Diese Artikelreihe widmet sich ganz der Yogapraxis.
Egal, ob du mehr über Meditation oder Prāṇāyāma erfahren möchtest, fundierte Informationen zu einzelnen Āsana suchst oder dich für bestimmte Zielgruppen interessierst – hier wirst du fündig!
Äußere Veränderungen waren schon immer eine wichtige Voraussetzung für die Weiterentwicklung des Yogas.
Unter der Überschrift Tradition – Yoga im Wandel findest du daher nicht nur Artikel zu Hintergrund, Geschichte und wichtigen traditionellen Texten und Schriften, sondern auch Beiträge, die sich unter dem Stichwort TravellingYoga mit Veränderungen und notwendigen Anpassungen im Yoga auseinandersetzen.
Der 2. Teil der Serie Meditation heute stellt neben einem Blick auf die Chakren, ganz die medizinische und psychische Wirkung von Meditation in den Mittelpunkt.
Fortgesetzt wird diese Reihe mit einem weiteren, letzten Artikel. Welches Potenzial hat Meditation für den Wunsch, sich selbst besser zu verstehen und sich zu verändern? Wie kann sie helfen, Sinn und inneren Halt zu geben? Und die Frage: Inwieweit das Yoga Sūtra Übende im Bedeutungswandel von Meditation begleiten und leiten kann und wo dabei seine Grenzen liegen.
Meditation heute – Travelling Yoga
Der 2. Teil der Serie Meditation heute stellt neben einem Blick auf die Chakren, ganz die medizinische und psychische Wirkung von Meditation in den Mittelpunkt.
Fortgesetzt wird diese Reihe mit einem weiteren, letzten Artikel. Welches Potenzial hat Meditation für den Wunsch, sich selbst besser zu verstehen und sich zu verändern? Wie kann sie helfen, Sinn und inneren Halt zu geben? Und die Frage: Inwieweit das Yoga Sūtra Übende im Bedeutungswandel von Meditation begleiten und leiten kann und wo dabei seine Grenzen liegen.
Meditation heute – Travelling Yoga
Der 2. Teil der Serie Meditation heute stellt neben einem Blick auf die Chakren, ganz die medizinische und psychische Wirkung von Meditation in den Mittelpunkt.
Fortgesetzt wird diese Reihe mit einem weiteren, letzten Artikel. Welches Potenzial hat Meditation für den Wunsch, sich selbst besser zu verstehen und sich zu verändern? Wie kann sie helfen, Sinn und inneren Halt zu geben? Und die Frage: Inwieweit das Yoga Sūtra Übende im Bedeutungswandel von Meditation begleiten und leiten kann und wo dabei seine Grenzen liegen.
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Meditation und Chakren
Die Welt drehte sich in sich selbst: Die Erde war die Wiederholung des Himmels, die Gesichter spiegelten sich in den Sternen, und das Gras hüllte in seinen Halmen die Geheimnisse ein, die den Menschen dienen. Der französische Philosoph Michel Foucault schickt seiner Beschreibung voraus: „Bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts hat die Ähnlichkeit im Denken der abendländischen Kultur eine tragende Rolle gespielt. Sie hat zu einem großen Teil die … Interpretation der Texte geleitet, das Spiel der Symbole organisiert, die Erkenntnis der sichtbaren und unsichtbaren Dinge gestaltet... Zur gleichen Zeit und mit vergleichbaren Intentionen erlebte in Indien der Haṭha Yoga Hochblüte. Foucault, Die Ordnung der Dinge, in: Die Hauptwerke, 2016, S. 49.
Das Bedürfnis nach einem persönlichen und emotionalen Nachvollzug eines bestimmten Menschenbildes durch Meditation fand im Haṭha Yoga eine ganz besondere Ausformung: Unter dem Einfluss tantrischer Glaubensgemeinschaften wurde der eigene Körper in den Mittelpunkt einer Meditationspraxis gerückt. Gleichzeitig war das damalige Denken (wie zeitgleich im Abendland) beherrscht von der Suche nach Ähnlichkeiten – zwischen Göttern und Menschen, Körper und Kosmos, zwischen Körperfunktionen und dem, was damals als die Elemente der Welt verstanden wurde, wie Feuer, Wasser, Raum, Luft oder Erde, zwischen alchemistischen Substanzen wie Quecksilber und der Dynamik des Lebens.
In diesem Rahmen entstand eine Vielfalt ganz unterschiedlicher Konzepte, in denen unter anderem auch die Vorstellung von Chakren eine Rolle spielte – allerdings in der Meditationspraxis keineswegs eine so herausragende, wie bisweilen behauptet wird.
Folgen wir dem Weg, auf dem sich über Jahrhunderte das Verständnis vom Wesen der Chakren historisch entwickelt hat, fällt zuerst auf, wie unterschiedlich und oft widersprüchlich sich die dort präsentierten Vorstellungen darstellen und wie sehr sie immer eingebunden waren in die religiöse Kultur ihrer Zeit und Umgebung. So wurde keineswegs überall auf jene sieben Chakren meditiert, wie uns heute viele Yogabücher glauben machen wollen. In manchen Traditionen waren es elf, in anderen neun oder nur vier Chakren. Auch ihre oft im Detail genau beschriebene Lokalisation erweist sich keineswegs als so eindeutig und einheitlich, wie meist dargestellt. Manchmal stellte man sich Chakren sogar ganz außerhalb des Körpers vor. Der Grund für diese Vielfalt an Beschreibungen erinnert an jene traditionelle Struktur der Wissenssuche durch Meditation, die schon in der Kaṭha Upanishad beschrieben wurde.
„Die verschiedenen Elemente einer bisweilen sogenannten yogischen Physiologie, insbesondere die Chakren sind nicht das Ergebnis der empirischen Beobachtung des Yogis, sondern Teile einer im Körper visualisierten Abbildung der für die jeweilige Tradition spezifischen Metaphysik (deren philosophische Seins-Erklärung d. Red.) und deren Ritualstrukturen. … Verschiedene Traditionen präsentieren verschiedene Konzepte des yogischen Körpers, von denen einige sich ergänzen und miteinander vereinbar sind und andere nicht.“ J. Mallinson, M. Singleton, Roots of Yoga, 2017, S. 172 ff (Übers. d. Red)
Dies liegt daran, dass yogische Körperbilder den besonderen rituellen, philosophischen oder lehrmäßigen Erfordernissen der jeweils greifbaren Tradition erwachsen. Und sie Ausdruck dieser Erfordernisse sind und nicht Beschreibungen einer sich aus sich selbst heraus verständlichen Körpererfahrung, die allen Menschen gemeinsam ist. Mit anderen Worten:
Die Ziele eines bestimmten Gedankensystems bestimmen die Art und Weise, wie man sich den Körper innerhalb seiner Yogapraxis vorstellt und verwendet.
Der yogische Körper war und ist in traditionellen Kreisen von Praktizierenden ein Körper, der von der Tradition selbst auf und im Körper des Praktizierenden konstruiert oder geschrieben wird. Dabei ist die damalige Auswahl an Körperorten nicht überraschend: Wer ein bestehendes Konzept des Kosmos in den Körper schreiben will, wird dafür jene Körperbereiche aussuchen, die sich einfach erspüren lassen und von hoher emotionaler Sensibilität (oder auch organischer Bedeutung) sind: der Herzraum etwa, der Nabel, das Becken … Bedeutung und Lokalisierung der Chakren formten sich also nicht entlang eines selbstständig gewonnenen und für eigene Erfahrung offenen In-Sich-Hineinspürens.
Sie entstanden viel mehr als Teil eines vielfältigen Angebots zur Vermittlung des Glaubens, des Weltbilds, der Kultur und der Rituale jener religiösen Gemeinschaften, die sich auf den Haṭha Yoga bezogen. Dieser körperliche Nachvollzug vorgegebener intellektueller Spekulationen über Analogien zwischen Körper, Göttern und Kosmos waren in der Regel von hoher Detailgenauigkeit und leistete so auch einen wichtigen Beitrag zur Identitätsstiftung und der Abgrenzung zu anderen, oft miteinander konkurrierenden Gemeinschaften. Entsprechend streng und eng lesen sich dann auch traditionelle Anleitungen zur Meditation auf die Chakren. Etwa jene für das Manipura (oder Nābhi-) Cakra, das man sich in manchen Traditionen unterhalb, in anderen oberhalb oder wieder anderen genau im Nabel selbst vorstellte.
„An der Nabelwurzel (nābhimūle): Der strahlende zehnblättrige Lotus von der Farbe schwerbeladener Regenwolken. In seinem Innern sind die Sanskrit-Buchstaben Da bis Pha mit dem Nāda und Bindu darüber, sie haben das Kolorit des blauen Lotus. Dort meditiere über die dreieckig geformte und wie die aufgehende Sonne leuchtende Feuerregion. Am Außenrand: drei Svastika-Zeichen, im Innern das Vahni Bīja selbst. Meditiere auf ihn, den auf einem Widder reitenden und wie die aufgehende Sonne leuchtenden vierarmigen Feuergott. In seinem Schoß ... der zinnoberrote Rudra. Er gilt als der Zerstörer der Schöpfung. ... Wenn man über diesen Nabellotus (nābhipadma) seine Betrachtungen anstellt, erwirbt man die Fähigkeit zu zerstören und zu erschaffen““ (Abb. 2 und 3) Arthur Avalon (Sir John Woodroffe), Die Schlangenkraft, Barth 1982, S. 20 ff). Die Anleitung stammt aus dem Śaṭcakra-nirūpaṇa, einem Text, der im 16. Jahrhundert innerhalb der shivaistischen Kaula-Tradition entstand und 1919 von Arthur Avalon ins Englische übersetzt wurde.
„Anāhatacakra: Meditiere in seinem Innern über das ... Pavana Bija (das ist die Vayu, dem Gott des Windes zugeschriebene Silbe ‘Yam’, Anm. A. Avalon), es ist grau wie eine Rauchwolke, es hat vier Arme und reitet auf einer schwarzen Antilope. Und weiter … über den hell wie die Sonne leuchtenden makellosen Gebieter, der mit beiden Händen … die Furcht aus den drei Welten vertreibt … Hier wohnt Kākinī, in ihrer grellgelben Farbe gleicht sie in etwa einem frischen Blitz, erheitert ist sie und Gutes verheißend; sie hat drei Augen und ist die Wohltäterin aller. Wer über diesen Herzlotus seine Betrachtungen anstellt, ist wie Īshvara imstande, die Welten zu beschirmen und zu zerstören … Er ist in höchstem Maße weise …, die Sinne hat er vollständig in seiner Gewalt, ist … mit Betrachtungen über das Brahman ganz in Anspruch genommen … gleicht dem Geliebten der Lakṣhmī und durch seinen Willensakt kann er in den Körper eines anderen übertreten.“
Der Blick in die Tradition macht deutlich: Die Beschreibungen dieser Körperregionen sind nicht Ausdruck einer in intensiver Innenschau erfahrenen subtilen yogischen Physiologie.
Dort, wo sie Teil einer Meditationspraxis waren, dienten sie vielmehr als Mittel zu einer persönlichen Verinnerlichung komplexer Götterwelten und religiös geprägter Spekulationen über den Aufbau des Kosmos und deren bewusst arrangierte Anbindung an dafür ausgesuchte Körperbereiche.
Wie wenig es damals im Yoga auch bei anderen Meditationstechniken um eine ergebnisoffene Innenschau ging, zeigt sich auch in zahlreichen Anleitungen, die in großer Strenge eine Praxis komplexer Visualisierungen einfordern – ein Ausdruck der großen Bedeutung tantrischer Einflüsse auf die Entwicklung des Haṭha Yoga. In der Regel erlaubten sie in der Meditation nicht die Betrachtung eines beliebigen Gegenstandes, sondern beschränken den Fokus auf eine Gottheit, die in genauen und vorgeschriebenen Details visualisiert wird. Mit großem Gewinn für die Praktizierenden:
Solch eine Praxis bietet „die vollständige Kontrolle über das eigene geistig konstruierte Universum und schenkt letztlich die Befreiung von der realen Welt durch eine ständig gepflegte, kreative innere Vision. Sie ist daher ein phantasievoller Akt, ein intensives, emotionales und einfühlsames Ausleben eines traumartigen Ziels, indem man sich völlig im Bild verliert. Es wird daher oft als bhāvanāaus der Wurzel bhū, existieren oder entstehenbezeichnet. Eine der frühesten Beschreibungen einer solchen kreativen Visualisierung findet sich in einem buddhistischen Yogacāra-Text aus dem 3. Jahrhundert, dem Saddharmasm tyupasth nas tra, in dem Yoga als das Malen von Bildern durch den Geist, mit dem Pinsel der Meditation bezeichnet wird“. Roots of Yoga, S. 290 f
Ganz ähnliche Meditationsformen finden sich auch in der christlichen Meditationskultur. Ein bekanntes Beispiel sind etwa die Visualisierungstechniken der Anfang des 16. Jahrhunderts verfassten Exerzitien des Heiligen Ignatius von Loyola. Er lehrt dort die christlichen Praktizierenden, sich Christus mit den Augen der Einbildungskraft in einer bestimmten Umgebung, z. B. im Tempel, in seinem Leiden am Kreuz oder zusammen mit den Aposteln vorzustellen und sich dabei selbst in diese Situation hinein zuvisualisieren. Aus den Übungen für die dritte Woche der Exerzitien: zum Beispiel für die dritte Woche der vierwöchigen Exerzitien wir als Meditation vorgeschlagen: „Veranschaulichung des Ortes (gemeint ist der Ölgarten); hier betrachte ich den Weg vom Berge Sion … und ebenso den Garten, ob er weit, ob er lang, oder ob er anders beschaffen. Ich bitte um das, was ich begehre …: Schmerz mit dem schmerzerfüllten Christus, um Zerschlagenheit mit dem zerschlagenen Christus, um Tränen, um innere Pein, um die so große Pein, die Christus für mich gelitten hat … Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen, Regensburg 1922
Natürlich erschien allen Akteuren traditioneller Meditationsformen die Einbindung von Meditation in einen gegebenen spirituellen Rahmen, ein religiöses Dogma oder in die damaligen Vorstellungen von der Funktionsweise des menschlichen Körpers als ganz selbstverständlich. Entsprechend wurde sie nie hinterfragt.
Soll heute in der Vermittlung von Meditation aber die authentische Erfahrung der übenden Person im Mittelpunkt stehen, soll ihrem Bild vom Menschen, ihrem kulturellen Hintergrund, ihrem persönlichen Glauben nichts übergestülpt werden, dann gilt es, die enge Verbindung traditioneller Meditationsformen mit den damals herrschenden Körper- und Weltbildern aufzulösen.
Wir können uns dabei ein Beispiel am bekanntesten Text des Haṭha Yoga selbst nehmen, der im 15. Jahrhundert entstandenen Haṭha Yoga Pradīpikā. „Sie setzt alles daran, keine Lehren aufzunehmen, die sie ausschließlich mit einer bestimmten Tradition identifizieren könnte. So gibt es keine Erwähnungen von Mantras, Mandalas oder Einweihungen, nicht einmal von Chakren. Jede Erwähnung eines der damals miteinander konkurrierenden Chakren-Systeme hätte die Zugehörigkeit zu dessen besonderen tantrischen Tradition verraten, sodass die Chakren ganz weggelassen wurden.“ J. Mallinson, Yoga and Religion; überarbeiteter Text einer Lesung über den Modernen Yoga am Heythrop College, London 2013.
Von dem offensichtlichen Bedürfnis des Autors der Haṭha Yoga Pradīpikā nach größtmöglicher Offenheit in der Vermittlung von Yoga können wir heute nur lernen.
Es gilt also immer wieder aufs Neue zu entscheiden, ob wir in der Meditation nach einer authentischen Körpererfahrung suchen oder uns vom Nachvollzug intellektueller Gedankengebäude indischer Religiosität berühren lassen wollen.
Beides ist möglich, beides kann Sinn ergeben. Aber eine solche Wahl hat es verdient, reflektiert zu werden – und zwar bevor man mit einer entsprechenden Meditationspraxis beginnt oder anbietet.
Meditation
Gesundheitsfürsorge – Stressabbau – Wohlbefinden
Im Transfer östlicher Meditationspraxis in die westliche Kultur hat sie einen Bedeutungsrahmen und eine Intention bekommen, die ihr in ihrer traditionellen Entstehungsgeschichte im Osten früher nie zukamen: Meditation verbreitet sich vor allem im Kontext des großen Themas Gesundheit.
Mit der wachsenden Erkenntnis, dass Gesundheit auch in der Verantwortung des/r Einzelnen liegt, wuchs auch das Interesse an Meditation als Technik, die sich für eine individuelle Gesundheitsfürsorge und persönliches Gesundheitsmanagement nutzen lässt und sich in Bedürfnissen wie diesen ausdrückt:
etwas für meine Gesundheit und mich tun
Entlastung finden vom anstrengenden Alltag
zu mir kommen
Abstand finden zum Hamsterrad von Beruf und Familie
lernen, meine Emotionen besser in den Griff zu bekommen
innehalten
einen Raum für mich finden
Ganz offensichtlich taugt Meditation für diese Zwecke. Die großen Unternehmen der IT-Branche im Silicon Valley waren Vorreiter einer Entwicklung, die auch in Großunternehmen und kleinen Start-ups Deutschlands und anderswo in den westlichen Ländern schnell Fuß gefasst hat: Programme zur Stressbewältigung werden mittlerweile vielerorts von Arbeitgebern bereitgestellt. In vielen dieser Angebote ist das Erlernen von Meditation ein fester Bestandteil. Standardisierte Programme wie die von John Cabbat-Zinn entwickelte Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR) werden dabei bevorzugt. Individualisierte Meditationstechniken, die diese Anliegen aufgreifen, werden in persönlichen Unterrichtsrahmen vermittelt. Gleich ob Meditation genormt oder individualisiert unterrichtet wird: aus ihrer zunehmenden Verbreitung lässt sich schließen, dass sie für diese Anliegen offenkundig etwas zu bieten hat.
Stress
Der häufigste Zusammenhang, in dem heute von Meditation die Rede ist, betrifft die Erwartung, sie als Mittel zur Stressreduktion nutzen zu wollen. Nun ist Stress zunächst einmal keine Krankheit; unser Organismus ist in ständigem Austausch mit dem Außen, das häufig unser inneres Milieu aus dem Gleichgewicht bringt.
Der sehr hohe Lärmpegel etwa, der auf einer Durchgangsstraße herrscht.
Oder soziale Umgangsformen in Familie oder Arbeit, die demütigend sind oder nicht erlauben, dass Wut oder Frustration artikuliert werden können.
Oder eine Besprechung im Büro, die nicht enden will, während das Kind in der Kita bereits abgeholt sein müsste.
Solche Faktoren stören das innere Milieu unseres Organismus. Unser Körper reagiert darauf, indem er eine Reihe verschiedener Prozesse in Gang setzt, die diese Störung wieder beheben sollen:
Das vegetative System wird aufgerüttelt – Adrenalin wird ausgeschüttet und erhöht den Blutdruck, beschleunigt den Herzschlag, den Atem.
Der Spiegel von Hormonen, wie des Cortisols im Blut steigt an.
Das Magen-Darm-System wird aktiviert und viele Dinge mehr.
Der Mensch benötigt all diese Mechanismen, um sein tägliches Leben zu bewältigen. Der große Stressforscher Hans Selye unterschied diese nützlichen körperlichen Reaktionen von denen, die eine Gefährdung unserer Gesundheit bewirken, durch die beiden Begriffe des Eu-Stress = gesunder Stress und Dys-Stress = schädlicher Stress. Schädlich werden sie also erst – und damit im Sinn unseres heutigen Sprachgebrauchs zum Stress – wenn sie nicht bestimmten Situationen vorbehalten bleiben, sondern sich unkontrollierbar ständig wiederholen (der Autolärm auf der Durchgangsstraße etwa ist nicht abzuschalten, das Handy klingelt ununterbrochen).
Und, auch das ist ein wichtiger Aspekt des Phänomens: wenn Situationen in unserem eigenen emotionalen Bewertungssystem als schwierig oder unlösbar eingeschätzt werden (die Angst etwa, das Kind wieder nicht pünktlich abholen zu können, bestimmt schon den halben Arbeitstag). Dann erst kommt ihnen das Potenzial von schädlichem Stress zu, der ein krankheitsauslösender Faktor ist.
Es sind also sowohl objektive wie auch subjektive Faktoren, die darüber bestimmen, was schädlicher Stress für eine Person ist.
Ist es dann aber erst einmal stressig und hält dieser Zustand über längere Zeit an, dann entgleisen viele Regulationssysteme unseres Organismus, statt in einer angemessenen Antwort auf die neuen Anforderungen wieder einreguliert zu werden:
der Schlaf ist gestört
die Konzentrationsfähigkeit nimmt ab
Bluthochdruck manifestiert sich
Herzrhythmusstörungen treten auf
der Magen macht sich schmerzhaft bemerkbar
der Darm entwickelt sich zum Reizdarm
die Anfälligkeit für Diabetes steigt
das Immunsystem reagiert zu heftig mit Allergien – oder zu wenig, und eine harmlose Erkältung kann sich zu einer Lungenentzündung auswachsen
Letztlich gibt es kein Regulationssystem, das sich der Störung durch Stressoren entziehen kann. Die Bedeutung von Stress als eines der größten krank machenden Faktoren wird heute nirgendwo mehr unterschätzt.
Dass Meditation Stress reduzieren kann, ist durch viele gute Untersuchungen sicher belegt.
Wie kommt es aber dazu, dass Meditation Stress verringert und ein besseres Stressmanagement bewirkt, wie wirkt Meditation auf unser System? Untersuchungen, die dieser Frage nachgegangen sind, haben festgestellt, dass bestimmte Stressparameter im Blut unter Meditation absinken. Auch vegetative Parameter wie Atmung und Herzfrequenz reagieren auf Meditation.
Vereinfacht formuliert lässt sich die Wirkungsweise von Meditation aber am besten so beschreiben: Sie hilft unseren inneren Regulationssystemen, mit den Störfaktoren von außen und innen besser zurechtzukommen.
Offensichtlich begünstigt ein beruhigter Geist – unabhängig durch welche Methode dies erreicht wurde – diejenigen im System vorhandenen Ressourcen angemessen einzusetzen, die unseren Organismus immer wieder in Balance bringen. Allerdings sind noch viele der Fragen danach offen, auf welche Art und Weise diese Wirkungen zustande kommen.
Die Methode Mindfullness Based Stress Reduction
MBSR nach John Cabat-Zinn
Verfolgt man den Prozess, der die Meditation im Westen zu einem Instrument für Gesundheit und Wohlbefinden werden ließ, so muss man in den achtziger Jahren zurück und nach Westen blicken, genauer gesagt, nach Kalifornien.
Es war die Verknüpfung von großen finanziellen Ressourcen, Wissenschaft und modernem Effizienzdenken, welche die neuen Erkenntnisse zur Meditation gefördert hat, vorwiegend in den USA. Dort waren seit Ende der Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts einige psychologische und neurophysiologische Wissenschaftler*innen in engen Kontakt mit buddhistischen Meditationspraktiken gekommen; nun verbanden sie ihr persönliches mit ihrem wissenschaftlichen Interesse und nutzten die ihnen zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten.
Begünstigt hatte diese Entwicklung die offene Haltung des aus Tibet exilierten Dalai Lama gegenüber Wissenschaft und Forschung. Die Probanden der Untersuchungen mit modernen Magnetresonanztomografen waren buddhistische Mönche mit viel Erfahrung in der Technik der Vipāssanameditation. Ihnen ist es zu verdanken, dass wir mittlerweile wissen, dass sich Meditation in Veränderungen der Hirndurchblutung widerspiegelt, dass Meditation auch physiologisch eine, wenn auch besondere Art der Aktivität des Gehirns ist.
Zuzuschreiben ist ihnen auch, dass die Vipāssanameditation die noch immer am besten untersuchte aller Meditationstechniken ist – wenn von Meditation die Rede ist, wird oft diese Technik assoziiert, obgleich es nur eine unter vielen ist.
Die Achtsamkeitsmeditation leitet sich aus der buddhistischen Vipāssanameditation ab, die in je nach Schule unterschiedlicher Art und Weise auch den eigenen Atem, den Körper und den eigenen Gedankenfluss zum Übungsobjekt macht. Manchen buddhistischen Schulen ist die Sammlung des Geistes auf das Atemgeschehen eine Vorübung, anderen ist sie der wesentliche Weg dafür. Immer reicht aber das Ziel bei der Sammlung der Aufmerksamkeit auf den Atem bei weitem über das Erlernen von Achtsamkeit hinaus.
Eine Entkleidung der Meditation von ihren traditionellen Ambitionen wie Befreiung aus dem leidvollen Rad der Wiedergeburten spielt für die Verbreitung dieser Meditationsform deshalb eine große Rolle. Die meisten Menschen, die sie im Rahmen von Programmen zur Stressbewältigung praktizieren, wissen gar nichts darüber – und müssen es auch nicht. Denn ganz offensichtlich ist das Angebot, seine geistigen Aktivitäten auf den kontinuierlichen Fluss des eigenen Atems (vielleicht auch den Körper oder die Gedanken) auszurichten, eine leicht nachzuvollziehende und einfach zu praktizierende Aktivität. Zudem muss sie dabei als ein neutraler Fokus weder mit Vorstellungen von Transzendenz noch einer Identifikation mit einem so oder so gearteten Glauben verbunden werden.
Die Erfolgsgeschichte der Achtsamkeitsmediation im Westen verbindet sich mit einem Namen: John Cabat-Zinn, Begründer der Mindfullness Based Stress Reduction, MBSR.
Neben einer Atemachtsamkeitsübung – Breathing Space – enthält sein Programm unter anderem auch eine Technik der Körperwahrnehmung – Bodyscan. Letztere ist eine Meditation mit systematisch wechselnden Körper-Fokussen. Ferner umfasst das Programm des MBSR das Üben einer:
Āsanareihe
stilles Sitzen – Sitzmeditation
achtsames Gehen – Gehmeditation
eine Aufgabe für den Alltag, die darin besteht, diesen achtsam zu gestalten.
häufig wird dazu auch eine Art Tagebuch angelegt
Häufig wird von Menschen, die einen solchen Kurs abgeschlossen haben, von dem gesamten Trainingsprogramm hauptsächlich die Atemachtsamkeitsübung und die Yoga-Übungen weitergeführt.
Ein Nachteil von Cabat-Zinns Methode, das Prinzip one suitsall, also alle üben das Gleiche, ist gleichzeitig ein Vorteil. Warum?
Es machte die Methode in klar strukturierten Programmen einfach vermittelbar, ließ sich in Untersuchungen leicht auf ihre Effizienz hin überprüfen und verhalf so der Meditation als Technik insgesamt zu wissenschaftlicher Akzeptanz. Das lässt heute die ebenso positive wie eindeutige Aussage zu:
MBSR taugt als Methode zur Stressreduktion.
Der Nachweis dafür wird durch eine Vielzahl von auf hohem wissenschaftlichem Standard durchgeführten Untersuchungen gestützt. MBSR wird oft mit dem Anspruch verbunden, ein Verhalten und Empfinden zu trainieren, das unmittelbar in den Alltag hineinreicht und ihn verändert. Inwieweit diese Effekte nachhaltig sind, ist allerdings noch unklar. Neuere Studienprojekte versuchen vermehrt, diese Frage zu klären. Auch inwieweit die Methode dazu beiträgt, Angsterkrankungen und Depressionen positiv zu beeinflussen, ist noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen.
Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2015 von 29 MBSR-Studien aus dem Jahr 2014, die mit gesunden Probanden auf die Themen Stress-Reduktion, Angstlösung, depressiven Anmutungen und Lebensqualität hin durch geführt wurde, bestätigte die vermutete Wirkung – allerdings war nur ein moderater Effekt zu beobachten und die Untersucher selbst fordern zur Klärung weitere Studien.
In der wissenschaftlichen Diskussion um MBSR wird auch ein deutlicher Mangel aller derzeitigen Untersuchungen angesprochen: Niemand kann bisher sagen, welche Elemente der Methode letztlich die wirksamsten sind – oder anders ausgedrückt:
Ist es die eine oder die andere Meditation?
Sind es die Yoga-Übungen?
Ist es der Rahmen einer Gruppenaktivität
Ist es die alltägliche Selbstbeobachtung?
Wirkt nur alles zusammen?
Für die vielen Menschen, die mithilfe der MBSR-Programme ihr Leben und ihre Probleme besser in den Griff bekommen, ist diese Frage allerdings von nachgeordneter Bedeutung.
Herz-Kreislauf-Regulierung
Auch hier ist die Effizienz von Meditation in vielen recht guten Studien untersucht worden, vor allem im Bereich der sogenannten arteriellen Hypertonie, also des Bluthochdrucks. Meditation senkt den Blutdruck, wie in einer hervorragend konzipierten und durchgeführten Studie über Yoga erneut nachgewiesen werden konnte. Auch Erkrankungen der Herzkranzgefäße, Herzschmerzen und Herzrhythmusstörungen verbessern sich sehr wahrscheinlich.
Der Mechanismus, über den diese Wirkungen entstehen, lässt sich bislang allerdings nur aus der Kenntnis physiologischer Vorgänge ableiten. Vermutlich spielt der in den Untersuchungen zur Blutdrucksenkung nachgewiesene Einfluss von Meditation auf die vegetative Regulation eine Rolle. Dass auch Menschen mit Schlafstörungen positiv auf Meditation reagieren, ist im gleichen Zusammenhang zu sehen.
Wirkungen auf das Immunsystem und Diabetes mellitus
Es gibt Hinweise darauf, dass sich bei Menschen mit Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus, Typ 2) unter einer Intervention mit Meditation Verbesserungen ihrer Blutzuckerwerte nachweisen lassen.
Hier handelt es sich um Studien, die aufgrund der geringen Zahl der TeilnehmerInnen nur als sogenannte Pilotstudien anerkannt werden, also Studien, die nur eine Orientierung dafür geben, dass es sich lohnt, größere und aussagekräftigere Studien zum gleichen Thema anzulegen. Vor allem in Indien wird in diesem Gebiet geforscht. Andere Untersuchungen – auch diese mit kleinen Gruppen – geben Hinweise darauf, dass sich durch Meditation bei HIV-infiziertenMenschen ein positiver Einfluss auf die Höhe der T-Lymphozyten im Blut erreichen lässt; hier wurde in den meisten Fällen die MBSR-Methode benutzt. Und auch Entzündungsparameter scheinen positiv zu reagieren, wenn die Probanden der jeweiligen Untersuchungen über eine gewisse Zeit meditierten.
Der genaue Ablauf dieser Wirkungsweisen ist auch hier bisher nicht eindeutig erkannt und es wird sicher auch in Zukunft nicht einfach sein, solche Details aufzuspüren. Einige Untersuchungen deuten auf bestimmte Gehirnareale hin, wie den Hypothalamus, einen Knotenpunkt in der Koordination des vegetativen Nervensystems und anderer Steuerungsprozesse.
Auch hier liegt es nahe, dass die weiter oben ausführlich dargestellte Stressregulierung eine bedeutende Rolle in der Wirkung von Meditation spielt. Was sich auch praktisch beobachten lässt: Wer hat noch nicht die Erfahrung gemacht, dass sie oder er nach einer länger andauernden starken Stress-Belastung an den sensiblen Stellen einknickt:
eine Neigung zu Nebenhöhlenentzündungen offenbart sich wieder als akute Infektion
aus einer banalen Erkältung wird unversehens eine Lungenentzündung
der Reizdarm spielt verrückt
der Blutzuckerspiegel steigt trotz guter medikamentöser Einstellung
Der Nachweis, dass Stress das Immunsystem negativ beeinflusst, ist wissenschaftlich schon lange geführt. Schwieriger scheint es, die positive Wirkung von Meditation ebenso detailliert zu erklären.
Meditation und Psyche
Auch zur Fragestellung der Wirkung von Meditation auf Angsterkrankungen, Burn-out und Depressionen gibt es inzwischen eine Reihe von Untersuchungen. Letztere teilen mit Untersuchungen zur Wirkung von Yoga im Allgemeinen die schon oben erwähnte Schwäche: Viele sind zwar seriös angelegt und durchgeführt, können aber von den Untersuchenden fast ausschließlich als Pilotstudien deklariert werden – die bisher untersuchten Gruppen sind also noch zu klein.
Dazu kommt, dass die Intervention was haben die Probanden konkret geübt selbst aus verschiedenen Angeboten besteht (neben Meditation noch Āsana, andere Übungsweisen oder Gesprächstherapie etc.) und deshalb unklar bleibt, was eigentlich für die beobachtete Wirkung verantwortlich ist. Dennoch weisen die meisten Studien darauf hin, dass es positive Anzeichen für eine Wirkung in diesem Bereich gibt und häufig fordern die Untersucher*innen deshalb neue, größere und besser konzipierte Studien ein.
Was gelten praktische Erfahrungen mit Meditation in der Yogatherapie?
Zunächst einmal: viel!
Wer über Jahre hinweg und mit vielen KlientInnen mit Meditation arbeitet, hat auch Erfahrungen mit den Wirkungen dieser Methode sammeln können. Diese lassen sich seriös und verlässlich vermitteln, wenn die Unterrichtenden auf größte Transparenz achten. Das bedeutet, dass die KlientInnen erfahren sollten, wie der wissenschaftliche Stand der Forschung zu dem jeweiligen Anliegen ist, das sie nach Meditation fragen lässt.
Gleichzeitig lässt sich aber auch sehr deutlich machen, was aus der eigenen Arbeitsperspektive heraus an Aussagen zur Wirkung von Meditation möglich ist. Im Berliner Yoga Zentrum (BYZ) war Meditation seit über 30 Jahren ein fester Bestandteil der Yoga-Interventionen; selten allerdings wurde sie allein in einer Yogatherapie eingesetzt, sondern verbunden mit Āsana-Praxis und noch häufiger mit Prāṇāyāma-Übungen.
In diesem Rahmen hat das BYZ in einer sehr großen Anzahl dokumentierter Fälle einen Beitrag zur Verbesserung der Gesundheit und Lebensqualität der Übenden geleistet. Fragt jemand also, ob Meditation in diesem oder jenem Fall helfen kann, können Erfahrungen zur Sprache gebracht werden und auf die vorliegenden oder eben noch nicht vorliegenden Ergebnisse von Untersuchungen verwiesen werden.
Auf dem Hintergrund dieser beiden Felder kann gesagt werden: Ja, Meditation ist gut für die Gesundheit, sie verbessert die innere Gestimmtheit und erhöht die Resilienz, also die körperliche und seelische Widerstandsfähigkeit – wenn sie wie jede Praxis regelmäßig geübt wird. ▼
Die Welt drehte sich in sich selbst: Die Erde war die Wiederholung des Himmels, die Gesichter spiegelten sich in den Sternen, und das Gras hüllte in seinen Halmen die Geheimnisse ein, die den Menschen dienen. Der französische Philosoph Michel Foucault schickt seiner Beschreibung voraus: „Bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts hat die Ähnlichkeit im Denken der abendländischen Kultur eine tragende Rolle gespielt. Sie hat zu einem großen Teil die … Interpretation der Texte geleitet, das Spiel der Symbole organisiert, die Erkenntnis der sichtbaren und unsichtbaren Dinge gestaltet... Zur gleichen Zeit und mit vergleichbaren Intentionen erlebte in Indien der Haṭha Yoga Hochblüte. Foucault, Die Ordnung der Dinge, in: Die Hauptwerke, 2016, S. 49.
Das Bedürfnis nach einem persönlichen und emotionalen Nachvollzug eines bestimmten Menschenbildes durch Meditation fand im Haṭha Yoga eine ganz besondere Ausformung: Unter dem Einfluss tantrischer Glaubensgemeinschaften wurde der eigene Körper in den Mittelpunkt einer Meditationspraxis gerückt. Gleichzeitig war das damalige Denken (wie zeitgleich im Abendland) beherrscht von der Suche nach Ähnlichkeiten – zwischen Göttern und Menschen, Körper und Kosmos, zwischen Körperfunktionen und dem, was damals als die Elemente der Welt verstanden wurde, wie Feuer, Wasser, Raum, Luft oder Erde, zwischen alchemistischen Substanzen wie Quecksilber und der Dynamik des Lebens.
In diesem Rahmen entstand eine Vielfalt ganz unterschiedlicher Konzepte, in denen unter anderem auch die Vorstellung von Chakren eine Rolle spielte – allerdings in der Meditationspraxis keineswegs eine so herausragende, wie bisweilen behauptet wird.
Folgen wir dem Weg, auf dem sich über Jahrhunderte das Verständnis vom Wesen der Chakren historisch entwickelt hat, fällt zuerst auf, wie unterschiedlich und oft widersprüchlich sich die dort präsentierten Vorstellungen darstellen und wie sehr sie immer eingebunden waren in die religiöse Kultur ihrer Zeit und Umgebung. So wurde keineswegs überall auf jene sieben Chakren meditiert, wie uns heute viele Yogabücher glauben machen wollen. In manchen Traditionen waren es elf, in anderen neun oder nur vier Chakren. Auch ihre oft im Detail genau beschriebene Lokalisation erweist sich keineswegs als so eindeutig und einheitlich, wie meist dargestellt. Manchmal stellte man sich Chakren sogar ganz außerhalb des Körpers vor. Der Grund für diese Vielfalt an Beschreibungen erinnert an jene traditionelle Struktur der Wissenssuche durch Meditation, die schon in der Kaṭha Upanishad beschrieben wurde.
„Die verschiedenen Elemente einer bisweilen sogenannten yogischen Physiologie, insbesondere die Chakren sind nicht das Ergebnis der empirischen Beobachtung des Yogis, sondern Teile einer im Körper visualisierten Abbildung der für die jeweilige Tradition spezifischen Metaphysik (deren philosophische Seins-Erklärung d. Red.) und deren Ritualstrukturen. … Verschiedene Traditionen präsentieren verschiedene Konzepte des yogischen Körpers, von denen einige sich ergänzen und miteinander vereinbar sind und andere nicht.“ J. Mallinson, M. Singleton, Roots of Yoga, 2017, S. 172 ff (Übers. d. Red)
Dies liegt daran, dass yogische Körperbilder den besonderen rituellen, philosophischen oder lehrmäßigen Erfordernissen der jeweils greifbaren Tradition erwachsen. Und sie Ausdruck dieser Erfordernisse sind und nicht Beschreibungen einer sich aus sich selbst heraus verständlichen Körpererfahrung, die allen Menschen gemeinsam ist. Mit anderen Worten:
Die Ziele eines bestimmten Gedankensystems bestimmen die Art und Weise, wie man sich den Körper innerhalb seiner Yogapraxis vorstellt und verwendet.
Der yogische Körper war und ist in traditionellen Kreisen von Praktizierenden ein Körper, der von der Tradition selbst auf und im Körper des Praktizierenden konstruiert oder geschrieben wird. Dabei ist die damalige Auswahl an Körperorten nicht überraschend: Wer ein bestehendes Konzept des Kosmos in den Körper schreiben will, wird dafür jene Körperbereiche aussuchen, die sich einfach erspüren lassen und von hoher emotionaler Sensibilität (oder auch organischer Bedeutung) sind: der Herzraum etwa, der Nabel, das Becken … Bedeutung und Lokalisierung der Chakren formten sich also nicht entlang eines selbstständig gewonnenen und für eigene Erfahrung offenen In-Sich-Hineinspürens.
Sie entstanden viel mehr als Teil eines vielfältigen Angebots zur Vermittlung des Glaubens, des Weltbilds, der Kultur und der Rituale jener religiösen Gemeinschaften, die sich auf den Haṭha Yoga bezogen. Dieser körperliche Nachvollzug vorgegebener intellektueller Spekulationen über Analogien zwischen Körper, Göttern und Kosmos waren in der Regel von hoher Detailgenauigkeit und leistete so auch einen wichtigen Beitrag zur Identitätsstiftung und der Abgrenzung zu anderen, oft miteinander konkurrierenden Gemeinschaften. Entsprechend streng und eng lesen sich dann auch traditionelle Anleitungen zur Meditation auf die Chakren. Etwa jene für das Manipura (oder Nābhi-) Cakra, das man sich in manchen Traditionen unterhalb, in anderen oberhalb oder wieder anderen genau im Nabel selbst vorstellte.
„An der Nabelwurzel (nābhimūle): Der strahlende zehnblättrige Lotus von der Farbe schwerbeladener Regenwolken. In seinem Innern sind die Sanskrit-Buchstaben Da bis Pha mit dem Nāda und Bindu darüber, sie haben das Kolorit des blauen Lotus. Dort meditiere über die dreieckig geformte und wie die aufgehende Sonne leuchtende Feuerregion. Am Außenrand: drei Svastika-Zeichen, im Innern das Vahni Bīja selbst. Meditiere auf ihn, den auf einem Widder reitenden und wie die aufgehende Sonne leuchtenden vierarmigen Feuergott. In seinem Schoß ... der zinnoberrote Rudra. Er gilt als der Zerstörer der Schöpfung. ... Wenn man über diesen Nabellotus (nābhipadma) seine Betrachtungen anstellt, erwirbt man die Fähigkeit zu zerstören und zu erschaffen““ (Abb. 2 und 3) Arthur Avalon (Sir John Woodroffe), Die Schlangenkraft, Barth 1982, S. 20 ff). Die Anleitung stammt aus dem Śaṭcakra-nirūpaṇa, einem Text, der im 16. Jahrhundert innerhalb der shivaistischen Kaula-Tradition entstand und 1919 von Arthur Avalon ins Englische übersetzt wurde.
„Anāhatacakra: Meditiere in seinem Innern über das ... Pavana Bija (das ist die Vayu, dem Gott des Windes zugeschriebene Silbe ‘Yam’, Anm. A. Avalon), es ist grau wie eine Rauchwolke, es hat vier Arme und reitet auf einer schwarzen Antilope. Und weiter … über den hell wie die Sonne leuchtenden makellosen Gebieter, der mit beiden Händen … die Furcht aus den drei Welten vertreibt … Hier wohnt Kākinī, in ihrer grellgelben Farbe gleicht sie in etwa einem frischen Blitz, erheitert ist sie und Gutes verheißend; sie hat drei Augen und ist die Wohltäterin aller. Wer über diesen Herzlotus seine Betrachtungen anstellt, ist wie Īshvara imstande, die Welten zu beschirmen und zu zerstören … Er ist in höchstem Maße weise …, die Sinne hat er vollständig in seiner Gewalt, ist … mit Betrachtungen über das Brahman ganz in Anspruch genommen … gleicht dem Geliebten der Lakṣhmī und durch seinen Willensakt kann er in den Körper eines anderen übertreten.“
Der Blick in die Tradition macht deutlich: Die Beschreibungen dieser Körperregionen sind nicht Ausdruck einer in intensiver Innenschau erfahrenen subtilen yogischen Physiologie.
Dort, wo sie Teil einer Meditationspraxis waren, dienten sie vielmehr als Mittel zu einer persönlichen Verinnerlichung komplexer Götterwelten und religiös geprägter Spekulationen über den Aufbau des Kosmos und deren bewusst arrangierte Anbindung an dafür ausgesuchte Körperbereiche.
Wie wenig es damals im Yoga auch bei anderen Meditationstechniken um eine ergebnisoffene Innenschau ging, zeigt sich auch in zahlreichen Anleitungen, die in großer Strenge eine Praxis komplexer Visualisierungen einfordern – ein Ausdruck der großen Bedeutung tantrischer Einflüsse auf die Entwicklung des Haṭha Yoga. In der Regel erlaubten sie in der Meditation nicht die Betrachtung eines beliebigen Gegenstandes, sondern beschränken den Fokus auf eine Gottheit, die in genauen und vorgeschriebenen Details visualisiert wird. Mit großem Gewinn für die Praktizierenden:
Solch eine Praxis bietet „die vollständige Kontrolle über das eigene geistig konstruierte Universum und schenkt letztlich die Befreiung von der realen Welt durch eine ständig gepflegte, kreative innere Vision. Sie ist daher ein phantasievoller Akt, ein intensives, emotionales und einfühlsames Ausleben eines traumartigen Ziels, indem man sich völlig im Bild verliert. Es wird daher oft als bhāvanāaus der Wurzel bhū, existieren oder entstehenbezeichnet. Eine der frühesten Beschreibungen einer solchen kreativen Visualisierung findet sich in einem buddhistischen Yogacāra-Text aus dem 3. Jahrhundert, dem Saddharmasm tyupasth nas tra, in dem Yoga als das Malen von Bildern durch den Geist, mit dem Pinsel der Meditation bezeichnet wird“. Roots of Yoga, S. 290 f
Ganz ähnliche Meditationsformen finden sich auch in der christlichen Meditationskultur. Ein bekanntes Beispiel sind etwa die Visualisierungstechniken der Anfang des 16. Jahrhunderts verfassten Exerzitien des Heiligen Ignatius von Loyola. Er lehrt dort die christlichen Praktizierenden, sich Christus mit den Augen der Einbildungskraft in einer bestimmten Umgebung, z. B. im Tempel, in seinem Leiden am Kreuz oder zusammen mit den Aposteln vorzustellen und sich dabei selbst in diese Situation hinein zuvisualisieren. Aus den Übungen für die dritte Woche der Exerzitien: zum Beispiel für die dritte Woche der vierwöchigen Exerzitien wir als Meditation vorgeschlagen: „Veranschaulichung des Ortes (gemeint ist der Ölgarten); hier betrachte ich den Weg vom Berge Sion … und ebenso den Garten, ob er weit, ob er lang, oder ob er anders beschaffen. Ich bitte um das, was ich begehre …: Schmerz mit dem schmerzerfüllten Christus, um Zerschlagenheit mit dem zerschlagenen Christus, um Tränen, um innere Pein, um die so große Pein, die Christus für mich gelitten hat … Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen, Regensburg 1922
Natürlich erschien allen Akteuren traditioneller Meditationsformen die Einbindung von Meditation in einen gegebenen spirituellen Rahmen, ein religiöses Dogma oder in die damaligen Vorstellungen von der Funktionsweise des menschlichen Körpers als ganz selbstverständlich. Entsprechend wurde sie nie hinterfragt.
Soll heute in der Vermittlung von Meditation aber die authentische Erfahrung der übenden Person im Mittelpunkt stehen, soll ihrem Bild vom Menschen, ihrem kulturellen Hintergrund, ihrem persönlichen Glauben nichts übergestülpt werden, dann gilt es, die enge Verbindung traditioneller Meditationsformen mit den damals herrschenden Körper- und Weltbildern aufzulösen.
Wir können uns dabei ein Beispiel am bekanntesten Text des Haṭha Yoga selbst nehmen, der im 15. Jahrhundert entstandenen Haṭha Yoga Pradīpikā. „Sie setzt alles daran, keine Lehren aufzunehmen, die sie ausschließlich mit einer bestimmten Tradition identifizieren könnte. So gibt es keine Erwähnungen von Mantras, Mandalas oder Einweihungen, nicht einmal von Chakren. Jede Erwähnung eines der damals miteinander konkurrierenden Chakren-Systeme hätte die Zugehörigkeit zu dessen besonderen tantrischen Tradition verraten, sodass die Chakren ganz weggelassen wurden.“ J. Mallinson, Yoga and Religion; überarbeiteter Text einer Lesung über den Modernen Yoga am Heythrop College, London 2013.
Von dem offensichtlichen Bedürfnis des Autors der Haṭha Yoga Pradīpikā nach größtmöglicher Offenheit in der Vermittlung von Yoga können wir heute nur lernen.
Es gilt also immer wieder aufs Neue zu entscheiden, ob wir in der Meditation nach einer authentischen Körpererfahrung suchen oder uns vom Nachvollzug intellektueller Gedankengebäude indischer Religiosität berühren lassen wollen.
Beides ist möglich, beides kann Sinn ergeben. Aber eine solche Wahl hat es verdient, reflektiert zu werden – und zwar bevor man mit einer entsprechenden Meditationspraxis beginnt oder anbietet.
Meditation
Gesundheitsfürsorge – Stressabbau – Wohlbefinden
Im Transfer östlicher Meditationspraxis in die westliche Kultur hat sie einen Bedeutungsrahmen und eine Intention bekommen, die ihr in ihrer traditionellen Entstehungsgeschichte im Osten früher nie zukamen: Meditation verbreitet sich vor allem im Kontext des großen Themas Gesundheit.
Mit der wachsenden Erkenntnis, dass Gesundheit auch in der Verantwortung des/r Einzelnen liegt, wuchs auch das Interesse an Meditation als Technik, die sich für eine individuelle Gesundheitsfürsorge und persönliches Gesundheitsmanagement nutzen lässt und sich in Bedürfnissen wie diesen ausdrückt:
etwas für meine Gesundheit und mich tun
Entlastung finden vom anstrengenden Alltag
zu mir kommen
Abstand finden zum Hamsterrad von Beruf und Familie
lernen, meine Emotionen besser in den Griff zu bekommen
innehalten
einen Raum für mich finden
Ganz offensichtlich taugt Meditation für diese Zwecke. Die großen Unternehmen der IT-Branche im Silicon Valley waren Vorreiter einer Entwicklung, die auch in Großunternehmen und kleinen Start-ups Deutschlands und anderswo in den westlichen Ländern schnell Fuß gefasst hat: Programme zur Stressbewältigung werden mittlerweile vielerorts von Arbeitgebern bereitgestellt. In vielen dieser Angebote ist das Erlernen von Meditation ein fester Bestandteil. Standardisierte Programme wie die von John Cabbat-Zinn entwickelte Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR) werden dabei bevorzugt. Individualisierte Meditationstechniken, die diese Anliegen aufgreifen, werden in persönlichen Unterrichtsrahmen vermittelt. Gleich ob Meditation genormt oder individualisiert unterrichtet wird: aus ihrer zunehmenden Verbreitung lässt sich schließen, dass sie für diese Anliegen offenkundig etwas zu bieten hat.
Stress
Der häufigste Zusammenhang, in dem heute von Meditation die Rede ist, betrifft die Erwartung, sie als Mittel zur Stressreduktion nutzen zu wollen. Nun ist Stress zunächst einmal keine Krankheit; unser Organismus ist in ständigem Austausch mit dem Außen, das häufig unser inneres Milieu aus dem Gleichgewicht bringt.
Der sehr hohe Lärmpegel etwa, der auf einer Durchgangsstraße herrscht.
Oder soziale Umgangsformen in Familie oder Arbeit, die demütigend sind oder nicht erlauben, dass Wut oder Frustration artikuliert werden können.
Oder eine Besprechung im Büro, die nicht enden will, während das Kind in der Kita bereits abgeholt sein müsste.
Solche Faktoren stören das innere Milieu unseres Organismus. Unser Körper reagiert darauf, indem er eine Reihe verschiedener Prozesse in Gang setzt, die diese Störung wieder beheben sollen:
Das vegetative System wird aufgerüttelt – Adrenalin wird ausgeschüttet und erhöht den Blutdruck, beschleunigt den Herzschlag, den Atem.
Der Spiegel von Hormonen, wie des Cortisols im Blut steigt an.
Das Magen-Darm-System wird aktiviert und viele Dinge mehr.
Der Mensch benötigt all diese Mechanismen, um sein tägliches Leben zu bewältigen. Der große Stressforscher Hans Selye unterschied diese nützlichen körperlichen Reaktionen von denen, die eine Gefährdung unserer Gesundheit bewirken, durch die beiden Begriffe des Eu-Stress = gesunder Stress und Dys-Stress = schädlicher Stress. Schädlich werden sie also erst – und damit im Sinn unseres heutigen Sprachgebrauchs zum Stress – wenn sie nicht bestimmten Situationen vorbehalten bleiben, sondern sich unkontrollierbar ständig wiederholen (der Autolärm auf der Durchgangsstraße etwa ist nicht abzuschalten, das Handy klingelt ununterbrochen).
Und, auch das ist ein wichtiger Aspekt des Phänomens: wenn Situationen in unserem eigenen emotionalen Bewertungssystem als schwierig oder unlösbar eingeschätzt werden (die Angst etwa, das Kind wieder nicht pünktlich abholen zu können, bestimmt schon den halben Arbeitstag). Dann erst kommt ihnen das Potenzial von schädlichem Stress zu, der ein krankheitsauslösender Faktor ist.
Es sind also sowohl objektive wie auch subjektive Faktoren, die darüber bestimmen, was schädlicher Stress für eine Person ist.
Ist es dann aber erst einmal stressig und hält dieser Zustand über längere Zeit an, dann entgleisen viele Regulationssysteme unseres Organismus, statt in einer angemessenen Antwort auf die neuen Anforderungen wieder einreguliert zu werden:
der Schlaf ist gestört
die Konzentrationsfähigkeit nimmt ab
Bluthochdruck manifestiert sich
Herzrhythmusstörungen treten auf
der Magen macht sich schmerzhaft bemerkbar
der Darm entwickelt sich zum Reizdarm
die Anfälligkeit für Diabetes steigt
das Immunsystem reagiert zu heftig mit Allergien – oder zu wenig, und eine harmlose Erkältung kann sich zu einer Lungenentzündung auswachsen
Letztlich gibt es kein Regulationssystem, das sich der Störung durch Stressoren entziehen kann. Die Bedeutung von Stress als eines der größten krank machenden Faktoren wird heute nirgendwo mehr unterschätzt.
Dass Meditation Stress reduzieren kann, ist durch viele gute Untersuchungen sicher belegt.
Wie kommt es aber dazu, dass Meditation Stress verringert und ein besseres Stressmanagement bewirkt, wie wirkt Meditation auf unser System? Untersuchungen, die dieser Frage nachgegangen sind, haben festgestellt, dass bestimmte Stressparameter im Blut unter Meditation absinken. Auch vegetative Parameter wie Atmung und Herzfrequenz reagieren auf Meditation.
Vereinfacht formuliert lässt sich die Wirkungsweise von Meditation aber am besten so beschreiben: Sie hilft unseren inneren Regulationssystemen, mit den Störfaktoren von außen und innen besser zurechtzukommen.
Offensichtlich begünstigt ein beruhigter Geist – unabhängig durch welche Methode dies erreicht wurde – diejenigen im System vorhandenen Ressourcen angemessen einzusetzen, die unseren Organismus immer wieder in Balance bringen. Allerdings sind noch viele der Fragen danach offen, auf welche Art und Weise diese Wirkungen zustande kommen.
Die Methode Mindfullness Based Stress Reduction
MBSR nach John Cabat-Zinn
Verfolgt man den Prozess, der die Meditation im Westen zu einem Instrument für Gesundheit und Wohlbefinden werden ließ, so muss man in den achtziger Jahren zurück und nach Westen blicken, genauer gesagt, nach Kalifornien.
Es war die Verknüpfung von großen finanziellen Ressourcen, Wissenschaft und modernem Effizienzdenken, welche die neuen Erkenntnisse zur Meditation gefördert hat, vorwiegend in den USA. Dort waren seit Ende der Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts einige psychologische und neurophysiologische Wissenschaftler*innen in engen Kontakt mit buddhistischen Meditationspraktiken gekommen; nun verbanden sie ihr persönliches mit ihrem wissenschaftlichen Interesse und nutzten die ihnen zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten.
Begünstigt hatte diese Entwicklung die offene Haltung des aus Tibet exilierten Dalai Lama gegenüber Wissenschaft und Forschung. Die Probanden der Untersuchungen mit modernen Magnetresonanztomografen waren buddhistische Mönche mit viel Erfahrung in der Technik der Vipāssanameditation. Ihnen ist es zu verdanken, dass wir mittlerweile wissen, dass sich Meditation in Veränderungen der Hirndurchblutung widerspiegelt, dass Meditation auch physiologisch eine, wenn auch besondere Art der Aktivität des Gehirns ist.
Zuzuschreiben ist ihnen auch, dass die Vipāssanameditation die noch immer am besten untersuchte aller Meditationstechniken ist – wenn von Meditation die Rede ist, wird oft diese Technik assoziiert, obgleich es nur eine unter vielen ist.
Die Achtsamkeitsmeditation leitet sich aus der buddhistischen Vipāssanameditation ab, die in je nach Schule unterschiedlicher Art und Weise auch den eigenen Atem, den Körper und den eigenen Gedankenfluss zum Übungsobjekt macht. Manchen buddhistischen Schulen ist die Sammlung des Geistes auf das Atemgeschehen eine Vorübung, anderen ist sie der wesentliche Weg dafür. Immer reicht aber das Ziel bei der Sammlung der Aufmerksamkeit auf den Atem bei weitem über das Erlernen von Achtsamkeit hinaus.
Eine Entkleidung der Meditation von ihren traditionellen Ambitionen wie Befreiung aus dem leidvollen Rad der Wiedergeburten spielt für die Verbreitung dieser Meditationsform deshalb eine große Rolle. Die meisten Menschen, die sie im Rahmen von Programmen zur Stressbewältigung praktizieren, wissen gar nichts darüber – und müssen es auch nicht. Denn ganz offensichtlich ist das Angebot, seine geistigen Aktivitäten auf den kontinuierlichen Fluss des eigenen Atems (vielleicht auch den Körper oder die Gedanken) auszurichten, eine leicht nachzuvollziehende und einfach zu praktizierende Aktivität. Zudem muss sie dabei als ein neutraler Fokus weder mit Vorstellungen von Transzendenz noch einer Identifikation mit einem so oder so gearteten Glauben verbunden werden.
Die Erfolgsgeschichte der Achtsamkeitsmediation im Westen verbindet sich mit einem Namen: John Cabat-Zinn, Begründer der Mindfullness Based Stress Reduction, MBSR.
Neben einer Atemachtsamkeitsübung – Breathing Space – enthält sein Programm unter anderem auch eine Technik der Körperwahrnehmung – Bodyscan. Letztere ist eine Meditation mit systematisch wechselnden Körper-Fokussen. Ferner umfasst das Programm des MBSR das Üben einer:
Āsanareihe
stilles Sitzen – Sitzmeditation
achtsames Gehen – Gehmeditation
eine Aufgabe für den Alltag, die darin besteht, diesen achtsam zu gestalten.
häufig wird dazu auch eine Art Tagebuch angelegt
Häufig wird von Menschen, die einen solchen Kurs abgeschlossen haben, von dem gesamten Trainingsprogramm hauptsächlich die Atemachtsamkeitsübung und die Yoga-Übungen weitergeführt.
Ein Nachteil von Cabat-Zinns Methode, das Prinzip one suitsall, also alle üben das Gleiche, ist gleichzeitig ein Vorteil. Warum?
Es machte die Methode in klar strukturierten Programmen einfach vermittelbar, ließ sich in Untersuchungen leicht auf ihre Effizienz hin überprüfen und verhalf so der Meditation als Technik insgesamt zu wissenschaftlicher Akzeptanz. Das lässt heute die ebenso positive wie eindeutige Aussage zu:
MBSR taugt als Methode zur Stressreduktion.
Der Nachweis dafür wird durch eine Vielzahl von auf hohem wissenschaftlichem Standard durchgeführten Untersuchungen gestützt. MBSR wird oft mit dem Anspruch verbunden, ein Verhalten und Empfinden zu trainieren, das unmittelbar in den Alltag hineinreicht und ihn verändert. Inwieweit diese Effekte nachhaltig sind, ist allerdings noch unklar. Neuere Studienprojekte versuchen vermehrt, diese Frage zu klären. Auch inwieweit die Methode dazu beiträgt, Angsterkrankungen und Depressionen positiv zu beeinflussen, ist noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen.
Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2015 von 29 MBSR-Studien aus dem Jahr 2014, die mit gesunden Probanden auf die Themen Stress-Reduktion, Angstlösung, depressiven Anmutungen und Lebensqualität hin durch geführt wurde, bestätigte die vermutete Wirkung – allerdings war nur ein moderater Effekt zu beobachten und die Untersucher selbst fordern zur Klärung weitere Studien.
In der wissenschaftlichen Diskussion um MBSR wird auch ein deutlicher Mangel aller derzeitigen Untersuchungen angesprochen: Niemand kann bisher sagen, welche Elemente der Methode letztlich die wirksamsten sind – oder anders ausgedrückt:
Ist es die eine oder die andere Meditation?
Sind es die Yoga-Übungen?
Ist es der Rahmen einer Gruppenaktivität
Ist es die alltägliche Selbstbeobachtung?
Wirkt nur alles zusammen?
Für die vielen Menschen, die mithilfe der MBSR-Programme ihr Leben und ihre Probleme besser in den Griff bekommen, ist diese Frage allerdings von nachgeordneter Bedeutung.
Herz-Kreislauf-Regulierung
Auch hier ist die Effizienz von Meditation in vielen recht guten Studien untersucht worden, vor allem im Bereich der sogenannten arteriellen Hypertonie, also des Bluthochdrucks. Meditation senkt den Blutdruck, wie in einer hervorragend konzipierten und durchgeführten Studie über Yoga erneut nachgewiesen werden konnte. Auch Erkrankungen der Herzkranzgefäße, Herzschmerzen und Herzrhythmusstörungen verbessern sich sehr wahrscheinlich.
Der Mechanismus, über den diese Wirkungen entstehen, lässt sich bislang allerdings nur aus der Kenntnis physiologischer Vorgänge ableiten. Vermutlich spielt der in den Untersuchungen zur Blutdrucksenkung nachgewiesene Einfluss von Meditation auf die vegetative Regulation eine Rolle. Dass auch Menschen mit Schlafstörungen positiv auf Meditation reagieren, ist im gleichen Zusammenhang zu sehen.
Wirkungen auf das Immunsystem und Diabetes mellitus
Es gibt Hinweise darauf, dass sich bei Menschen mit Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus, Typ 2) unter einer Intervention mit Meditation Verbesserungen ihrer Blutzuckerwerte nachweisen lassen.
Hier handelt es sich um Studien, die aufgrund der geringen Zahl der TeilnehmerInnen nur als sogenannte Pilotstudien anerkannt werden, also Studien, die nur eine Orientierung dafür geben, dass es sich lohnt, größere und aussagekräftigere Studien zum gleichen Thema anzulegen. Vor allem in Indien wird in diesem Gebiet geforscht. Andere Untersuchungen – auch diese mit kleinen Gruppen – geben Hinweise darauf, dass sich durch Meditation bei HIV-infiziertenMenschen ein positiver Einfluss auf die Höhe der T-Lymphozyten im Blut erreichen lässt; hier wurde in den meisten Fällen die MBSR-Methode benutzt. Und auch Entzündungsparameter scheinen positiv zu reagieren, wenn die Probanden der jeweiligen Untersuchungen über eine gewisse Zeit meditierten.
Der genaue Ablauf dieser Wirkungsweisen ist auch hier bisher nicht eindeutig erkannt und es wird sicher auch in Zukunft nicht einfach sein, solche Details aufzuspüren. Einige Untersuchungen deuten auf bestimmte Gehirnareale hin, wie den Hypothalamus, einen Knotenpunkt in der Koordination des vegetativen Nervensystems und anderer Steuerungsprozesse.
Auch hier liegt es nahe, dass die weiter oben ausführlich dargestellte Stressregulierung eine bedeutende Rolle in der Wirkung von Meditation spielt. Was sich auch praktisch beobachten lässt: Wer hat noch nicht die Erfahrung gemacht, dass sie oder er nach einer länger andauernden starken Stress-Belastung an den sensiblen Stellen einknickt:
eine Neigung zu Nebenhöhlenentzündungen offenbart sich wieder als akute Infektion
aus einer banalen Erkältung wird unversehens eine Lungenentzündung
der Reizdarm spielt verrückt
der Blutzuckerspiegel steigt trotz guter medikamentöser Einstellung
Der Nachweis, dass Stress das Immunsystem negativ beeinflusst, ist wissenschaftlich schon lange geführt. Schwieriger scheint es, die positive Wirkung von Meditation ebenso detailliert zu erklären.
Meditation und Psyche
Auch zur Fragestellung der Wirkung von Meditation auf Angsterkrankungen, Burn-out und Depressionen gibt es inzwischen eine Reihe von Untersuchungen. Letztere teilen mit Untersuchungen zur Wirkung von Yoga im Allgemeinen die schon oben erwähnte Schwäche: Viele sind zwar seriös angelegt und durchgeführt, können aber von den Untersuchenden fast ausschließlich als Pilotstudien deklariert werden – die bisher untersuchten Gruppen sind also noch zu klein.
Dazu kommt, dass die Intervention was haben die Probanden konkret geübt selbst aus verschiedenen Angeboten besteht (neben Meditation noch Āsana, andere Übungsweisen oder Gesprächstherapie etc.) und deshalb unklar bleibt, was eigentlich für die beobachtete Wirkung verantwortlich ist. Dennoch weisen die meisten Studien darauf hin, dass es positive Anzeichen für eine Wirkung in diesem Bereich gibt und häufig fordern die Untersucher*innen deshalb neue, größere und besser konzipierte Studien ein.
Was gelten praktische Erfahrungen mit Meditation in der Yogatherapie?
Zunächst einmal: viel!
Wer über Jahre hinweg und mit vielen KlientInnen mit Meditation arbeitet, hat auch Erfahrungen mit den Wirkungen dieser Methode sammeln können. Diese lassen sich seriös und verlässlich vermitteln, wenn die Unterrichtenden auf größte Transparenz achten. Das bedeutet, dass die KlientInnen erfahren sollten, wie der wissenschaftliche Stand der Forschung zu dem jeweiligen Anliegen ist, das sie nach Meditation fragen lässt.
Gleichzeitig lässt sich aber auch sehr deutlich machen, was aus der eigenen Arbeitsperspektive heraus an Aussagen zur Wirkung von Meditation möglich ist. Im Berliner Yoga Zentrum (BYZ) war Meditation seit über 30 Jahren ein fester Bestandteil der Yoga-Interventionen; selten allerdings wurde sie allein in einer Yogatherapie eingesetzt, sondern verbunden mit Āsana-Praxis und noch häufiger mit Prāṇāyāma-Übungen.
In diesem Rahmen hat das BYZ in einer sehr großen Anzahl dokumentierter Fälle einen Beitrag zur Verbesserung der Gesundheit und Lebensqualität der Übenden geleistet. Fragt jemand also, ob Meditation in diesem oder jenem Fall helfen kann, können Erfahrungen zur Sprache gebracht werden und auf die vorliegenden oder eben noch nicht vorliegenden Ergebnisse von Untersuchungen verwiesen werden.
Auf dem Hintergrund dieser beiden Felder kann gesagt werden: Ja, Meditation ist gut für die Gesundheit, sie verbessert die innere Gestimmtheit und erhöht die Resilienz, also die körperliche und seelische Widerstandsfähigkeit – wenn sie wie jede Praxis regelmäßig geübt wird. ▼