Dehnen!?

  • Was passiert genau, wenn man sich dehnt?
  • Welche Auswirkungen können erwartet werden?
  • Worauf sollte geachtet werden?

Viele Antworten, die auf diese Fragen gegeben werden, gelten heute als überholt. Der folgende Artikel beschäftigt sich mit der tatsächlichen Bedeutung des Dehnens. Er behandelt die immer wieder intensiv geführte Diskussion über den Nutzen und die Zwecklosigkeit von Dehnübungen, vermittelt einen aktuellen Stand des Wissens darüber und diskutiert die Konsequenzen für eine gesunde und effektive Āsanapraxis.
Er erklärt, warum gezielte, intensive und ausdauernde Dehnungen in der Praxis und im Unterricht von Āsana für viele Unterrichtende schon seit Langem keine Rolle mehr spielen.

Wird vom Dehnen oder Dehnübungen gesprochen, kann das vieles heißen. In wissenschaftlichen Studien werden damit Übungen beschrieben, die ganz gezielt darauf angelegt sind, bestimmte Muskelgruppen intensiv zu dehnen. Stretching ist der Begriff, der in englischsprachigen Studien und Diskussionen innerhalb des Yogas dafür verwendet wird. Die damit beschriebene Dehnung sollte über einen leicht erreichbaren maximalen Bewegungsbereich hinausgehen und zu einer deutlich wahrnehmbaren Dehnspannung führen.

Als statisch wird eine Dehnung bezeichnet, wenn die dabei maximal erreichte Dehnung in unveränderter Position gehalten wird – mehrere Sekunden bis Minuten. Von dieser Art zu dehnen, wird im Folgenden hauptsächlich die Rede sein. Sie steht im Mittelpunkt vieler Dehnmethoden, insbesondere aber auch bei einigen Yogastilen, und ist kritisch zu hinterfragen.

Abb. 1

Zum Beispiel uttānāsana (Abb. 1): Dynamisch und gut koordiniert mit dem Rhythmus des Atems wird in der Dehnung der natürliche Bewegungsbereich des betreffenden Menschen respektiert. Meist (wenn auch nicht immer) ist es dafür notwendig, die Knie mehr oder weniger zu beugen. Die dabei angestrebten Qualitäten sind gerichtete Aufmerksamkeit, ein angenehmes Körpergefühl (dazu gehört selbstverständlich unbedingte Schmerzfreiheit) und die Beibehaltung eines ruhigen, lang und gleichmäßig geführten Atems. Die so erreichte Dehnung der Rückseite des Körpers vermeidet dabei bewusst die Intensität und Dauer, wie sie durch Stretching bei der Praxis des Āsanas in bestimmten Yogastilen erreicht wird (Abb. 2).

Abb. 2

Denn – Dehnungen in dynamischen Abläufen sollten so ausgeführt und unterrichtet werden, dass die Bewegungen innerhalb des natürlich gegebenen Bewegungsausmaßes aller beteiligten Gelenke bleiben. Eine Dehnarbeit am Limit ist nicht sinnvoll. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich dieser Artikel ausführlich mit dieser Art Dehnübungen, um als Unterrichtende die Art und Weise des eigenen Unterrichtens zu begründen und transparent zu machen. Sei es, weil …

  • sich jemand dafür interessiert.
  • sich mit Vorstellungen auseinandergesetzt werden muss, die persönlichen Fortschritt im Yoga immer noch mit größter körperlicher Flexibilität verbinden.
  • intensive Dehnungen in den Mittelpunkt der Arbeit mit Āsanas gestellt werden, um einem angeblichen Kanon klassischer Haltungen möglichst nahezukommen.

Das Anliegen dieses Artikels ist es, eine Reflexion über die körperlichen Ziele anzuregen, die mit der Āsanapraxis verbunden sind. Die Darstellung von Yoga in alten Āsanakompendien, auf vielen Webseiten oder Hochglanzbroschüren, zeigt eine Fetischisierung akrobatischer Haltungen und lässt keinen Zweifel daran, dass der Fortschritt im Yoga von einer möglichst großen körperlichen Flexibilität abhängen soll. Erfreulicherweise ändert sich dieses Verständnis der Āsanapraxis.

Dehnen!?

  • Was passiert genau, wenn man sich dehnt?
  • Welche Auswirkungen können erwartet werden?
  • Worauf sollte geachtet werden?

Viele Antworten, die auf diese Fragen gegeben werden, gelten heute als überholt. Der folgende Artikel beschäftigt sich mit der tatsächlichen Bedeutung des Dehnens. Er behandelt die immer wieder intensiv geführte Diskussion über den Nutzen und die Zwecklosigkeit von Dehnübungen, vermittelt einen aktuellen Stand des Wissens darüber und diskutiert die Konsequenzen für eine gesunde und effektive Āsanapraxis.
Er erklärt, warum gezielte, intensive und ausdauernde Dehnungen in der Praxis und im Unterricht von Āsana für viele Unterrichtende schon seit Langem keine Rolle mehr spielen.

Wird vom Dehnen oder Dehnübungen gesprochen, kann das vieles heißen. In wissenschaftlichen Studien werden damit Übungen beschrieben, die ganz gezielt darauf angelegt sind, bestimmte Muskelgruppen intensiv zu dehnen. Stretching ist der Begriff, der in englischsprachigen Studien und Diskussionen innerhalb des Yogas dafür verwendet wird. Die damit beschriebene Dehnung sollte über einen leicht erreichbaren maximalen Bewegungsbereich hinausgehen und zu einer deutlich wahrnehmbaren Dehnspannung führen.

Als statisch wird eine Dehnung bezeichnet, wenn die dabei maximal erreichte Dehnung in unveränderter Position gehalten wird – mehrere Sekunden bis Minuten. Von dieser Art zu dehnen, wird im Folgenden hauptsächlich die Rede sein. Sie steht im Mittelpunkt vieler Dehnmethoden, insbesondere aber auch bei einigen Yogastilen, und ist kritisch zu hinterfragen.

Abb. 1

Zum Beispiel uttānāsana (Abb. 1): Dynamisch und gut koordiniert mit dem Rhythmus des Atems wird in der Dehnung der natürliche Bewegungsbereich des betreffenden Menschen respektiert. Meist (wenn auch nicht immer) ist es dafür notwendig, die Knie mehr oder weniger zu beugen. Die dabei angestrebten Qualitäten sind gerichtete Aufmerksamkeit, ein angenehmes Körpergefühl (dazu gehört selbstverständlich unbedingte Schmerzfreiheit) und die Beibehaltung eines ruhigen, lang und gleichmäßig geführten Atems. Die so erreichte Dehnung der Rückseite des Körpers vermeidet dabei bewusst die Intensität und Dauer, wie sie durch Stretching bei der Praxis des Āsanas in bestimmten Yogastilen erreicht wird (Abb. 2).

Abb. 2

Denn – Dehnungen in dynamischen Abläufen sollten so ausgeführt und unterrichtet werden, dass die Bewegungen innerhalb des natürlich gegebenen Bewegungsausmaßes aller beteiligten Gelenke bleiben. Eine Dehnarbeit am Limit ist nicht sinnvoll. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich dieser Artikel ausführlich mit dieser Art Dehnübungen, um als Unterrichtende die Art und Weise des eigenen Unterrichtens zu begründen und transparent zu machen. Sei es, weil …

  • sich jemand dafür interessiert.
  • sich mit Vorstellungen auseinandergesetzt werden muss, die persönlichen Fortschritt im Yoga immer noch mit größter körperlicher Flexibilität verbinden.
  • intensive Dehnungen in den Mittelpunkt der Arbeit mit Āsanas gestellt werden, um einem angeblichen Kanon klassischer Haltungen möglichst nahezukommen.

Das Anliegen dieses Artikels ist es, eine Reflexion über die körperlichen Ziele anzuregen, die mit der Āsanapraxis verbunden sind. Die Darstellung von Yoga in alten Āsanakompendien, auf vielen Webseiten oder Hochglanzbroschüren, zeigt eine Fetischisierung akrobatischer Haltungen und lässt keinen Zweifel daran, dass der Fortschritt im Yoga von einer möglichst großen körperlichen Flexibilität abhängen soll. Erfreulicherweise ändert sich dieses Verständnis der Āsanapraxis.

Dehnen!?

  • Was passiert genau, wenn man sich dehnt?
  • Welche Auswirkungen können erwartet werden?
  • Worauf sollte geachtet werden?

Viele Antworten, die auf diese Fragen gegeben werden, gelten heute als überholt. Der folgende Artikel beschäftigt sich mit der tatsächlichen Bedeutung des Dehnens. Er behandelt die immer wieder intensiv geführte Diskussion über den Nutzen und die Zwecklosigkeit von Dehnübungen, vermittelt einen aktuellen Stand des Wissens darüber und diskutiert die Konsequenzen für eine gesunde und effektive Āsanapraxis.
Er erklärt, warum gezielte, intensive und ausdauernde Dehnungen in der Praxis und im Unterricht von Āsana für viele Unterrichtende schon seit Langem keine Rolle mehr spielen.

Wird vom Dehnen oder Dehnübungen gesprochen, kann das vieles heißen. In wissenschaftlichen Studien werden damit Übungen beschrieben, die ganz gezielt darauf angelegt sind, bestimmte Muskelgruppen intensiv zu dehnen. Stretching ist der Begriff, der in englischsprachigen Studien und Diskussionen innerhalb des Yogas dafür verwendet wird. Die damit beschriebene Dehnung sollte über einen leicht erreichbaren maximalen Bewegungsbereich hinausgehen und zu einer deutlich wahrnehmbaren Dehnspannung führen.

Als statisch wird eine Dehnung bezeichnet, wenn die dabei maximal erreichte Dehnung in unveränderter Position gehalten wird – mehrere Sekunden bis Minuten. Von dieser Art zu dehnen, wird im Folgenden hauptsächlich die Rede sein. Sie steht im Mittelpunkt vieler Dehnmethoden, insbesondere aber auch bei einigen Yogastilen, und ist kritisch zu hinterfragen.

Abb. 1

Zum Beispiel uttānāsana (Abb. 1): Dynamisch und gut koordiniert mit dem Rhythmus des Atems wird in der Dehnung der natürliche Bewegungsbereich des betreffenden Menschen respektiert. Meist (wenn auch nicht immer) ist es dafür notwendig, die Knie mehr oder weniger zu beugen. Die dabei angestrebten Qualitäten sind gerichtete Aufmerksamkeit, ein angenehmes Körpergefühl (dazu gehört selbstverständlich unbedingte Schmerzfreiheit) und die Beibehaltung eines ruhigen, lang und gleichmäßig geführten Atems. Die so erreichte Dehnung der Rückseite des Körpers vermeidet dabei bewusst die Intensität und Dauer, wie sie durch Stretching bei der Praxis des Āsanas in bestimmten Yogastilen erreicht wird (Abb. 2).

Abb. 2

Denn – Dehnungen in dynamischen Abläufen sollten so ausgeführt und unterrichtet werden, dass die Bewegungen innerhalb des natürlich gegebenen Bewegungsausmaßes aller beteiligten Gelenke bleiben. Eine Dehnarbeit am Limit ist nicht sinnvoll. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich dieser Artikel ausführlich mit dieser Art Dehnübungen, um als Unterrichtende die Art und Weise des eigenen Unterrichtens zu begründen und transparent zu machen. Sei es, weil …

  • sich jemand dafür interessiert.
  • sich mit Vorstellungen auseinandergesetzt werden muss, die persönlichen Fortschritt im Yoga immer noch mit größter körperlicher Flexibilität verbinden.
  • intensive Dehnungen in den Mittelpunkt der Arbeit mit Āsanas gestellt werden, um einem angeblichen Kanon klassischer Haltungen möglichst nahezukommen.

Das Anliegen dieses Artikels ist es, eine Reflexion über die körperlichen Ziele anzuregen, die mit der Āsanapraxis verbunden sind. Die Darstellung von Yoga in alten Āsanakompendien, auf vielen Webseiten oder Hochglanzbroschüren, zeigt eine Fetischisierung akrobatischer Haltungen und lässt keinen Zweifel daran, dass der Fortschritt im Yoga von einer möglichst großen körperlichen Flexibilität abhängen soll. Erfreulicherweise ändert sich dieses Verständnis der Āsanapraxis.

Wie viel Dehnung braucht der Mensch?

Zuerst die gute Nachricht: Jedes Dehnen belebt unmittelbar die betroffene Muskulatur und führt zu einer kurzfristigen Senkung des Muskeltonus, entspannt sie also.

Wesentliche Ursache dieser Wirkung ist allerdings kein Wegdehnen der Spannung. Vielmehr löst die Dehnung eine Gegenspannung zum Selbstschutz des Muskels aus. Der Muskel wird aktiviert, die Durchblutung steigt, das Gewebe erwärmt sich. Diese Effekte sind wesentlich verantwortlich für das beim Dehnen unmittelbar erlebte subjektive Wohlgefühl.

Am effektivsten gelingt diese Tonisierung und Entspannung der Muskulatur bei langsamer Bewegung (Dehnung) und wenn darauf geachtet wird, nicht an der maximalen Grenze der erreichbaren Spannung zu arbeiten. Schnelles Dehnen und intensiver Spannungsaufbau bis an die Grenze des gerade noch Möglichen erhöht stattdessen langfristig die Ruhespannung eines Muskels.

Viel hilft eben nicht immer viel.

Auch lassen sich chronische Muskelverspannungen nachweislich nicht durch intensive Dehnübungen lösen. Siehe dazu auch weiter unten, Dehnung – die Erforschung einer Alltäglichkeit

Scheinbar wenig zeigt dagegen große Wirkung. So bleibt schon durch regelmäßiges Ausnutzen der individuell gegebenen Bewegungsspanne die Beweglichkeit eines Menschen erhalten. Oder lässt sich – wenn tatsächlich gewünscht – auch steigern. Und zwar so weit, wie es dem individuellen, gesunden Maß eines Menschen entspricht. Dafür bietet die dynamische Praxis von Āsanas eine unerschöpfliche Quelle von Möglichkeiten.

Die Bedeutung der Flexibilität für gutes Bewegen wird generell überschätzt. Es ist wichtig, zwischen Flexibilität und Mobilität zu unterscheiden:

  • Flexibilität bezeichnet das Bewegungsausmaß in einem bestimmten Gelenk, also wie weit es sich von Punkt A nach Punkt B bewegen kann.
  • Mobilität hingegen bezeichnet das Ausmaß an funktioneller Kontrolle über die gesamte Bewegungsspanne eines Gelenks, bis in den gegebenen Endbereich einer Bewegung. Die meisten Menschen benötigen mehr Mobilität, jedoch keine größere Flexibilität, um ihre Bewegungen zu verbessern. Mit anderen Worten, sie benötigen nicht unbedingt ein größeres Bewegungsausmaß, sondern eine bessere Qualität und Kontrolle auch im Endbereich der Bewegung, den sie bereits beherrschen Todd Hargrove, Better Movement, Seattle 2014, S. 13 ff.

Leider ist es auch möglich, sinnvolle Grenzen zu überschreiten: Mit einer entsprechenden Āsanapraxis kann eine gezielte, deutliche und sogar extreme Erweiterung des Bewegungsausmaßes von Gelenken erreicht werden. In einigen Yogastilen ist das Streben nach einer solch großen Flexibilität immer noch selbstverständlich oder ein wichtiger Aspekt des Übens. Deshalb beinhaltet die Āsanapraxis dort regelmäßig intensives Dehnen. Im Gegensatz zu den Yogastilen, die intensiv mit Dehnungen arbeiten, wird z. B. im professionellen Tanz- oder Sporttraining versucht, den bekannten negativen Auswirkungen dieser Grenzverschiebung durch sehr intensives Krafttraining entgegenzuwirken.

  • Die dadurch erzielte Zunahme an Beweglichkeit beruht auf der Verschiebung einer komplex organisierten Grenze im Bewegungsausmaß, deren Zweck der Schutz von Muskel- und Gelenkstabilität ist. Eine solche Verschiebung kann die neuromuskuläre Muskelbalance und die Gelenkstabilität langfristig gefährden.
  • Darüber hinaus haben sich viele frühere Annahmen über die positive Wirkung von Dehnübungen als falsch erwiesen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Jede Praxis eines Āsana beinhaltet immer auch mehr oder weniger intensive Dehnungen. Zudem sind gezielte, aber angemessene Dehnungen oft unersetzlich bei der Wiederherstellung einer verlorenen Beweglichkeit. Entsprechend spielen sie auch im Yoga-therapeutischen Zusammenhang eine wichtige Rolle.

Mythen und Fakten

Es war ein 2008 erschienener Artikel in der New York Times, der einer breiten Öffentlichkeit viele der neu gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Dehnen vermittelte. Unter der Überschrift Stretching: Die Wahrheit wurde eine klare Botschaft vermittelt:

Intensive Dehnungen erfüllen nicht die Erwartungen, die viele Menschen an sie stellen.

Seitdem wird eine umfangreiche Diskussion über den Sinn und Unsinn von Dehnübungen geführt und die damit verbundenen wissenschaftlichen Untersuchungen und Studien haben in Zahl und Qualität deutlich zugenommen. Aktuell gibt es viele Publikationen, die einen klaren Überblick über die dabei gewonnenen Ergebnisse vermitteln.

Ein Dilemma in der Diskussion über das Dehnen besteht darin, dass Dehnübungen oft sofort ein Wohlgefühl erzeugen, auch wenn sie langfristig der Gesundheit nicht zuträglich sein können. Dies macht es für viele Menschen schwierig, sich mit den bekannten Fakten über das Dehnen auseinanderzusetzen.

Der Wissenschaftsjournalist Paul Ingraham versucht deshalb auf schonende Art und Weise seinen LeserInnen die praktische Relevanz dieser Faktenlage nahezubringen.

Dehnübungen sind für viele Menschen, einschließlich mir selbst, ein angenehmes und beruhigendes Ritual. Es ist einfach, fühlt sich gut an und wir glauben – oder hoffen, dass wir davon profitieren. Könnte es sein, dass sich all diese Menschen irren? Ja, das ist möglich und es ist der Fall. Ist ihr Glaube an den Wert von Dehnübungen ein Irrtum? Ich fürchte, das ist der Fall. Zahlreiche aktuelle Studien zeigen, dass Dehnübungen, so wie wir sie heute kennen, meistens eine Zeitverschwendung sind, zumindest für die meisten der am häufigsten genannten Ziele im Zusammenhang mit Dehnung. Zum Beispiel zeigen Hunderte von Studien, dass Dehnübungen weder gegen Muskelkater helfen noch das Verletzungsrisiko reduzieren. 1

Immer noch findet man im Netz folgende Beschreibungen:

  • Die Laufrunde um den See schaffen Sie mit links, doch mit den Fingerspitzen erreichen Sie nicht den Boden? Dann sind Ihre großen Muskelpartien im Oberschenkel-, Hüft- und Pobereich höchstwahrscheinlich verkürzt.
  • Wer sich Zeit zum Dehnen nimmt, profitiert mehrfach. Die Beweglichkeit nimmt zu und das Verletzungsrisiko vermindert sich.
  • Die Muskeln erholen sich schneller. Beim Stretching werden sie stärker durchblutet und bekommen so mehr Nährstoffe, die die Regeneration fördern.
  • Dehnen macht Lauftraining effektiver, denn mit geschmeidigen Muskeln können größere Schritte gemacht werden.

Das klingt überzeugend. Das Problem: Nichts davon trifft zu, denn:

  • es gibt keine verkürzten Muskeln
  • Dehnübungen vermindern nicht das Verletzungsrisiko
  • Muskeln erholen sich durch Dehnen nicht schneller, das Gegenteil ist der Fall

Die umfangreichen Erkenntnisse, die inzwischen über das Dehnen gewonnen wurden, stehen in völligem Widerspruch dazu und reichen weit über sportwissenschaftliche Aspekte hinaus. Mehr dazu auch im Kapitel Dehnung – die Erforschung einer Alltäglichkeit.

Diese Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf den Umgang mit Dehnungen in der Praxis von Āsanas. Sie bieten Antworten auf die Fragen:

  • Wie wirkt sich das Dehnen im Yoga aus?
  • Welche unmittelbaren und langfristigen Auswirkungen können erwarten werden?
  • Wie kann erklärt werden, dass eine Person durch das Üben von Yoga beweglicher wird?
  • Wie viel Beweglichkeit ist gesund?
  • Gibt es Risiken und wenn ja, wie können diese erkannt werden?

Folgende Erkenntnisse sind heute durch zahlreiche Untersuchungen und Studien gesichert:

  • Muskuläre Dysbalancen können nicht durch Dehnung aufgelöst werden.
  • Dehnen verringert nur kurzfristig den Spannungszustand der Muskulatur.
  • Die durch intensive und regelmäßige Dehnungen langfristig erreichte größere Beweglichkeit ist keine Folge einer Veränderung der Muskelstruktur. Die Muskeln werden dabei nicht elastischer, länger oder flexibler. Was sich verändert, ist hauptsächlich die neuronal gesteuerte Dehnungstoleranz.
  • Statisches Dehnen ist in besonderer Weise mit Risiken verbunden und zeigt keine positiven Effekte für die harmonische Funktion und Leistungsfähigkeit der Muskulatur.
  • Die großen Gelenke, insbesondere die Schulter-, Knie- und Iliosakralgelenke sowie die Wirbelgelenke im Bereich des Nackens und des unteren Rückens, sind besonders anfällig für eine Destabilisierung durch Überdehnung.

___

1 www.painscience.com/articles/stretching.php

Gesunder Yoga ist kein Stretching

Inzwischen zeigt die Erfahrung, dass besonders in Āsana, die auf intensivstes Dehnen setzen, ein hohes gesundheitsschädigendes Potenzial liegt.

Die extrem akrobatischen, bei Āsana-Olympiaden beliebten Āsanas, wie hanumānāsana (Abb. 3) oder rājakapotāsana (in der Rückbeuge aus der Bauchlage berühren die Fußsohlen den Scheitel) (Abb. 4) bleiben hier unberücksichtigt. Wichtiger ist es, den Blick auf Āsanas zu richten, die immer noch weitgehend unreflektiert zum Unterrichtsalltag in vielen Yogastudios gehören.

Abb. 3
Abb. 4

Das hohe Risikopotential von Übungen wie sarvāṇgāsana (Abb. 5), aufgrund der oft geforderten und intensiven Nackendehnung, ist inzwischen bekannt. Diese und ähnliche Āsanas werden nur noch dort geübt, wo man sich jeglichem Sachverstand verweigert. Auch für padmāsana (Abb. 6) sind die Risiken für die Kniegelenke bekannt. Selten finden die Kniegelenke Gefallen an einer langwierigen und oft mühevollen Erarbeitung eines halben oder vollständigen Lotussitzes.

Abb. 5
Abb. 6

Eine einfache Regel hilft, um zu entscheiden, ob man sich mit dem Erarbeiten dieses Āsanas einen Gefallen tut. Entweder man konnte den Lotussitz schon immer oder man sollte sich besser nicht mit ihm herumquälen. Die Gefahr für bleibende Knieschäden ist einfach zu hoch. Gleiches gilt für Knieverdrehungen, wie sie beispielsweise in supta virāsana auch paryaṅkāsana (Abb. 7) verlangt werden.

Abb. 7

Neben solch eindeutigen Beispielen macht die Zurückhaltung bei der Forcierung intensiver statischer Dehnungen auch für viele andere Āsanas Sinn. Das betrifft etwa Übungen wie utthita trikoṇāsana parivṛtti (Abb. 8) und pārśva uttānāsana (Abb. 9), insbesondere wenn es um die Bewahrung der Stabilität im Bereich des unteren Rückens und der Iliosakralgelenke geht.

Abb. 8
Abb. 9

Werden intensiv und regelmäßig statische Übungen mit starker Dehnung geübt, können diese und ähnliche Āsanas die Iliosakralgelenke lockern und den unteren Rücken destabilisieren. Das Schultergelenk ist auf maximale Beweglichkeit ausgelegt und bietet strukturell besonders wenig Stabilität. Es wird hauptsächlich durch Bänder und Muskeln in Balance gehalten, hauptsächlich durch die für Verletzungen empfindliche Rotatorenmanschette. Wiederholter, intensiv forcierter statischer Zug in Übungen wie adhomukha śvānāsana (Abb. 10) oder dhanurāsana (Abb. 11) können das Gelenk nachhaltig aus dem Gleichgewicht bringen.

Abb. 10
Abb. 11

Daraus ergeben sich weitere grundsätzliche Fragen:

  • Was soll mit einer intensiven Dehnpraxis erreicht werden?
  • Was kann von Āsanas erwartet werden, die ein besonderes Dehnvermögen verlangen?
  • Welche Wirkungen sollen es sein, die den dafür notwendigen Aufwand und verbundene Risiken wert sind?
  • Worum geht es beim Yoga üben?
  • Die Praxis welcher Āsanas ist dafür angemessen und welche körperlichen Anforderungen sollten dafür im Üben gestellt werden?

Erfahrungen richtig deuten lernen

In der Yogaszene wird diskutiert, welcher Zusammenhang zwischen intensiver Dehnpraxis und dadurch ausgelösten Verspannungen, Schmerzen und chronischen muskulären Dysbalancen besteht. Im Zentrum der Diskussion steht immer wieder die Frage nach dem richtigen Umgang mit Problemen im Bereich des unteren Rückens, ein Dauerthema im Unterrichtsalltag.

Diese Diskussion über das Dehnen im Zusammenhang mit Yoga ist oft unscharf, da es schwierig ist, widersprüchliche Erfahrungen einzuordnen. Dehnungen fühlen sich oft sofort gut an und können das allgemeine Wohlbefinden steigern. Gleichzeitig erleben viele Übende, dass eine Dehnung einmal entspannend wirkt, ein anderes Mal jedoch eine unangenehme Spannung hinterlässt.

Es ist auch schwierig zu beurteilen, warum der untere Rücken nach dem Aushängen in einer Vorbeuge aus dem Stand (z. B. im Uttānāsana) entspannt wirkt, aber das Aufrichten aus dieser Dehnung oft ein vorsichtiges Abstützen des Oberkörpers erfordert, um neuen Schmerz zu vermeiden. Oder warum der untere Rücken nach einer langen Dehnung – sie muss nicht besonders intensiv sein – etwa beim Sitzen im Auto nach längerer Fahrt oder beim Unkraut jäten im Garten regelmäßig steif anstatt entspannt wirkt und nach Bewegung verlangt.

Vergleichbare Beobachtungen lassen sich auch bei der Praxis von Āsanas machen. Insbesondere nach statischen Dehnungen in Vorbeugen wie uttānāsana oder paścimatānāsana spüren viele Übende eine Spannung im unteren Rücken. Gleichzeitig helfen milde Dehnungen wie die Stufenlage oder apanāsana, den unteren Rücken offensichtlich und unmittelbar zu entspannen. Chronische Rückenschmerzen verbessern sich oft, wenn intensive Vorbeugen aus einer regelmäßig intensiv geübten Yogapraxis entfernt werden. Massive Nackenprobleme verschwinden, wenn auf Schulterstand und Pflug verzichtet wird.

In großen Teilen der Yoga-Szene besteht schon seit längerem ein Bewusstsein für die Problematik intensiver Dehnübungen.

Wer sich besonders in der therapeutischen Arbeit mit Yoga den Fakten stellt, lernt schnell, dass durch die Praxis intensiver Dehnungen keine nachhaltige Lösung für muskuläre Dysbalancen erreicht werden kann. Dies gilt sowohl für den Rücken als auch für andere Bereiche des Bewegungssystems.

Angesichts all dieser Erkenntnisse über intensives und statisches Dehnen, ist es nicht übertrieben zu sagen: Die von T. Krishnamacharya, TKV Desikachar und anderen weiterentwickelte Dynamisierung der Āsanapraxis – Viniyoga ist kein Yoga light und auch keine therapeutische Form des Yoga – auch wenn sie besonders gut für therapeutische Zwecke geeignet ist.

Sie erweist sich viel mehr als eine Form des Yogaübens, die dem aktuellen Wissen über den Menschen und die Bedingungen seiner Gesundheit in höchstem Maße gerecht wird.

Viele Unterrichtende haben mittlerweile die entsprechenden Konsequenzen für einen gesunden Umgang mit Āsanas gezogen. Sie üben Zurückhaltung bei intensiven, speziell bei statisch gehaltenen Dehnübungen. Sie haben Āsanas, die besonders extreme und gesundheitsschädliche Dehnungen verlangen wie Schulterstand oder Pflug, aus dem täglichen Praxisbetrieb entfernt. Außerdem haben sie ihren Blick dafür geschärft, welche Risiken grundsätzlich mit der erzwungenen Steigerung der Flexibilität eines Menschen verbunden sind.

Und die klare Abwendung von einer intensiven Dehnungspraxis in den Āsanas ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Lehrende und Praktizierende den Fortschritt auf dem Yogaweg nicht an immer perfekterer Körperbeherrschung und fotogener Beweglichkeit messen.

Nur so können die eigentlichen Ziele des Yoga überzeugend in den Mittelpunkt einer Körperpraxis gestellt werden:

  • Entwicklung von Eigenkompetenz und Persönlichkeit
  • innere Stabilität
  • Resilienz gegenüber Leid
  • Verantwortung für die eigene Gesundheit
  • erhöhtes Wohlbefinden
  • Klarheit und Offenheit

Steifheit – ist ein Gefühl!

Steifheit beschreibt nicht den biomechanischen Zustand der Muskulatur und kann vieles meinen. Eher selten aber bezieht sich dieses Gefühl auf die Wahrnehmung, der maximale Bewegungsbereich eines oder mehrerer Gelenke sei eingeschränkt. Viel häufiger wird mit sich steif fühlen ausgedrückt, dass sich ein Körperbereich einer Bewegung weit unterhalb des möglichen Bewegungslimits auf unangenehme Weise widersetzt; oder sich nie wirklich entspannt anfühlt.

Dabei ist das Gefühl von Steifheit in der Regel Ausdruck einer muskulären Dysbalance.

Heute weiß man um das multifaktorielle Geschehen, das für solche Dysbalancen verantwortlich ist: Dazu gehören:

  • ein gestörter Muskel-Stoffwechsel
  • mangelhafte neuromuskuläre Koordination
  • vergrößerte Schmerzsensibilität

Untersuchungen zeigen eindeutig: Durch intensive Dehnungen lassen sich die als akute oder chronische Steife erlebten muskulären Dysbalancen nicht nachhaltig lösen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass unser alltäglicher Umgang mit Steifheit den Zweifel an der Wirksamkeit von Dehnübungen nahelegt.

Die meisten Menschen reagieren auf das Gefühl von Steifheit nach langem Dehnen des unteren Rückens mit einer typischen Bewegung: Sie stehen aufrecht, stützen beide Hände in die Lenden (für Halt) und spannen den unteren Rücken an, indem sie sich zurückbeugen. Dies fördert tatsächlich die Durchblutung und neuromuskuläre Koordination, verbessert den Stoffwechsel und lindert die Spannung: Muskelaktivität gegen Muskelverspannung.

Trotzdem gibt es Menschen, die auf Spannung oder Schmerz im unteren Rücken mit intensiven Dehnübungen reagieren möchten – wie das ausgiebige Hängen des Oberkörpers in einer Vorbeuge aus dem Stand oder das längerfristige Verharren in der Hocke. Dies kann kurzfristige Erleichterung bieten, indem es einen Muskel tonisiert und seine Durchblutung verbessert. Auf lange Sicht ist intensives Dehnen als Reaktion auf Verspannungen jedoch kontraproduktiv. Häufig wiederholte, intensive Dehnungen können dabei zu einer Verfestigung der Muskulatur führen. Für einen gesunden Muskel ist das kein Problem, muskuläre Dysbalancen werden dadurch aber nicht verbessert, sondern verschlechtern sich.

Dehnen – die Erforschung einer Alltäglichkeit aus wissenschaftlicher Sicht

Vor etwa ungefähr 30 Jahren begann die intensive wissenschaftliche Erforschung der Wirkungen von Dehnübungen. Sportwissenschaftler suchten Antworten auf bisher ungeklärte Fragen, wie:

  • Kann das Verletzungsrisiko bei Sportlern durch Dehnübungen gesenkt werden?

Umfangreiche Studien zeigten, dass dies nicht der Fall ist, was auch andere gängige Annahmen infrage stellte, mit überraschenden Ergebnissen. Vielmehr steigern Dehnübungen vor sportlicher Aktivität nicht die körperliche Leistungsfähigkeit, sondern verringern sie sogar. Muskelkater lässt sich durch Dehnen nach dem Sport nicht verhindern und die Muskulatur regeneriert nicht besser.

Wer auf körperliche Fitness Wert legt, kann auf spezielle Dehnübungen verzichten.

Die Untersuchungen machten deutlich, wie wenig tatsächlich über das Dehnen von Muskeln bekannt war. Dies führte zu umfangreichen Forschungsarbeiten in vielen Bereichen der Humanwissenschaften. Die Erkenntnisse über Muskeldehnung sind weit über den Sport hinaus von Bedeutung, insbesondere für Praktiken wie Yoga.

Um zu verstehen, was beim Dehnen passiert, ist ein Grundverständnis der dabei ausgelösten physiologischen Prozesse im Muskel erforderlich. Dies beinhaltet Themen wie Muskelelastizität, kontraktile Elemente, Aktin-, Myosin- und Titin-Filamente sowie Dehntoleranz.

Mehr dazu erfährst du in diesem Abschnitt oder zusammengefasst im Kapitel, In aller Kürze ganz am Schluss dieses Artikels.

Ein Blick in die Innenwelt des Muskels – vom Groben zum Feinen:

Abb. 12

Jeder Muskel besteht aus vielen Muskelsträngen (Abb. 12 The American Physiological Society, 2011 - überarbeitet und ergänzt ), die wiederum aus zahlreichen kleinen Bündeln von Muskelfasern bestehen. Diese Muskelfasern sind die eigentlichen Muskelzellen. Sie werden als Fasern bezeichnet, da sie mehrere Zentimeter lang sein können. Innerhalb von ihnen sind zahlreiche Muskelbündel, sogenannte Myofibrillen, zusammengefasst.

Ein solches Muskelbündel besteht aus Hunderten von Sarkomeren, sie sind hintereinander gereihte Baueinheiten mit dem immer gleichen Aufbau. Sie enthalten dicht und parallel gepackte fadenartige Proteinmoleküle, die Filamente:

  • Myosin
  • Aktin
  • Titin

Hier entstehen alle Bewegungen. Es ist der Ort, an dem die Kontraktion stattfindet, die einen Muskel zusammenziehen lässt und seine Kraft entwickelt. Hier geschieht auch die Verlängerung, die das Dehnen eines Muskels ermöglicht.

Sarkomer:
Der in strenger Regelmäßigkeit längs der Muskelfaser hintereinander gereihte Grundbaustein jedes Muskels (Abb. 13 The American Physiological Society, 2011 - überarbeitet und ergänzt). Dort findet die Kontraktion statt, der Muskel zieht sich zusammen, weil sich Millionen Sarkomere zusammenziehen. Und dort dehnt sich auch der Muskel.
Er kann dies nur deshalb, weil sich das Sarkomer unter Zug längen kann. Aufgebaut ist jedes Sarkomer aus drei unterschiedlichen, dicht aneinander gepackten fadenförmigen Molekülketten, den sogenannten Filamenten: Myosin, Aktin und Titin. Myosin und Aktin besorgen die eigentliche Muskelarbeit, ihre Struktur ermöglicht die Dehnung des Muskels. Titin sorgt für die Elastizität des Muskels. Die Titinfäden geben dem Muskel eine Grundspannung und ziehen das Sarkomer nach jeder Dehnung zurück in seine ursprüngliche Länge.

Abb. 13

Entspanntes Sarkomer:
Die Myosinfortsätze sind nicht aktiv. Verantwortlich dafür, dass trotzdem die sogenannte Ruhespannung den Muskel in Form hält, ist Titin. Wie ein Gummi zieht es die beiden Endplatten des Sarkomers zueinander und gibt dem Muskel damit seine Elastizität. Die breiten dunklen Streifen zeigen den Bereich, in dem die Myosin- und Aktin-Filamente wie zwei Kämme ineinandergeschoben sind (Abb. 13). Bei der Muskelkontraktion schieben sie sich ineinander, bei der Dehnung auseinander. Es ist diese Bewegung wesentlich, die es möglich macht, dass sich ein Muskel aktiv zusammenzieht und durch Zug wieder länger wird.

Abb. 14

Kontraktion:
Aktin und Myosin schieben sich ineinander (Abb. 14). Ohne dass sich deren Länge verändert, verkürzt sich das Sarkomer. Dafür braucht es viel Energie, der Stoffwechsel wird angeregt, der Muskel erwärmt sich.

Abb.. 15

Dehnung:
Die Aktin und Myosinfilamente werden auseinandergezogen und behalten dabei ihre Länge bei, nur die Titin-Filamente dehnen sich (Abb. 15). Entspannt sich der Muskel wieder, falten sich diese Molekül-Fäden immer wieder auf die gleiche Länge zurück. Auch durch häufiges und intensives Dehnen lässt sich ein Sarkomer, und damit ein Muskel, nicht verlängern.

Wie spannt sich ein Muskel an?

Wenn ein Nervensignal die Muskelzelle (genauer gesagt das Sarkomer) erreicht, greifen molekular große Fortsätze der Myosinfäden den benachbarten Aktinfaden, ziehen ihn in Längsrichtung und schieben dabei Myosin und Aktin ineinander. Dadurch verkürzt sich das Sarkomer und somit die Muskelfaser.

Die Bewegung der Aktinfäden ähnelt dem Seilziehen. Die Hände (die Fortsätze an den Myosin-Filamenten) greifen immer wieder nach dem Seil (Aktin). Sie ziehen, lassen los, greifen wieder und so weiter…

Sind genügend viele Muskelzellen gleichzeitig an diesem Vorgang beteiligt, werden diese ineinandergreifenden Bewegungen von Aktin und Myosin als Muskelanspannung wahrgenommen. Die Länge der Myosin- und Aktinfäden bleibt dabei unverändert; sie verkürzen sich nicht und vor allem: sie lassen sich auch nicht dehnen.

Die dabei ablaufenden Prozesse sind komplex, aber heute weitgehend aufgeklärt. Die hier wesentliche Erkenntnis: Wenn ein Muskel kontrahiert wird, bedeutet das immer, dass die Filamente Aktin und Myosin zusammengeschoben werden. Das ist die eigentliche Muskelarbeit. Sie verbraucht viel Energie und erzeugt Wärme, die wir als Aufwärmung spüren.

Wenn von einer Kontraktion die Rede ist, bedeutet das in der Sprache des Seilziehens, dass die Mannschaft (Myosin) am Seil zieht. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass das Seil wirklich bewegt werden kann (der Muskel sich zusammenzieht, verkürzt und eine echte Bewegung im Gelenk entsteht).

Es bedeutet zunächst lediglich, dass das lockere Seil angespannt wird (dass im Muskel eine Spannung entsteht). Nur wenn der Muskel sich dabei auch verkürzen kann, führt eine Kontraktion auch zu einer Bewegung.

Beispiel: Ein Hantelgewicht wird angehoben, der Bizeps verkürzt sich durch die Muskelkontraktion, der Ellbogen beugt sich, der Unterarm hebt sich (konzentrische Kontraktion).

Bleibt es bei dieser Spannung, ohne dass eine Bewegung entsteht, wird das Gewicht auf gleicher Höhe gehalten. Im Bild des Seilziehens: Die Mannschaft zieht am Seil, aber gerade nur so stark wie die Mannschaft am anderen Ende des Seils; es findet keine Bewegung statt (isometrisch Kontraktion). Eine weitere Möglichkeit ist, wenn sich der Muskel unter der Spannung, während der Arm unter dem Zug des Gewichts langsam abwärts sinkt und dabei die Bewegung kontrolliert gegen die Schwerkraft verlangsamt wird. Eine solch bremsende Muskelanspannung wird als (exzentrische Kontraktion) bezeichnet.

Im Artikel Yoga und Fitness – Kontraktionsformen findest du weitere Informationen.

Noch einmal zum Seilziehen: Viele Hände ziehen am Seil, aber der Gegenzug der anderen Mannschaft ist stärker, das Seil bewegt sich in deren Richtung, allerdings langsamer als ohne die größere Anstrengung der gegnerischen Seilmannschaft.

Muskeln lassen sich nicht dauerhaft verlängern

Zuerst noch einmal der Blick auf die innerste Struktur des Muskels, das Sarkomer. Wie weiter oben beschrieben gibt es neben den Filamenten Aktin und Myosin ein Drittes, das Titin. Dieses Filament ist das größte bekannte menschliche Protein. Es wurde in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts entdeckt und seitdem intensiv erforscht. Einfach ausgedrückt, Titin hält wie ein elastisches Band den Muskel gespannt und bringt ihn nach einer Dehnung zurück in seine ursprüngliche Länge.

Vor der Entdeckung des Titin-Filaments glaubte man, dass die elastischen Rückstellkräfte des Muskels von den Muskel-Faserhüllen erzeugt würden. Wenn man experimentell die Titinfilamente entfernt, ohne die übrigen Strukturen der Muskelfasern zu beschädigen, verliert die Muskelfaser ihre Grundspannung und damit der gesamte Muskel. Das bedeutet, dass das Titin hauptsächlich für die Elastizität des Muskels verantwortlich ist.

Das Besondere an Titin ist, dass es aufgrund seiner molekularen Struktur nicht ermüden kann. Selbst durch intensivste Dehnübungen kann Titin seine Struktur und damit weder seine Spannkraft noch seine maximale Länge ändern. Wenn die Titin-Fasern tatsächlich dauerhaft verlängert werden könnten, würde der Muskel schließlich schlaff zwischen Ursprung und Ansatz hängen. Das länger Werden der Titinfäden unter Zug gleicht eher einem Auf- und Abrollen eines Molekül-Knäuels.

Die Fähigkeit eines Muskels, durch häufige Dehnübungen dehnbarer zu werden, basiert auf Anpassungen im Nervensystem und im Bindegewebe, nicht auf einer dauerhaften Verlängerung des Sarkomers. Das Nervensystem erhöht seine Toleranz gegenüber Dehnreizen, während das Bindegewebe flexibler wird und die Strukturen innerhalb des Muskels eine verbesserte Gleitfähigkeit entwickeln.

Früher glaubte man, dass die Wirkung von Dehnübungen dadurch entsteht, dass ein Muskel, wenn er intensiv und oft genug gedehnt wird, diesem Zug nachgibt und seine innere Struktur verändert: Er wird länger oder sein Gewebe wird auf irgendeine Weise weicher, elastischer – mit dem entsprechenden Gewinn an Beweglichkeit. Trotz intensiver Forschung konnte jedoch eine solche strukturelle Veränderung in einem menschlichen Muskel nicht nachgewiesen werden.

Tatsächlich ist etwas ganz anderes für die durch Dehnübungen erzielte größere Beweglichkeit verantwortlich:

Es handelt sich um die veränderte Toleranz einer Person gegenüber der Spannung, die beim Dehnen eines Muskels entsteht.

Was einen Muskel tatsächlich, aber nur kurzfristig und vorübergehend, weicher und dadurch dehnbarer machen kann, ist seine Erwärmung. Ähnlich wie ein Stück Fleisch aus dem Kühlschrank beim Erwärmen geschmeidiger wird, wird auch ein lebendiger Muskel geschmeidiger, wenn seine Temperatur durch erhöhte Durchblutung steigt. Dafür ist jedoch nicht das Dehnen verantwortlich, sondern im Gegenteil, die reflektorische Dehn(Schutz)-Spannung, also eine Muskelkontraktion, die bei jeder Dehnung entsteht.

Beweglichkeit

  • Was begrenzt eigentlich eine Bewegung?
  • Was hindert jemanden daran, mit den Fingerspitzen den Boden zu berühren oder die Beine im Lotussitz zu kreuzen?

Es handelt sich nicht um eine strukturelle Steifheit der Muskeln. Wie weit ein Muskel gedehnt werden kann, hängt vielmehr davon ab, wie viel Spannung ein Mensch beim Dehnen eines Muskels toleriert – Dehntoleranz.

Das bedeutet: So wie sich ein Muskel (außer durch Verletzung) nicht dauerhaft verkürzen kann, kann er auch nicht in seiner strukturellen Länge verändert werden.

Dort, wo ein Muskel nicht weiter gedehnt werden kann, sind die Signale, die diese Dehnung stoppen, so stark, dass sie unter normalen Umständen nicht mehr überwunden werden können. Die Funktion dieser Grenze ist Schutz vor Überdehnung und Verletzung, und zwar:

  • des Muskels
  • der Gelenke
  • der umgebenden Bänder

Diese Grenze ist variabel, ohne ihre Schutzfunktion zu verlieren. Dennoch bedeutet größere Beweglichkeit immer eine Verschiebung dieser Schutzschwelle.

Damit ist ein anhaltender Zugewinn an Beweglichkeit hauptsächlich das Ergebnis einer zunehmenden Gewöhnung an die beim Dehnen entstehende Spannung.

Welche neuromuskulären Mechanismen genau für diese Gewöhnung verantwortlich sind, ist weiterhin Gegenstand der Forschung. Dabei wird die Relevanz verschiedener Prozesse diskutiert, die an der bewussten und unbewussten Körperwahrnehmung und Muskelsteuerung beteiligt sind. Dazu könnte insbesondere eine Erhöhung der Schmerztoleranz gehören (zentral im Gehirn oder peripher in der Funktion der Rezeptoren im Muskel – oder beides) oder eine Veränderung in der Modulierung der mit jeder Muskeldehnung einhergehenden reflexiven Muskelkontraktion.

Wirkungen

Jedes Dehnen verbessert das Wohlbefinden durch die Aktivierung des Bewegungssystems. Als wesentlicher Auslöser wird die dabei ausgelöste Tonussteigerung der Muskulatur angesehen.

Bei allen weiteren Wirkungen ist ein deutlicher Unterschied zwischen kurzfristigen und langfristigen Auswirkungen von Dehnung und Dehnübungen zu erkennen.

Eine einzige oder wenige Dehnungen können kurzzeitig die Ruhedehnungsspannung um bis zu 20 Prozent senken. Das bedeutet, der Muskel entspannt sich. Der Grund dafür ist jedoch nicht ein Wegdehnen der Muskelspannung.

Die Ursache für dieses Senken des Muskeltonus ist die bereits beschriebene reflektorische Kontraktion des Muskels, die bei jeder Dehnung ausgelöst wird. Diese Muskelanspannung führt, wie jede Muskelarbeit, zu einer stärkeren Durchblutung. Der Muskel erwärmt sich und wird tonisiert. Durch diese Erwärmung wird das Muskelgewebe, wie viele andere Gewebe auch, vorübergehend dehnbarer. Es handelt sich um einen reinen Aufwärmeffekt, der jedoch bereits in den ersten Minuten nach einer Dehnung zunächst schnell und danach etwas langsamer abnimmt. Nach etwa 15–60 Minuten ist er vollständig verschwunden.

Untersuchungen haben gezeigt, dass das Aufwärmen der Muskulatur einfacher und effektiver durch direkte Muskelaktivierung, also durch Kontraktion bei entsprechender Bewegung, erreicht werden kann. Gleichzeitig erweitert sich die Gelenkreichweite, also die Beweglichkeit im Gelenk, unmittelbar nach einer Dehnung um bis zu 10 Prozent. Der Grund dafür ist, dass der gedehnte Muskel bei einer nachfolgenden Dehnung kurzfristig eine größere Dehnungsspannung toleriert (bis zu 15 Prozent mehr als vor der Dehnung). Die vom gesamten neuromuskulären System gesetzte Spannungsgrenze wurde also verschoben. Dieser Effekt lässt allerdings schnell nach.

Für die Praxis interessant: Sowohl der Entspannungseffekt durch die Tonussteigerung des Muskels, der durch seine reflektorische Anspannung hervorgerufen wird, als auch die erlangte größere Gelenkbeweglichkeit, können nach sehr wenigen Wiederholungen eines dynamischen Dehnens nur noch geringfügig gesteigert werden. Statisches Dehnen wirkt dabei nicht besser, eher schlechter. Auch ein schnelles Eingehen in eine Dehnung ist kontraproduktiv, je langsamer die Dehnbewegung, desto geringer die reflektorische Kontraktion.

Dehnen als regelmäßiges, langfristiges Übungsprogramm verbessert dagegen dauerhaft die Beweglichkeit. Es senkt jedoch nicht, wie früher angenommen, die Ruhespannung. Das bedeutet, dass die Muskulatur durch regelmäßiges intensives Dehnen nicht dauerhaft entspannter oder weicher wird. Im Gegenteil, der Muskel wird fester und verliert an Elastizität. Dies geschieht, weil der Muskel auf wiederholten starken Zug reagiert, indem er neue parallele Sarkomere bildet, um sich vor Überlastung zu schützen. Dieses Muskelwachstum führt zu einer geringen Zunahme der Muskelkraft und einer deutlichen Zunahme der Muskelruhespannung durch Zuwachs an Titin-Filamenten.

Als Krafttraining sind regelmäßige Dehnübungen jedoch ungeeignet. Das Muskelwachstum und der Kraftzuwachs durch normale kontraktive Muskelarbeit sind wesentlich größer und weniger aufwendig.

Dehnübungen können die Beweglichkeit erheblich verbessern. Zum Beispiel wurde in Dehnungsprogrammen von nur 2–3 Monaten eine dauerhafte Zunahme der Gelenkreichweite von bis zu 15 Prozent festgestellt.

Über den kurzfristigen Aufwärmeffekt hinaus kann Dehnen chronische Verspannungen und muskuläre Dysbalancen nicht wirklich positiv beeinflussen. Eine höhere Toleranz gegenüber der beim Dehnen entstehenden Muskelspannung führt lediglich zu einer größeren Beweglichkeit der Gelenke, während die innere Funktion und Struktur des Muskels unverändert bleiben. Die Vorstellung, dass eine verkürzte Muskulatur durch Dehnen wieder in ihren ursprünglichen, gesunden Zustand gezogen werden könnte, ist unzutreffend.

Zwei Zitate:

„Zusammenfassend kann festgestellt werden: Akut lässt sich die Ruhespannung des Muskels durch Dehnen für wenige Minuten reduzieren, indem der viskoelastische Widerstand des Muskelgewebes herabgesetzt wird. Dies mag, neben dem Anstieg von Dehnbelastungsfähigkeit und Beweglichkeit, einer der Gründe sein, warum man sich nach einem Dehnen entspannter und lockerer fühlt. Eine dauerhafte Reduzierung der Muskelspannung ist durch Dehnen jedoch nicht zu erwarten. Die Gründe dazu liegen auf der Hand: Der elastische Widerstand, den der Muskel einem Dehnen entgegensetzt, wird in erster Linie von den Titinfilamenten erzeugt. Deren wesentliche Aufgabe ist es, den gedehnten, aber inaktiven Muskel (die gedehnten Sarkomere) ohne größeren Energieverbrauch wieder auf eine Standardlänge zu entdehnen. Soll diese Aufgabe stets optimal gelingen, ist es notwendig, dass die elastischen Rückstellkräfte des Titins durch äußere Einwirkungen keine Einbuße erleiden. Somit ist durch regelmäßiges Dehnen von vornherein keine dauerhafte Reduzierung der Ruhespannung des Muskels zu erwarten. Diese Erkenntnis hat auch Konsequenzen für die Behandlung muskulärer Dysbalancen. Während man früher annahm, man könnte z.B. ein durch ein muskuläres Ungleichgewicht verursachtes vorgekipptes Becken aufrichten und somit ein Hohlkreuz beseitigen, indem man Dehnungsübungen für die Hüftbeuger durchführt, so weiß man heute, dass diese Übungen nicht den gewünschten Effekt, eine Abnahme der Ruhespannung der Hüftbeuger, erzielen können.“ A. Klee, K. Wiemann, K. (2004a) Biologische Grundlagen zur Wirkung der MuskeldehnungIn: Cachey, K. / Halle, A. / Teubert, H. (Hrsg.): Sport ist Spitze. Reader zum Sportgespräch / 18. InternationalerWorkshop am 16. und 17. Juni 2003 in Oberhausen

„Eine Verkürzung wird üblicherweise im Rahmen eines Muskelfunktionstests festgestellt und dabei so gut wie immer fälschlicherweise als strukturelle, also echte Längenverkürzung des Muskels vermittelt. Es wird daraufhin in der Regel empfohlen, den entsprechenden Muskel zu dehnen {...} um die Verkürzung zu beheben. Diese vermeintliche Muskelverkürzung ist aber nichts anderes als eine eingeschränkte Flexibilität bzw. Dehnfähigkeit. Es besteht eine verminderte Toleranz gegenüber einer Dehnungsspannung – und so sollte man es auch bezeichnen und erklären. Eine wirkliche, sprich strukturelle Verkürzung eines Muskels besteht dabei nicht. {...} Mit einem ausgiebigen Stretching eines vermeintlich verkürzten Muskels würde man dessen Ruhespannung nur noch weiter erhöhen.“ K. Moosburger, T. Markmann Was ist dran am Dehnen (Stretching)? - Fakten und MythenIn: Sport- und Präventivmedizin, Organ der Österr. Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, 43. Jahrgang, Heft 3 und 4/2013

Weitere Fakten

Die Beweglichkeit eines Menschen und wie beweglicher er durch Übung werden kann, wird stark von seiner genetischen Veranlagung beeinflusst. Das erklärt, warum sich die Beweglichkeit einiger Menschen trotz intensivster Anstrengungen kaum verändert, während andere schon immer sehr flexibel waren.
Als Yoga hauptsächlich darin bestand, durch intensives Dehnen außergewöhnliche Beweglichkeit zu erreichen, zog es überdurchschnittlich viele Menschen mit geeigneter genetischer Disposition an. Inzwischen ist das Bewusstsein gewachsen, wie viel körperlicher Schaden gerade dann entstehen kann, wenn eine bereits hohe Beweglichkeit eines Menschen über das natürliche Limit hinaus forciert wird.

Dehnübungen sind nicht das Gleiche wie Strecken, die auch Tiere kennen, meistens morgens und abends und oft in Verbindung mit dem Aufwachen oder einsetzender Müdigkeit. Das ist gerade kein Dehnen, wie wir es aus dem Stretching oder bestimmten Yogaformen kennen. Beim natürlichen Strecken kommt es vielmehr zu einer Kombinationsbewegung der Muskulatur aus Dehnen, Verkürzen und Versteifen. Das Dehnen ist dabei von zu kurzer Dauer und zu geringer Häufigkeit, um die allgemeine Dehnfähigkeit zu erhöhen.

Die meisten Menschen dehnen sich nicht regelmäßig. Und auch diejenigen, die sich regelmäßig dehnen, dehnen nicht alle Körperteile, wie den kleinen Finger oder die Zehen. Ebenso ist die Dehnmöglichkeit einiger großer Muskeln durch ihre anatomische Lage grundsätzlich begrenzt. Dazu gehört etwa der M. Supraspinatus (seitlicher Armheber) oder der Latissimus dorsi (breiter Rückenmuskel). Trotzdem werden wir insgesamt nicht steifer, solange wir innerhalb unserer gegebenen Beweglichkeit regelmäßig aktiv sind. Nur im höheren Alter lässt die Flexibilität aller Gewebe nach.

Die Bewegungseinschränkungen älterer Menschen liegen hauptsächlich in Veränderungen der Gelenke (Arthrose) und im Nicht- oder Fehlgebrauch ihres Bewegungssystems. Wenn ältere Menschen auf sinnvolle Weise (zum Beispiel durch Gymnastik, Tanz oder die richtige Form von Yoga) aktiviert werden, erhöht sich ihre Beweglichkeit erheblich, ganz ohne intensives Stretching. Dies ist jedoch oft durch strukturelle Einschränkungen in den Gelenken begrenzt.

Es ist nicht notwendig, gezielt zu dehnen, um eine ausreichende Beweglichkeit für alle Alltagsbelange zu erhalten. Das regelmäßige Ausschöpfen der vorhandenen Bewegungsmöglichkeiten ist ausreichend, um bei gesunder und normaler Flexibilität zu bleiben.

Nur diejenigen, die für ganz spezielle Anforderungen eine überdurchschnittliche Beweglichkeit benötigen (wie bestimmte Sportarten, Tanzstile, Kampfkünste usw.), können auf intensive Dehnübungen nicht verzichten. Allerdings wird heute, zumindest im professionellen Bereich, den damit verbundenen Risiken für die Gelenkstabilität mit einem intensiven Krafttraining entgegengewirkt.

In aller Kürze

Dehnungen tonisieren die Muskulatur durch die dabei entstehende reflexive Muskelanspannung. Das unmittelbar erlebte Wohlbefinden durch Dehnungen rührt hauptsächlich von dieser Muskelaktivierung her.

Regelmäßige Dehnübungen (Stretching) erhöhen die Beweglichkeit, ohne die Muskelstruktur im Sinne einer Verlängerung des Muskels zu verändern.

Die aktuelle Beweglichkeit einer Person ist ein Ausdruck davon, wie viel Spannung sie toleriert, die beim Dehnen eines Muskels entsteht. Je mehr Spannung toleriert wird, desto mehr lässt sich ein Muskel dehnen. Wenn sich die Beweglichkeit erhöht, zum Beispiel bei einer Vorbeuge aus dem Stand, liegt das daran, dass mehr Zugspannung in der hinteren Bein- und Gesäßmuskulatur schmerzfrei ertragen wird. Mehr oder weniger Beweglichkeit ist also keine Frage des inneren Zustands der Muskulatur. Ein Muskel lässt sich nicht über seine gegebene Struktur hinaus verlängern.

Dehnungen entspannen die Muskulatur nur kurzfristig. Langfristig wird sie durch intensives Dehnen tatsächlich fester und verliert an Elastizität.

Chronische Verspannungen und muskuläre Dysbalancen können durch Dehnungen nicht weg gedehnt werden, die betroffenen Muskeln sind strukturell nicht verkürzt. Die nachhaltige Lösung muskulärer Dysbalancen erfordert gezielte Muskelaktivierung durch Kontraktion in entsprechenden Bewegungen.

Die Dehnfähigkeit eines Menschen wird von seiner genetischen Veranlagung mitbestimmt.

Für die allgemeine Fitness und ein gesundes Bewegungssystem haben gezielte, intensive Dehnübungen keine nachgewiesene Bedeutung. ▼

Aus dem Netz …

Es gibt viel über das Dehnen zu entdecken. Für Interessierte hier einige vertiefende links.

  • Einen ausführlichen Überblick über den Stand der Forschung und noch offener Fragen. C. H. Weppler, S.P. MagnussonIncreasing Muscle Extensibility: A Matter of Increasing Length or Modifying Sensation? In: Physical Therapy, Journal of the American Physical Therapy Association, 2010; 90:438-449 ptjournal.apta.org/content/90/3/438
  • Einfach verständlicher Überblick über die Studienlage von P. Ingraham. Quite a Stretch. Stretching science shows that a stretching habit isn’t doing much of what people hope. www.painscience.com
  • Viel zitierte und beachtete Studie über die Frage, wodurch eine vergrößerte Dehnfähigkeit der hamstrings (rückwärtige Beinmuskulatur) zustande kommt. Hollie Folpp, Simon Deall et.al. Can apparent increases in muscle extensibility with regular stretch be explained by changes in tolerance to stretch? Australian Journal of Physiotherapy 2006 Vol. 52 www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0004951406700617
  • A. Klee, K. WiemannMethoden und Wirkungen des Dehnungstrainings 2003 www.biowiss-sport.de/Klee Wiemann Oostende2.pdf
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Wie viel Dehnung braucht der Mensch?

Zuerst die gute Nachricht: Jedes Dehnen belebt unmittelbar die betroffene Muskulatur und führt zu einer kurzfristigen Senkung des Muskeltonus, entspannt sie also.

Wesentliche Ursache dieser Wirkung ist allerdings kein Wegdehnen der Spannung. Vielmehr löst die Dehnung eine Gegenspannung zum Selbstschutz des Muskels aus. Der Muskel wird aktiviert, die Durchblutung steigt, das Gewebe erwärmt sich. Diese Effekte sind wesentlich verantwortlich für das beim Dehnen unmittelbar erlebte subjektive Wohlgefühl.

Am effektivsten gelingt diese Tonisierung und Entspannung der Muskulatur bei langsamer Bewegung (Dehnung) und wenn darauf geachtet wird, nicht an der maximalen Grenze der erreichbaren Spannung zu arbeiten. Schnelles Dehnen und intensiver Spannungsaufbau bis an die Grenze des gerade noch Möglichen erhöht stattdessen langfristig die Ruhespannung eines Muskels.

Viel hilft eben nicht immer viel.

Auch lassen sich chronische Muskelverspannungen nachweislich nicht durch intensive Dehnübungen lösen. Siehe dazu auch weiter unten, Dehnung – die Erforschung einer Alltäglichkeit

Scheinbar wenig zeigt dagegen große Wirkung. So bleibt schon durch regelmäßiges Ausnutzen der individuell gegebenen Bewegungsspanne die Beweglichkeit eines Menschen erhalten. Oder lässt sich – wenn tatsächlich gewünscht – auch steigern. Und zwar so weit, wie es dem individuellen, gesunden Maß eines Menschen entspricht. Dafür bietet die dynamische Praxis von Āsanas eine unerschöpfliche Quelle von Möglichkeiten.

Die Bedeutung der Flexibilität für gutes Bewegen wird generell überschätzt. Es ist wichtig, zwischen Flexibilität und Mobilität zu unterscheiden:

  • Flexibilität bezeichnet das Bewegungsausmaß in einem bestimmten Gelenk, also wie weit es sich von Punkt A nach Punkt B bewegen kann.
  • Mobilität hingegen bezeichnet das Ausmaß an funktioneller Kontrolle über die gesamte Bewegungsspanne eines Gelenks, bis in den gegebenen Endbereich einer Bewegung. Die meisten Menschen benötigen mehr Mobilität, jedoch keine größere Flexibilität, um ihre Bewegungen zu verbessern. Mit anderen Worten, sie benötigen nicht unbedingt ein größeres Bewegungsausmaß, sondern eine bessere Qualität und Kontrolle auch im Endbereich der Bewegung, den sie bereits beherrschen Todd Hargrove, Better Movement, Seattle 2014, S. 13 ff.

Leider ist es auch möglich, sinnvolle Grenzen zu überschreiten: Mit einer entsprechenden Āsanapraxis kann eine gezielte, deutliche und sogar extreme Erweiterung des Bewegungsausmaßes von Gelenken erreicht werden. In einigen Yogastilen ist das Streben nach einer solch großen Flexibilität immer noch selbstverständlich oder ein wichtiger Aspekt des Übens. Deshalb beinhaltet die Āsanapraxis dort regelmäßig intensives Dehnen. Im Gegensatz zu den Yogastilen, die intensiv mit Dehnungen arbeiten, wird z. B. im professionellen Tanz- oder Sporttraining versucht, den bekannten negativen Auswirkungen dieser Grenzverschiebung durch sehr intensives Krafttraining entgegenzuwirken.

  • Die dadurch erzielte Zunahme an Beweglichkeit beruht auf der Verschiebung einer komplex organisierten Grenze im Bewegungsausmaß, deren Zweck der Schutz von Muskel- und Gelenkstabilität ist. Eine solche Verschiebung kann die neuromuskuläre Muskelbalance und die Gelenkstabilität langfristig gefährden.
  • Darüber hinaus haben sich viele frühere Annahmen über die positive Wirkung von Dehnübungen als falsch erwiesen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Jede Praxis eines Āsana beinhaltet immer auch mehr oder weniger intensive Dehnungen. Zudem sind gezielte, aber angemessene Dehnungen oft unersetzlich bei der Wiederherstellung einer verlorenen Beweglichkeit. Entsprechend spielen sie auch im Yoga-therapeutischen Zusammenhang eine wichtige Rolle.

Mythen und Fakten

Es war ein 2008 erschienener Artikel in der New York Times, der einer breiten Öffentlichkeit viele der neu gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Dehnen vermittelte. Unter der Überschrift Stretching: Die Wahrheit wurde eine klare Botschaft vermittelt:

Intensive Dehnungen erfüllen nicht die Erwartungen, die viele Menschen an sie stellen.

Seitdem wird eine umfangreiche Diskussion über den Sinn und Unsinn von Dehnübungen geführt und die damit verbundenen wissenschaftlichen Untersuchungen und Studien haben in Zahl und Qualität deutlich zugenommen. Aktuell gibt es viele Publikationen, die einen klaren Überblick über die dabei gewonnenen Ergebnisse vermitteln.

Ein Dilemma in der Diskussion über das Dehnen besteht darin, dass Dehnübungen oft sofort ein Wohlgefühl erzeugen, auch wenn sie langfristig der Gesundheit nicht zuträglich sein können. Dies macht es für viele Menschen schwierig, sich mit den bekannten Fakten über das Dehnen auseinanderzusetzen.

Der Wissenschaftsjournalist Paul Ingraham versucht deshalb auf schonende Art und Weise seinen LeserInnen die praktische Relevanz dieser Faktenlage nahezubringen.

Dehnübungen sind für viele Menschen, einschließlich mir selbst, ein angenehmes und beruhigendes Ritual. Es ist einfach, fühlt sich gut an und wir glauben – oder hoffen, dass wir davon profitieren. Könnte es sein, dass sich all diese Menschen irren? Ja, das ist möglich und es ist der Fall. Ist ihr Glaube an den Wert von Dehnübungen ein Irrtum? Ich fürchte, das ist der Fall. Zahlreiche aktuelle Studien zeigen, dass Dehnübungen, so wie wir sie heute kennen, meistens eine Zeitverschwendung sind, zumindest für die meisten der am häufigsten genannten Ziele im Zusammenhang mit Dehnung. Zum Beispiel zeigen Hunderte von Studien, dass Dehnübungen weder gegen Muskelkater helfen noch das Verletzungsrisiko reduzieren. 1

Immer noch findet man im Netz folgende Beschreibungen:

  • Die Laufrunde um den See schaffen Sie mit links, doch mit den Fingerspitzen erreichen Sie nicht den Boden? Dann sind Ihre großen Muskelpartien im Oberschenkel-, Hüft- und Pobereich höchstwahrscheinlich verkürzt.
  • Wer sich Zeit zum Dehnen nimmt, profitiert mehrfach. Die Beweglichkeit nimmt zu und das Verletzungsrisiko vermindert sich.
  • Die Muskeln erholen sich schneller. Beim Stretching werden sie stärker durchblutet und bekommen so mehr Nährstoffe, die die Regeneration fördern.
  • Dehnen macht Lauftraining effektiver, denn mit geschmeidigen Muskeln können größere Schritte gemacht werden.

Das klingt überzeugend. Das Problem: Nichts davon trifft zu, denn:

  • es gibt keine verkürzten Muskeln
  • Dehnübungen vermindern nicht das Verletzungsrisiko
  • Muskeln erholen sich durch Dehnen nicht schneller, das Gegenteil ist der Fall

Die umfangreichen Erkenntnisse, die inzwischen über das Dehnen gewonnen wurden, stehen in völligem Widerspruch dazu und reichen weit über sportwissenschaftliche Aspekte hinaus. Mehr dazu auch im Kapitel Dehnung – die Erforschung einer Alltäglichkeit.

Diese Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf den Umgang mit Dehnungen in der Praxis von Āsanas. Sie bieten Antworten auf die Fragen:

  • Wie wirkt sich das Dehnen im Yoga aus?
  • Welche unmittelbaren und langfristigen Auswirkungen können erwarten werden?
  • Wie kann erklärt werden, dass eine Person durch das Üben von Yoga beweglicher wird?
  • Wie viel Beweglichkeit ist gesund?
  • Gibt es Risiken und wenn ja, wie können diese erkannt werden?

Folgende Erkenntnisse sind heute durch zahlreiche Untersuchungen und Studien gesichert:

  • Muskuläre Dysbalancen können nicht durch Dehnung aufgelöst werden.
  • Dehnen verringert nur kurzfristig den Spannungszustand der Muskulatur.
  • Die durch intensive und regelmäßige Dehnungen langfristig erreichte größere Beweglichkeit ist keine Folge einer Veränderung der Muskelstruktur. Die Muskeln werden dabei nicht elastischer, länger oder flexibler. Was sich verändert, ist hauptsächlich die neuronal gesteuerte Dehnungstoleranz.
  • Statisches Dehnen ist in besonderer Weise mit Risiken verbunden und zeigt keine positiven Effekte für die harmonische Funktion und Leistungsfähigkeit der Muskulatur.
  • Die großen Gelenke, insbesondere die Schulter-, Knie- und Iliosakralgelenke sowie die Wirbelgelenke im Bereich des Nackens und des unteren Rückens, sind besonders anfällig für eine Destabilisierung durch Überdehnung.

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1 www.painscience.com/articles/stretching.php

Gesunder Yoga ist kein Stretching

Inzwischen zeigt die Erfahrung, dass besonders in Āsana, die auf intensivstes Dehnen setzen, ein hohes gesundheitsschädigendes Potenzial liegt.

Die extrem akrobatischen, bei Āsana-Olympiaden beliebten Āsanas, wie hanumānāsana (Abb. 3) oder rājakapotāsana (in der Rückbeuge aus der Bauchlage berühren die Fußsohlen den Scheitel) (Abb. 4) bleiben hier unberücksichtigt. Wichtiger ist es, den Blick auf Āsanas zu richten, die immer noch weitgehend unreflektiert zum Unterrichtsalltag in vielen Yogastudios gehören.

Abb. 3
Abb. 4

Das hohe Risikopotential von Übungen wie sarvāṇgāsana (Abb. 5), aufgrund der oft geforderten und intensiven Nackendehnung, ist inzwischen bekannt. Diese und ähnliche Āsanas werden nur noch dort geübt, wo man sich jeglichem Sachverstand verweigert. Auch für padmāsana (Abb. 6) sind die Risiken für die Kniegelenke bekannt. Selten finden die Kniegelenke Gefallen an einer langwierigen und oft mühevollen Erarbeitung eines halben oder vollständigen Lotussitzes.

Abb. 5
Abb. 6

Eine einfache Regel hilft, um zu entscheiden, ob man sich mit dem Erarbeiten dieses Āsanas einen Gefallen tut. Entweder man konnte den Lotussitz schon immer oder man sollte sich besser nicht mit ihm herumquälen. Die Gefahr für bleibende Knieschäden ist einfach zu hoch. Gleiches gilt für Knieverdrehungen, wie sie beispielsweise in supta virāsana auch paryaṅkāsana (Abb. 7) verlangt werden.

Abb. 7

Neben solch eindeutigen Beispielen macht die Zurückhaltung bei der Forcierung intensiver statischer Dehnungen auch für viele andere Āsanas Sinn. Das betrifft etwa Übungen wie utthita trikoṇāsana parivṛtti (Abb. 8) und pārśva uttānāsana (Abb. 9), insbesondere wenn es um die Bewahrung der Stabilität im Bereich des unteren Rückens und der Iliosakralgelenke geht.

Abb. 8
Abb. 9

Werden intensiv und regelmäßig statische Übungen mit starker Dehnung geübt, können diese und ähnliche Āsanas die Iliosakralgelenke lockern und den unteren Rücken destabilisieren. Das Schultergelenk ist auf maximale Beweglichkeit ausgelegt und bietet strukturell besonders wenig Stabilität. Es wird hauptsächlich durch Bänder und Muskeln in Balance gehalten, hauptsächlich durch die für Verletzungen empfindliche Rotatorenmanschette. Wiederholter, intensiv forcierter statischer Zug in Übungen wie adhomukha śvānāsana (Abb. 10) oder dhanurāsana (Abb. 11) können das Gelenk nachhaltig aus dem Gleichgewicht bringen.

Abb. 10
Abb. 11

Daraus ergeben sich weitere grundsätzliche Fragen:

  • Was soll mit einer intensiven Dehnpraxis erreicht werden?
  • Was kann von Āsanas erwartet werden, die ein besonderes Dehnvermögen verlangen?
  • Welche Wirkungen sollen es sein, die den dafür notwendigen Aufwand und verbundene Risiken wert sind?
  • Worum geht es beim Yoga üben?
  • Die Praxis welcher Āsanas ist dafür angemessen und welche körperlichen Anforderungen sollten dafür im Üben gestellt werden?

Erfahrungen richtig deuten lernen

In der Yogaszene wird diskutiert, welcher Zusammenhang zwischen intensiver Dehnpraxis und dadurch ausgelösten Verspannungen, Schmerzen und chronischen muskulären Dysbalancen besteht. Im Zentrum der Diskussion steht immer wieder die Frage nach dem richtigen Umgang mit Problemen im Bereich des unteren Rückens, ein Dauerthema im Unterrichtsalltag.

Diese Diskussion über das Dehnen im Zusammenhang mit Yoga ist oft unscharf, da es schwierig ist, widersprüchliche Erfahrungen einzuordnen. Dehnungen fühlen sich oft sofort gut an und können das allgemeine Wohlbefinden steigern. Gleichzeitig erleben viele Übende, dass eine Dehnung einmal entspannend wirkt, ein anderes Mal jedoch eine unangenehme Spannung hinterlässt.

Es ist auch schwierig zu beurteilen, warum der untere Rücken nach dem Aushängen in einer Vorbeuge aus dem Stand (z. B. im Uttānāsana) entspannt wirkt, aber das Aufrichten aus dieser Dehnung oft ein vorsichtiges Abstützen des Oberkörpers erfordert, um neuen Schmerz zu vermeiden. Oder warum der untere Rücken nach einer langen Dehnung – sie muss nicht besonders intensiv sein – etwa beim Sitzen im Auto nach längerer Fahrt oder beim Unkraut jäten im Garten regelmäßig steif anstatt entspannt wirkt und nach Bewegung verlangt.

Vergleichbare Beobachtungen lassen sich auch bei der Praxis von Āsanas machen. Insbesondere nach statischen Dehnungen in Vorbeugen wie uttānāsana oder paścimatānāsana spüren viele Übende eine Spannung im unteren Rücken. Gleichzeitig helfen milde Dehnungen wie die Stufenlage oder apanāsana, den unteren Rücken offensichtlich und unmittelbar zu entspannen. Chronische Rückenschmerzen verbessern sich oft, wenn intensive Vorbeugen aus einer regelmäßig intensiv geübten Yogapraxis entfernt werden. Massive Nackenprobleme verschwinden, wenn auf Schulterstand und Pflug verzichtet wird.

In großen Teilen der Yoga-Szene besteht schon seit längerem ein Bewusstsein für die Problematik intensiver Dehnübungen.

Wer sich besonders in der therapeutischen Arbeit mit Yoga den Fakten stellt, lernt schnell, dass durch die Praxis intensiver Dehnungen keine nachhaltige Lösung für muskuläre Dysbalancen erreicht werden kann. Dies gilt sowohl für den Rücken als auch für andere Bereiche des Bewegungssystems.

Angesichts all dieser Erkenntnisse über intensives und statisches Dehnen, ist es nicht übertrieben zu sagen: Die von T. Krishnamacharya, TKV Desikachar und anderen weiterentwickelte Dynamisierung der Āsanapraxis – Viniyoga ist kein Yoga light und auch keine therapeutische Form des Yoga – auch wenn sie besonders gut für therapeutische Zwecke geeignet ist.

Sie erweist sich viel mehr als eine Form des Yogaübens, die dem aktuellen Wissen über den Menschen und die Bedingungen seiner Gesundheit in höchstem Maße gerecht wird.

Viele Unterrichtende haben mittlerweile die entsprechenden Konsequenzen für einen gesunden Umgang mit Āsanas gezogen. Sie üben Zurückhaltung bei intensiven, speziell bei statisch gehaltenen Dehnübungen. Sie haben Āsanas, die besonders extreme und gesundheitsschädliche Dehnungen verlangen wie Schulterstand oder Pflug, aus dem täglichen Praxisbetrieb entfernt. Außerdem haben sie ihren Blick dafür geschärft, welche Risiken grundsätzlich mit der erzwungenen Steigerung der Flexibilität eines Menschen verbunden sind.

Und die klare Abwendung von einer intensiven Dehnungspraxis in den Āsanas ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Lehrende und Praktizierende den Fortschritt auf dem Yogaweg nicht an immer perfekterer Körperbeherrschung und fotogener Beweglichkeit messen.

Nur so können die eigentlichen Ziele des Yoga überzeugend in den Mittelpunkt einer Körperpraxis gestellt werden:

  • Entwicklung von Eigenkompetenz und Persönlichkeit
  • innere Stabilität
  • Resilienz gegenüber Leid
  • Verantwortung für die eigene Gesundheit
  • erhöhtes Wohlbefinden
  • Klarheit und Offenheit

Steifheit – ist ein Gefühl!

Steifheit beschreibt nicht den biomechanischen Zustand der Muskulatur und kann vieles meinen. Eher selten aber bezieht sich dieses Gefühl auf die Wahrnehmung, der maximale Bewegungsbereich eines oder mehrerer Gelenke sei eingeschränkt. Viel häufiger wird mit sich steif fühlen ausgedrückt, dass sich ein Körperbereich einer Bewegung weit unterhalb des möglichen Bewegungslimits auf unangenehme Weise widersetzt; oder sich nie wirklich entspannt anfühlt.

Dabei ist das Gefühl von Steifheit in der Regel Ausdruck einer muskulären Dysbalance.

Heute weiß man um das multifaktorielle Geschehen, das für solche Dysbalancen verantwortlich ist: Dazu gehören:

  • ein gestörter Muskel-Stoffwechsel
  • mangelhafte neuromuskuläre Koordination
  • vergrößerte Schmerzsensibilität

Untersuchungen zeigen eindeutig: Durch intensive Dehnungen lassen sich die als akute oder chronische Steife erlebten muskulären Dysbalancen nicht nachhaltig lösen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass unser alltäglicher Umgang mit Steifheit den Zweifel an der Wirksamkeit von Dehnübungen nahelegt.

Die meisten Menschen reagieren auf das Gefühl von Steifheit nach langem Dehnen des unteren Rückens mit einer typischen Bewegung: Sie stehen aufrecht, stützen beide Hände in die Lenden (für Halt) und spannen den unteren Rücken an, indem sie sich zurückbeugen. Dies fördert tatsächlich die Durchblutung und neuromuskuläre Koordination, verbessert den Stoffwechsel und lindert die Spannung: Muskelaktivität gegen Muskelverspannung.

Trotzdem gibt es Menschen, die auf Spannung oder Schmerz im unteren Rücken mit intensiven Dehnübungen reagieren möchten – wie das ausgiebige Hängen des Oberkörpers in einer Vorbeuge aus dem Stand oder das längerfristige Verharren in der Hocke. Dies kann kurzfristige Erleichterung bieten, indem es einen Muskel tonisiert und seine Durchblutung verbessert. Auf lange Sicht ist intensives Dehnen als Reaktion auf Verspannungen jedoch kontraproduktiv. Häufig wiederholte, intensive Dehnungen können dabei zu einer Verfestigung der Muskulatur führen. Für einen gesunden Muskel ist das kein Problem, muskuläre Dysbalancen werden dadurch aber nicht verbessert, sondern verschlechtern sich.

Dehnen – die Erforschung einer Alltäglichkeit aus wissenschaftlicher Sicht

Vor etwa ungefähr 30 Jahren begann die intensive wissenschaftliche Erforschung der Wirkungen von Dehnübungen. Sportwissenschaftler suchten Antworten auf bisher ungeklärte Fragen, wie:

  • Kann das Verletzungsrisiko bei Sportlern durch Dehnübungen gesenkt werden?

Umfangreiche Studien zeigten, dass dies nicht der Fall ist, was auch andere gängige Annahmen infrage stellte, mit überraschenden Ergebnissen. Vielmehr steigern Dehnübungen vor sportlicher Aktivität nicht die körperliche Leistungsfähigkeit, sondern verringern sie sogar. Muskelkater lässt sich durch Dehnen nach dem Sport nicht verhindern und die Muskulatur regeneriert nicht besser.

Wer auf körperliche Fitness Wert legt, kann auf spezielle Dehnübungen verzichten.

Die Untersuchungen machten deutlich, wie wenig tatsächlich über das Dehnen von Muskeln bekannt war. Dies führte zu umfangreichen Forschungsarbeiten in vielen Bereichen der Humanwissenschaften. Die Erkenntnisse über Muskeldehnung sind weit über den Sport hinaus von Bedeutung, insbesondere für Praktiken wie Yoga.

Um zu verstehen, was beim Dehnen passiert, ist ein Grundverständnis der dabei ausgelösten physiologischen Prozesse im Muskel erforderlich. Dies beinhaltet Themen wie Muskelelastizität, kontraktile Elemente, Aktin-, Myosin- und Titin-Filamente sowie Dehntoleranz.

Mehr dazu erfährst du in diesem Abschnitt oder zusammengefasst im Kapitel, In aller Kürze ganz am Schluss dieses Artikels.

Ein Blick in die Innenwelt des Muskels – vom Groben zum Feinen:

Abb. 12

Jeder Muskel besteht aus vielen Muskelsträngen (Abb. 12 The American Physiological Society, 2011 - überarbeitet und ergänzt ), die wiederum aus zahlreichen kleinen Bündeln von Muskelfasern bestehen. Diese Muskelfasern sind die eigentlichen Muskelzellen. Sie werden als Fasern bezeichnet, da sie mehrere Zentimeter lang sein können. Innerhalb von ihnen sind zahlreiche Muskelbündel, sogenannte Myofibrillen, zusammengefasst.

Ein solches Muskelbündel besteht aus Hunderten von Sarkomeren, sie sind hintereinander gereihte Baueinheiten mit dem immer gleichen Aufbau. Sie enthalten dicht und parallel gepackte fadenartige Proteinmoleküle, die Filamente:

  • Myosin
  • Aktin
  • Titin

Hier entstehen alle Bewegungen. Es ist der Ort, an dem die Kontraktion stattfindet, die einen Muskel zusammenziehen lässt und seine Kraft entwickelt. Hier geschieht auch die Verlängerung, die das Dehnen eines Muskels ermöglicht.

Sarkomer:
Der in strenger Regelmäßigkeit längs der Muskelfaser hintereinander gereihte Grundbaustein jedes Muskels (Abb. 13 The American Physiological Society, 2011 - überarbeitet und ergänzt). Dort findet die Kontraktion statt, der Muskel zieht sich zusammen, weil sich Millionen Sarkomere zusammenziehen. Und dort dehnt sich auch der Muskel.
Er kann dies nur deshalb, weil sich das Sarkomer unter Zug längen kann. Aufgebaut ist jedes Sarkomer aus drei unterschiedlichen, dicht aneinander gepackten fadenförmigen Molekülketten, den sogenannten Filamenten: Myosin, Aktin und Titin. Myosin und Aktin besorgen die eigentliche Muskelarbeit, ihre Struktur ermöglicht die Dehnung des Muskels. Titin sorgt für die Elastizität des Muskels. Die Titinfäden geben dem Muskel eine Grundspannung und ziehen das Sarkomer nach jeder Dehnung zurück in seine ursprüngliche Länge.

Abb. 13

Entspanntes Sarkomer:
Die Myosinfortsätze sind nicht aktiv. Verantwortlich dafür, dass trotzdem die sogenannte Ruhespannung den Muskel in Form hält, ist Titin. Wie ein Gummi zieht es die beiden Endplatten des Sarkomers zueinander und gibt dem Muskel damit seine Elastizität. Die breiten dunklen Streifen zeigen den Bereich, in dem die Myosin- und Aktin-Filamente wie zwei Kämme ineinandergeschoben sind (Abb. 13). Bei der Muskelkontraktion schieben sie sich ineinander, bei der Dehnung auseinander. Es ist diese Bewegung wesentlich, die es möglich macht, dass sich ein Muskel aktiv zusammenzieht und durch Zug wieder länger wird.

Abb. 14

Kontraktion:
Aktin und Myosin schieben sich ineinander (Abb. 14). Ohne dass sich deren Länge verändert, verkürzt sich das Sarkomer. Dafür braucht es viel Energie, der Stoffwechsel wird angeregt, der Muskel erwärmt sich.

Abb.. 15

Dehnung:
Die Aktin und Myosinfilamente werden auseinandergezogen und behalten dabei ihre Länge bei, nur die Titin-Filamente dehnen sich (Abb. 15). Entspannt sich der Muskel wieder, falten sich diese Molekül-Fäden immer wieder auf die gleiche Länge zurück. Auch durch häufiges und intensives Dehnen lässt sich ein Sarkomer, und damit ein Muskel, nicht verlängern.

Wie spannt sich ein Muskel an?

Wenn ein Nervensignal die Muskelzelle (genauer gesagt das Sarkomer) erreicht, greifen molekular große Fortsätze der Myosinfäden den benachbarten Aktinfaden, ziehen ihn in Längsrichtung und schieben dabei Myosin und Aktin ineinander. Dadurch verkürzt sich das Sarkomer und somit die Muskelfaser.

Die Bewegung der Aktinfäden ähnelt dem Seilziehen. Die Hände (die Fortsätze an den Myosin-Filamenten) greifen immer wieder nach dem Seil (Aktin). Sie ziehen, lassen los, greifen wieder und so weiter…

Sind genügend viele Muskelzellen gleichzeitig an diesem Vorgang beteiligt, werden diese ineinandergreifenden Bewegungen von Aktin und Myosin als Muskelanspannung wahrgenommen. Die Länge der Myosin- und Aktinfäden bleibt dabei unverändert; sie verkürzen sich nicht und vor allem: sie lassen sich auch nicht dehnen.

Die dabei ablaufenden Prozesse sind komplex, aber heute weitgehend aufgeklärt. Die hier wesentliche Erkenntnis: Wenn ein Muskel kontrahiert wird, bedeutet das immer, dass die Filamente Aktin und Myosin zusammengeschoben werden. Das ist die eigentliche Muskelarbeit. Sie verbraucht viel Energie und erzeugt Wärme, die wir als Aufwärmung spüren.

Wenn von einer Kontraktion die Rede ist, bedeutet das in der Sprache des Seilziehens, dass die Mannschaft (Myosin) am Seil zieht. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass das Seil wirklich bewegt werden kann (der Muskel sich zusammenzieht, verkürzt und eine echte Bewegung im Gelenk entsteht).

Es bedeutet zunächst lediglich, dass das lockere Seil angespannt wird (dass im Muskel eine Spannung entsteht). Nur wenn der Muskel sich dabei auch verkürzen kann, führt eine Kontraktion auch zu einer Bewegung.

Beispiel: Ein Hantelgewicht wird angehoben, der Bizeps verkürzt sich durch die Muskelkontraktion, der Ellbogen beugt sich, der Unterarm hebt sich (konzentrische Kontraktion).

Bleibt es bei dieser Spannung, ohne dass eine Bewegung entsteht, wird das Gewicht auf gleicher Höhe gehalten. Im Bild des Seilziehens: Die Mannschaft zieht am Seil, aber gerade nur so stark wie die Mannschaft am anderen Ende des Seils; es findet keine Bewegung statt (isometrisch Kontraktion). Eine weitere Möglichkeit ist, wenn sich der Muskel unter der Spannung, während der Arm unter dem Zug des Gewichts langsam abwärts sinkt und dabei die Bewegung kontrolliert gegen die Schwerkraft verlangsamt wird. Eine solch bremsende Muskelanspannung wird als (exzentrische Kontraktion) bezeichnet.

Im Artikel Yoga und Fitness – Kontraktionsformen findest du weitere Informationen.

Noch einmal zum Seilziehen: Viele Hände ziehen am Seil, aber der Gegenzug der anderen Mannschaft ist stärker, das Seil bewegt sich in deren Richtung, allerdings langsamer als ohne die größere Anstrengung der gegnerischen Seilmannschaft.

Muskeln lassen sich nicht dauerhaft verlängern

Zuerst noch einmal der Blick auf die innerste Struktur des Muskels, das Sarkomer. Wie weiter oben beschrieben gibt es neben den Filamenten Aktin und Myosin ein Drittes, das Titin. Dieses Filament ist das größte bekannte menschliche Protein. Es wurde in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts entdeckt und seitdem intensiv erforscht. Einfach ausgedrückt, Titin hält wie ein elastisches Band den Muskel gespannt und bringt ihn nach einer Dehnung zurück in seine ursprüngliche Länge.

Vor der Entdeckung des Titin-Filaments glaubte man, dass die elastischen Rückstellkräfte des Muskels von den Muskel-Faserhüllen erzeugt würden. Wenn man experimentell die Titinfilamente entfernt, ohne die übrigen Strukturen der Muskelfasern zu beschädigen, verliert die Muskelfaser ihre Grundspannung und damit der gesamte Muskel. Das bedeutet, dass das Titin hauptsächlich für die Elastizität des Muskels verantwortlich ist.

Das Besondere an Titin ist, dass es aufgrund seiner molekularen Struktur nicht ermüden kann. Selbst durch intensivste Dehnübungen kann Titin seine Struktur und damit weder seine Spannkraft noch seine maximale Länge ändern. Wenn die Titin-Fasern tatsächlich dauerhaft verlängert werden könnten, würde der Muskel schließlich schlaff zwischen Ursprung und Ansatz hängen. Das länger Werden der Titinfäden unter Zug gleicht eher einem Auf- und Abrollen eines Molekül-Knäuels.

Die Fähigkeit eines Muskels, durch häufige Dehnübungen dehnbarer zu werden, basiert auf Anpassungen im Nervensystem und im Bindegewebe, nicht auf einer dauerhaften Verlängerung des Sarkomers. Das Nervensystem erhöht seine Toleranz gegenüber Dehnreizen, während das Bindegewebe flexibler wird und die Strukturen innerhalb des Muskels eine verbesserte Gleitfähigkeit entwickeln.

Früher glaubte man, dass die Wirkung von Dehnübungen dadurch entsteht, dass ein Muskel, wenn er intensiv und oft genug gedehnt wird, diesem Zug nachgibt und seine innere Struktur verändert: Er wird länger oder sein Gewebe wird auf irgendeine Weise weicher, elastischer – mit dem entsprechenden Gewinn an Beweglichkeit. Trotz intensiver Forschung konnte jedoch eine solche strukturelle Veränderung in einem menschlichen Muskel nicht nachgewiesen werden.

Tatsächlich ist etwas ganz anderes für die durch Dehnübungen erzielte größere Beweglichkeit verantwortlich:

Es handelt sich um die veränderte Toleranz einer Person gegenüber der Spannung, die beim Dehnen eines Muskels entsteht.

Was einen Muskel tatsächlich, aber nur kurzfristig und vorübergehend, weicher und dadurch dehnbarer machen kann, ist seine Erwärmung. Ähnlich wie ein Stück Fleisch aus dem Kühlschrank beim Erwärmen geschmeidiger wird, wird auch ein lebendiger Muskel geschmeidiger, wenn seine Temperatur durch erhöhte Durchblutung steigt. Dafür ist jedoch nicht das Dehnen verantwortlich, sondern im Gegenteil, die reflektorische Dehn(Schutz)-Spannung, also eine Muskelkontraktion, die bei jeder Dehnung entsteht.

Beweglichkeit

  • Was begrenzt eigentlich eine Bewegung?
  • Was hindert jemanden daran, mit den Fingerspitzen den Boden zu berühren oder die Beine im Lotussitz zu kreuzen?

Es handelt sich nicht um eine strukturelle Steifheit der Muskeln. Wie weit ein Muskel gedehnt werden kann, hängt vielmehr davon ab, wie viel Spannung ein Mensch beim Dehnen eines Muskels toleriert – Dehntoleranz.

Das bedeutet: So wie sich ein Muskel (außer durch Verletzung) nicht dauerhaft verkürzen kann, kann er auch nicht in seiner strukturellen Länge verändert werden.

Dort, wo ein Muskel nicht weiter gedehnt werden kann, sind die Signale, die diese Dehnung stoppen, so stark, dass sie unter normalen Umständen nicht mehr überwunden werden können. Die Funktion dieser Grenze ist Schutz vor Überdehnung und Verletzung, und zwar:

  • des Muskels
  • der Gelenke
  • der umgebenden Bänder

Diese Grenze ist variabel, ohne ihre Schutzfunktion zu verlieren. Dennoch bedeutet größere Beweglichkeit immer eine Verschiebung dieser Schutzschwelle.

Damit ist ein anhaltender Zugewinn an Beweglichkeit hauptsächlich das Ergebnis einer zunehmenden Gewöhnung an die beim Dehnen entstehende Spannung.

Welche neuromuskulären Mechanismen genau für diese Gewöhnung verantwortlich sind, ist weiterhin Gegenstand der Forschung. Dabei wird die Relevanz verschiedener Prozesse diskutiert, die an der bewussten und unbewussten Körperwahrnehmung und Muskelsteuerung beteiligt sind. Dazu könnte insbesondere eine Erhöhung der Schmerztoleranz gehören (zentral im Gehirn oder peripher in der Funktion der Rezeptoren im Muskel – oder beides) oder eine Veränderung in der Modulierung der mit jeder Muskeldehnung einhergehenden reflexiven Muskelkontraktion.

Wirkungen

Jedes Dehnen verbessert das Wohlbefinden durch die Aktivierung des Bewegungssystems. Als wesentlicher Auslöser wird die dabei ausgelöste Tonussteigerung der Muskulatur angesehen.

Bei allen weiteren Wirkungen ist ein deutlicher Unterschied zwischen kurzfristigen und langfristigen Auswirkungen von Dehnung und Dehnübungen zu erkennen.

Eine einzige oder wenige Dehnungen können kurzzeitig die Ruhedehnungsspannung um bis zu 20 Prozent senken. Das bedeutet, der Muskel entspannt sich. Der Grund dafür ist jedoch nicht ein Wegdehnen der Muskelspannung.

Die Ursache für dieses Senken des Muskeltonus ist die bereits beschriebene reflektorische Kontraktion des Muskels, die bei jeder Dehnung ausgelöst wird. Diese Muskelanspannung führt, wie jede Muskelarbeit, zu einer stärkeren Durchblutung. Der Muskel erwärmt sich und wird tonisiert. Durch diese Erwärmung wird das Muskelgewebe, wie viele andere Gewebe auch, vorübergehend dehnbarer. Es handelt sich um einen reinen Aufwärmeffekt, der jedoch bereits in den ersten Minuten nach einer Dehnung zunächst schnell und danach etwas langsamer abnimmt. Nach etwa 15–60 Minuten ist er vollständig verschwunden.

Untersuchungen haben gezeigt, dass das Aufwärmen der Muskulatur einfacher und effektiver durch direkte Muskelaktivierung, also durch Kontraktion bei entsprechender Bewegung, erreicht werden kann. Gleichzeitig erweitert sich die Gelenkreichweite, also die Beweglichkeit im Gelenk, unmittelbar nach einer Dehnung um bis zu 10 Prozent. Der Grund dafür ist, dass der gedehnte Muskel bei einer nachfolgenden Dehnung kurzfristig eine größere Dehnungsspannung toleriert (bis zu 15 Prozent mehr als vor der Dehnung). Die vom gesamten neuromuskulären System gesetzte Spannungsgrenze wurde also verschoben. Dieser Effekt lässt allerdings schnell nach.

Für die Praxis interessant: Sowohl der Entspannungseffekt durch die Tonussteigerung des Muskels, der durch seine reflektorische Anspannung hervorgerufen wird, als auch die erlangte größere Gelenkbeweglichkeit, können nach sehr wenigen Wiederholungen eines dynamischen Dehnens nur noch geringfügig gesteigert werden. Statisches Dehnen wirkt dabei nicht besser, eher schlechter. Auch ein schnelles Eingehen in eine Dehnung ist kontraproduktiv, je langsamer die Dehnbewegung, desto geringer die reflektorische Kontraktion.

Dehnen als regelmäßiges, langfristiges Übungsprogramm verbessert dagegen dauerhaft die Beweglichkeit. Es senkt jedoch nicht, wie früher angenommen, die Ruhespannung. Das bedeutet, dass die Muskulatur durch regelmäßiges intensives Dehnen nicht dauerhaft entspannter oder weicher wird. Im Gegenteil, der Muskel wird fester und verliert an Elastizität. Dies geschieht, weil der Muskel auf wiederholten starken Zug reagiert, indem er neue parallele Sarkomere bildet, um sich vor Überlastung zu schützen. Dieses Muskelwachstum führt zu einer geringen Zunahme der Muskelkraft und einer deutlichen Zunahme der Muskelruhespannung durch Zuwachs an Titin-Filamenten.

Als Krafttraining sind regelmäßige Dehnübungen jedoch ungeeignet. Das Muskelwachstum und der Kraftzuwachs durch normale kontraktive Muskelarbeit sind wesentlich größer und weniger aufwendig.

Dehnübungen können die Beweglichkeit erheblich verbessern. Zum Beispiel wurde in Dehnungsprogrammen von nur 2–3 Monaten eine dauerhafte Zunahme der Gelenkreichweite von bis zu 15 Prozent festgestellt.

Über den kurzfristigen Aufwärmeffekt hinaus kann Dehnen chronische Verspannungen und muskuläre Dysbalancen nicht wirklich positiv beeinflussen. Eine höhere Toleranz gegenüber der beim Dehnen entstehenden Muskelspannung führt lediglich zu einer größeren Beweglichkeit der Gelenke, während die innere Funktion und Struktur des Muskels unverändert bleiben. Die Vorstellung, dass eine verkürzte Muskulatur durch Dehnen wieder in ihren ursprünglichen, gesunden Zustand gezogen werden könnte, ist unzutreffend.

Zwei Zitate:

„Zusammenfassend kann festgestellt werden: Akut lässt sich die Ruhespannung des Muskels durch Dehnen für wenige Minuten reduzieren, indem der viskoelastische Widerstand des Muskelgewebes herabgesetzt wird. Dies mag, neben dem Anstieg von Dehnbelastungsfähigkeit und Beweglichkeit, einer der Gründe sein, warum man sich nach einem Dehnen entspannter und lockerer fühlt. Eine dauerhafte Reduzierung der Muskelspannung ist durch Dehnen jedoch nicht zu erwarten. Die Gründe dazu liegen auf der Hand: Der elastische Widerstand, den der Muskel einem Dehnen entgegensetzt, wird in erster Linie von den Titinfilamenten erzeugt. Deren wesentliche Aufgabe ist es, den gedehnten, aber inaktiven Muskel (die gedehnten Sarkomere) ohne größeren Energieverbrauch wieder auf eine Standardlänge zu entdehnen. Soll diese Aufgabe stets optimal gelingen, ist es notwendig, dass die elastischen Rückstellkräfte des Titins durch äußere Einwirkungen keine Einbuße erleiden. Somit ist durch regelmäßiges Dehnen von vornherein keine dauerhafte Reduzierung der Ruhespannung des Muskels zu erwarten. Diese Erkenntnis hat auch Konsequenzen für die Behandlung muskulärer Dysbalancen. Während man früher annahm, man könnte z.B. ein durch ein muskuläres Ungleichgewicht verursachtes vorgekipptes Becken aufrichten und somit ein Hohlkreuz beseitigen, indem man Dehnungsübungen für die Hüftbeuger durchführt, so weiß man heute, dass diese Übungen nicht den gewünschten Effekt, eine Abnahme der Ruhespannung der Hüftbeuger, erzielen können.“ A. Klee, K. Wiemann, K. (2004a) Biologische Grundlagen zur Wirkung der MuskeldehnungIn: Cachey, K. / Halle, A. / Teubert, H. (Hrsg.): Sport ist Spitze. Reader zum Sportgespräch / 18. InternationalerWorkshop am 16. und 17. Juni 2003 in Oberhausen

„Eine Verkürzung wird üblicherweise im Rahmen eines Muskelfunktionstests festgestellt und dabei so gut wie immer fälschlicherweise als strukturelle, also echte Längenverkürzung des Muskels vermittelt. Es wird daraufhin in der Regel empfohlen, den entsprechenden Muskel zu dehnen {...} um die Verkürzung zu beheben. Diese vermeintliche Muskelverkürzung ist aber nichts anderes als eine eingeschränkte Flexibilität bzw. Dehnfähigkeit. Es besteht eine verminderte Toleranz gegenüber einer Dehnungsspannung – und so sollte man es auch bezeichnen und erklären. Eine wirkliche, sprich strukturelle Verkürzung eines Muskels besteht dabei nicht. {...} Mit einem ausgiebigen Stretching eines vermeintlich verkürzten Muskels würde man dessen Ruhespannung nur noch weiter erhöhen.“ K. Moosburger, T. Markmann Was ist dran am Dehnen (Stretching)? - Fakten und MythenIn: Sport- und Präventivmedizin, Organ der Österr. Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, 43. Jahrgang, Heft 3 und 4/2013

Weitere Fakten

Die Beweglichkeit eines Menschen und wie beweglicher er durch Übung werden kann, wird stark von seiner genetischen Veranlagung beeinflusst. Das erklärt, warum sich die Beweglichkeit einiger Menschen trotz intensivster Anstrengungen kaum verändert, während andere schon immer sehr flexibel waren.
Als Yoga hauptsächlich darin bestand, durch intensives Dehnen außergewöhnliche Beweglichkeit zu erreichen, zog es überdurchschnittlich viele Menschen mit geeigneter genetischer Disposition an. Inzwischen ist das Bewusstsein gewachsen, wie viel körperlicher Schaden gerade dann entstehen kann, wenn eine bereits hohe Beweglichkeit eines Menschen über das natürliche Limit hinaus forciert wird.

Dehnübungen sind nicht das Gleiche wie Strecken, die auch Tiere kennen, meistens morgens und abends und oft in Verbindung mit dem Aufwachen oder einsetzender Müdigkeit. Das ist gerade kein Dehnen, wie wir es aus dem Stretching oder bestimmten Yogaformen kennen. Beim natürlichen Strecken kommt es vielmehr zu einer Kombinationsbewegung der Muskulatur aus Dehnen, Verkürzen und Versteifen. Das Dehnen ist dabei von zu kurzer Dauer und zu geringer Häufigkeit, um die allgemeine Dehnfähigkeit zu erhöhen.

Die meisten Menschen dehnen sich nicht regelmäßig. Und auch diejenigen, die sich regelmäßig dehnen, dehnen nicht alle Körperteile, wie den kleinen Finger oder die Zehen. Ebenso ist die Dehnmöglichkeit einiger großer Muskeln durch ihre anatomische Lage grundsätzlich begrenzt. Dazu gehört etwa der M. Supraspinatus (seitlicher Armheber) oder der Latissimus dorsi (breiter Rückenmuskel). Trotzdem werden wir insgesamt nicht steifer, solange wir innerhalb unserer gegebenen Beweglichkeit regelmäßig aktiv sind. Nur im höheren Alter lässt die Flexibilität aller Gewebe nach.

Die Bewegungseinschränkungen älterer Menschen liegen hauptsächlich in Veränderungen der Gelenke (Arthrose) und im Nicht- oder Fehlgebrauch ihres Bewegungssystems. Wenn ältere Menschen auf sinnvolle Weise (zum Beispiel durch Gymnastik, Tanz oder die richtige Form von Yoga) aktiviert werden, erhöht sich ihre Beweglichkeit erheblich, ganz ohne intensives Stretching. Dies ist jedoch oft durch strukturelle Einschränkungen in den Gelenken begrenzt.

Es ist nicht notwendig, gezielt zu dehnen, um eine ausreichende Beweglichkeit für alle Alltagsbelange zu erhalten. Das regelmäßige Ausschöpfen der vorhandenen Bewegungsmöglichkeiten ist ausreichend, um bei gesunder und normaler Flexibilität zu bleiben.

Nur diejenigen, die für ganz spezielle Anforderungen eine überdurchschnittliche Beweglichkeit benötigen (wie bestimmte Sportarten, Tanzstile, Kampfkünste usw.), können auf intensive Dehnübungen nicht verzichten. Allerdings wird heute, zumindest im professionellen Bereich, den damit verbundenen Risiken für die Gelenkstabilität mit einem intensiven Krafttraining entgegengewirkt.

In aller Kürze

Dehnungen tonisieren die Muskulatur durch die dabei entstehende reflexive Muskelanspannung. Das unmittelbar erlebte Wohlbefinden durch Dehnungen rührt hauptsächlich von dieser Muskelaktivierung her.

Regelmäßige Dehnübungen (Stretching) erhöhen die Beweglichkeit, ohne die Muskelstruktur im Sinne einer Verlängerung des Muskels zu verändern.

Die aktuelle Beweglichkeit einer Person ist ein Ausdruck davon, wie viel Spannung sie toleriert, die beim Dehnen eines Muskels entsteht. Je mehr Spannung toleriert wird, desto mehr lässt sich ein Muskel dehnen. Wenn sich die Beweglichkeit erhöht, zum Beispiel bei einer Vorbeuge aus dem Stand, liegt das daran, dass mehr Zugspannung in der hinteren Bein- und Gesäßmuskulatur schmerzfrei ertragen wird. Mehr oder weniger Beweglichkeit ist also keine Frage des inneren Zustands der Muskulatur. Ein Muskel lässt sich nicht über seine gegebene Struktur hinaus verlängern.

Dehnungen entspannen die Muskulatur nur kurzfristig. Langfristig wird sie durch intensives Dehnen tatsächlich fester und verliert an Elastizität.

Chronische Verspannungen und muskuläre Dysbalancen können durch Dehnungen nicht weg gedehnt werden, die betroffenen Muskeln sind strukturell nicht verkürzt. Die nachhaltige Lösung muskulärer Dysbalancen erfordert gezielte Muskelaktivierung durch Kontraktion in entsprechenden Bewegungen.

Die Dehnfähigkeit eines Menschen wird von seiner genetischen Veranlagung mitbestimmt.

Für die allgemeine Fitness und ein gesundes Bewegungssystem haben gezielte, intensive Dehnübungen keine nachgewiesene Bedeutung. ▼

Aus dem Netz …

Es gibt viel über das Dehnen zu entdecken. Für Interessierte hier einige vertiefende links.

  • Einen ausführlichen Überblick über den Stand der Forschung und noch offener Fragen. C. H. Weppler, S.P. MagnussonIncreasing Muscle Extensibility: A Matter of Increasing Length or Modifying Sensation? In: Physical Therapy, Journal of the American Physical Therapy Association, 2010; 90:438-449 ptjournal.apta.org/content/90/3/438
  • Einfach verständlicher Überblick über die Studienlage von P. Ingraham. Quite a Stretch. Stretching science shows that a stretching habit isn’t doing much of what people hope. www.painscience.com
  • Viel zitierte und beachtete Studie über die Frage, wodurch eine vergrößerte Dehnfähigkeit der hamstrings (rückwärtige Beinmuskulatur) zustande kommt. Hollie Folpp, Simon Deall et.al. Can apparent increases in muscle extensibility with regular stretch be explained by changes in tolerance to stretch? Australian Journal of Physiotherapy 2006 Vol. 52 www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0004951406700617
  • A. Klee, K. WiemannMethoden und Wirkungen des Dehnungstrainings 2003 www.biowiss-sport.de/Klee Wiemann Oostende2.pdf
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