Welche Erklärungen?
In den Diskussionen über mögliche Erklärungen der Wirkungen einer therapeutischen Beziehung hat sich in den vergangenen Jahren ein gravierender Wandel vollzogen. So war man früher in der Schulmedizin recht schnell mit dem Hinweis auf den sogenannten Placebo-Effekt zur Hand. Weil sich der Patient einbildet, dass eine von einem Arzt oder Ärztin gegebene Pille einfach helfen muss, hilft sie auch. Auf der anderen Seite war es im alternativen Heilbereich Mode, statt Einbildung die Wirkung wundersamer Energien zu vermuten, die man bei besonderer Begabung auf einen Patienten übertragen könne.
Heute gibt es dagegen sehr fundierte und differenzierte Vorstellungen davon, wie sich die Wirkung des Heilfaktors Beziehung erklären lässt. Es braucht dafür weder den Glauben an geheimnisvolle Energien noch werden Wirkungen, die sich aus der Beziehung PatientIn-TherapeutIn ergeben, als Resultat einer besonders gut entwickelten Einbildungskraft diffamiert.
Um es kurz zu machen: Vertrauen in die Therapeutin, den Therapeuten, Zuversicht in Bezug auf die Möglichkeit einer Heilung mobilisiert ein gutes Zusammenspiel vielfältiger menschlicher Systeme (z. B. auf der Ebene der Hormone, der Immunabwehr, der Psycho-vegetativen Regulation und der neuralen Regulation).
Sie unterstützen die Gesundung und Heilung. Andererseits setzt mangelndes Vertrauen oder gar Ablehnung gegenüber einer therapeutischen Intervention Prozesse im Menschen in Bewegung, die entsprechende Wirkungen mindern oder verhindern können. Das lässt sich nachweislich auf Medikamente ebenso beziehen wie auf die Person der Therapeutin, des Therapeuten.
Mit der unterstützenden und heilenden Wirkung von Beziehung wird in verschiedenen Therapieformen unterschiedlich umgegangen. Für einen chirurgischen Patienten zum Beispiel wird sich die Beziehung zum Arzt vorwiegend darüber herstellen, wie viel Kompetenz dieser vermittelt und wie viel Zeit er sich für ihn nehmen kann. Die Vorgehensweise in bestimmten Formen der Psychotherapie bezieht sich dagegen direkt auf den Aufbau einer intensiven und besonderen Beziehung. Die damit verbundenen Emotionen, Erwartungen usw. werden dann im therapeutischen Prozess selbst thematisiert und genutzt.
Für eine Yogatherapie, so wie sie hier beschrieben wird, gilt: Die Entwicklung einer persönlichen Yogapraxis geht ganz natürlich einher mit dem Aufbau einer Beziehung zwischen YogatherapeutIn und Übendem/r. Die Erfahrung ist, dass sich diese Beziehung in sehr verschiedener Weise gestalten kann. Das gilt für ihre Intensität, für die Bedeutung, die ihr die übende Person gibt; das gilt auch für ihre Inhalte. Je nachdem, wie sich diese Beziehung entwickelt, wird sie schließlich den Heilungsprozess auf unterschiedliche Art beeinflussen. Der Respekt vor dem jeweiligen besonderen Charakter dieser Beziehung ist ein wesentlicher Schlüssel dafür, dass in diesem Kontext erfolgreich gearbeitet werden kann.
Wie immer aber eine solche Beziehung aussehen mag – das darin entstandene Vertrauen ist schließlich einer der wichtigen Aspekte, die die Beziehung wirken lassen.
Tradition
Wenn im Kontext des Yoga von Beziehung zwischen LehrerIn und SchülerIn die Rede ist, werden vielleicht auch Assoziationen geweckt an das in Indien über lange Jahrhunderte einzige und jede Pädagogik beherrschende Unterrichtsmodell. Es lebt von einer ganz besonderen Beziehung zwischen dem Schüler einerseits und dem Lehrer, dem Guru, andererseits. Dieses traditionelle indische Modell kann in der Diskussion um die angemessene Beziehung in einem Heilungsprozess heute im Westen keine Orientierung sein.
Das indische Beziehungsmodell lebt von einer festen, starren und hierarchischen Rollenverteilung, die zuallererst aufseiten des Schülers, der Schülerin ein enormes Maß an Vertrauen, ja oft Unterwerfung einfordert. In alten Texten ist entsprechend viel und ausführlich von den Pflichten der SchülerInnen die Rede, von Regeln, wie sie sich zu verhalten haben, von der Art und Weise, wie sie Respekt gegenüber ihrem Lehrer zu erbringen haben und davon, wie sehr sie sich ohne zu hinterfragen, auf die Anweisungen des Lehrers, der Lehrerin einzulassen haben.
Es macht jedoch sehr viel mehr Sinn, das Vertrauen, das einer Yogalehrerin, einem Yogalehrer entgegengebracht wird, als ein Geschenk zu verstehen. Gegeben vor allem als Reaktion auf ihr oder sein Interesse an dem betroffenen Menschen.
Dieses Vertrauen ist zunächst nur geliehen und es wird von der Yogalehrerin, dem Yogalehrer bei jedem Kontakt neu »verdient«. Vertrauen ist keine Frage der korrekten Erfüllung einer zugewiesenen Rolle wie im indischen Kontext – hier Guru, da SchülerIn. Vertrauen ist auch keine Frage des Willens. Auch kann es nicht eingefordert werden (Sie müssen mir schon vertrauen). Es entwickelt sich langsam auf dem Boden positiver Erfahrungen. Aber es ist von größter Bedeutung. Es ist der Hintergrund, auf dem das Üben einer persönlichen Yogapraxis sich entfaltet.
Ohne Vertrauen eines Yogaübenden in die Yogalehrerin, den Yogalehrer bleibt das Üben behaftet mit Zweifeln. Es wird schnell halbherzig.
Rückschläge beim Üben unterbrechen die kontinuierliche Praxis und lassen Mutlosigkeit und Antriebslosigkeit aufkommen. Anstatt ein Gefühl von »jetzt erst recht« zu wecken, unterbrechen Schwierigkeiten auf diese Weise die Wirkung des kontinuierlichen Impulses, mit dem das regelmäßige Üben am System der Praktizierenden rührt. All das erfährt jemand, der aus Krankheitsgründen oder vorsorgend Yoga übt, intuitiv im Umgang mit seiner Yogatherapeutin, seinem Yogatherapeuten. Der menschliche Kontakt, das Interesse an der Person, an ihrem Befinden, der Respekt für den Menschen, der in Not ist, das hartnäckige Suchen nach dem für sie optimalen Programm, all das stellt die Beziehung her, in der Yoga seine Wirkung durch das Üben entfalten wird.
Die Grundlagen der Beziehung in einem Prozess von Yogatherapie heute im Westen sind also sehr verschieden von denen der indischen Tradition, in der Yoga über die Jahrhunderte vermittelt wurde.
Außer Frage steht jedoch die große Bedeutung, die Beziehung auch im therapeutischen Prozess des Yoga hat und die Tatsache, dass Vertrauen eine wesentliche Kraft in jedem wirklichen Heilungsprozess ist.
Interesse
Es wurde mehrfach erwähnt, dass sich im individuellen Unterrichten von Yoga eine Beziehung ganz natürlich herstellt. Warum natürlich? Weil das Konzipieren, Entwickeln und Vermitteln einer persönlichen Yogapraxis vom Interesse der Lehrenden lebt und sich daraus eine Kommunikation entwickelt, in der Vertrauen wachsen kann. Jedenfalls dann, wenn dieser Unterricht auf professionelle Weise stattfindet. Vonseiten der Lehrerin, des Lehrers braucht es ein wirkliches Interesse an der Person, die mit ihrem Anliegen gekommen ist. Das äußert sich schon in einfachen Fragen wie:
- Was bringt sie zum Yoga?
- Wie äußern sich Beschwerden?
- Unter welchen Umständen verändern sie sich?
- Was hat bisher geholfen?
- Wann am Tag könnte sich die Zeit für eine Praxis finden?
- Wie ging es Ihnen mit Ihren Übungen?
Dieses Interesse äußert sich auch, wenn mithilfe einfacher Übungen die körperlichen Möglichkeiten und Einschränkungen eines Menschen erkundet werden. Oder wenn nach Alternativen für eine Übung gesucht wird, die sich als nicht praktikabel erwiesen hat. Wem ein solches Interesse widerfährt, erlebt dies als Zuwendung, als Empathie. Es ist diese Zuwendung, aus der heraus sich Vertrauen speist. Wer Vertrauen hat, öffnet sich, erzählt, dass sie es nicht geschafft hat, in den vergangenen Wochen zu üben. Und dies ohne Scheu und schlechtes Gewissen. Wer Vertrauen hat, muss einen Schmerz nicht schlimmer machen als er ist, aus dem Gefühl heraus, nicht ernst genommen zu werden. Von dieser Offenheit lebt die Einschätzung von Übungswirkungen und den daraus zu ziehenden Konsequenzen. Vertrauen in die Lehrerin, den Lehrer, in die gegebenen Übungen, in das gesamte Setting liefert also den Boden, ohne den Heilung nicht gedeihen kann.