ein Mann mit stark eingeschränkter Hörfähigkeit, einem Ohrgeräusch und Schwindelanfällen, die im Rahmen eines akuten Hörsturzes auftraten.

Bevor er Yogaunterricht bei mir nahm, hatte er verschiedene Methoden ausprobiert, darunter auch positive Erfahrungen mit einem sogenannten biomentalen Training gemacht.
In diesem Training lernte er, Klänge und Geräusche im eigenen Körper als Entspannungsmedium zu nutzen und sie in den Entspannungsprozess zu integrieren, anstatt sie als Stressoren zu empfinden. Ich konnte diesen Ansatz in die Yogapraxis integrieren, obwohl es einige Zeit dauerte, bis ich die passenden Töne – anfangs unterstützt durch Kassetten – in die Übungen einführen konnte, die in diesem Fall in eine Meditation mündeten.

Durch diesen Fall lernte ich, dass es sich lohnt, Anregungen aus anderen Therapien aufzugreifen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn wir die Übungssysteme nicht einfach durcheinander mischen. Vielmehr geht es darum, die zugrunde liegende Erfahrung der Betroffenen wirklich zu verstehen und diese Erkenntnis für die Auswahl der passenden Yogamethoden zu nutzen.

Krankheit – Leiden – Behandlung – Heilung

Gerade in der Begleitung von Tinnitus-Patienten bewegt mich immer wieder die Erkenntnis, dass so viele Heilungsmöglichkeiten im menschlichen Geist existieren. Ich staune jedes Mal, welche Entwicklungschancen sich in scheinbar festgefahrenen Situationen ergeben, wenn unser Geist beginnt, sich zu verändern. Zwei wichtige Unterscheidungen helfen mir, meine Yoga-Arbeit besser zu verstehen:

Zwischen Krankheit und Leiden und zwischen medizinischer Behandlung und Heilung.

Krankheit können wir mit medizinischen Begriffen beschreiben, während Leiden die persönliche Erfahrung eines Menschen mit seiner Krankheit umfasst. Eine Krankheit können wir mit medizinischen Methoden behandeln. Heilung hingegen entsteht aus den inneren Kräften eines Menschen.

Wir wissen, dass die Heilung von innen kommt. Und wir wissen auch, dass diese innere Kraft sowohl positiv als auch negativ beeinflusst werden kann –durch andere Menschen oder durch die Umgebung.

Wie können wir diese Quelle der Heilung in uns erreichen und damit arbeiten? T.K.V. Desikachar: Health, Healing and Beyond. Yoga and the living Tradition of Krishnamacharya, 122 f.

Genau an diesem Punkt setzt das Übungssystem des Yoga an. Mir scheint, als würden selbst die besten Therapien bei manchen Menschen scheitern, weil der Zugang zur inneren Heilung bislang nicht geebnet ist. So entsteht ein Teufelskreis: Jemand leidet an den Symptomen einer Krankheit, was zu Einschränkungen im Alltag und Beruf führt und Ängste hervorruft. Die Symptome verstärken sich.

Wenn es gelingt, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, indem wir uns ein- oder zweimal täglich mit unserem Körper wohlfühlen, den freien Fluss des Atems spüren und ganz bei uns sind, werden zuvor gebundene Selbstheilungskräfte freigesetzt. Im Rahmen von Therapien mag es allgemeingültige Behandlungsmethoden und symptomlindernde Medikamente für alle Erkrankten geben. Aber wie wir die innere Heilquelle eines Menschen erreichen können, dafür gibt es kein Patentrezept. Dieser Zugang muss individuell in der vertrauensvollen Begegnung zwischen Yogalehrer und Schüler gefunden werden.

  • Für den einen mag dies durch die Erfahrung von Leichtigkeit und Kraft in den Yoga-Haltungen geschehen.
  • Für den anderen öffnet sich die Tür zur Heilung, vielleicht durch das Erleben der befreienden Kraft ihres Atems.
  • Eine dritte Person fühlt sich in der Begleitung durch den Lehrer uneingeschränkt angenommen, erlebt, dass Zeit für Gespräche und gemeinsames Nachdenken über Schwierigkeiten vorhanden ist. Der Blick weitet sich. Freiraum für Heilung entsteht.
  • Andere finden zu ihrer inneren Kraft zurück durch die Wirkungen eines Klangs beim Üben, durch ein Gebet oder den inneren Frieden, den eine gelungene Meditation vermittelt.

Es gibt so viele Möglichkeiten, wie es Menschen gibt. Aus der Sicht des Yoga benötigt Heilung jedoch immer auch eines: individuelle und langfristige Begleitung und Unterstützung. ▼

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Wer mehr über den hier beschriebenen Zugang zu Tinnitus erfahren will, findet Unterstützung und viele anregende Informationen hauptsächlich bei der Deutschen Tinnitus-Liga e.V.

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