Jālandara bandha

Jālandhara bandha

Viele Leserinnen und Leser von Viveka unterrichten Yoga und stellen sich regelmäßig Fragen zur korrekten Praxis von Āsana, Prāṇāyāma, deren Wirkungen und Risiken. Oft sind Antworten nur individuell möglich, da Bedürfnisse und Einschränkungen entscheidend sind. Einige Aspekte können jedoch grundsätzlich behandelt werden. Ein solches Thema wird im folgenden Artikel behandelt – jālandhara bandha.

Dabei stellt sich die Frage, ob es für ein »gelungenes« Üben von Āsana erstrebenswert ist, in jeder Haltung jālandhara bandha einzunehmen. Ebenso wird gefragt, ob Prāṇāyāma ohne jālandhara bandha überhaupt möglich ist und welche Wirkungen jālandhara bandha dabei entfaltet. Diese und ähnliche Fragen werden aufgegriffen und im Artikel geklärt.

Jālandhara bandha

Viele Leserinnen und Leser von Viveka unterrichten Yoga und stellen sich regelmäßig Fragen zur korrekten Praxis von Āsana, Prāṇāyāma, deren Wirkungen und Risiken. Oft sind Antworten nur individuell möglich, da Bedürfnisse und Einschränkungen entscheidend sind. Einige Aspekte können jedoch grundsätzlich behandelt werden. Ein solches Thema wird im folgenden Artikel behandelt – jālandhara bandha.

Dabei stellt sich die Frage, ob es für ein »gelungenes« Üben von Āsana erstrebenswert ist, in jeder Haltung jālandhara bandha einzunehmen. Ebenso wird gefragt, ob Prāṇāyāma ohne jālandhara bandha überhaupt möglich ist und welche Wirkungen jālandhara bandha dabei entfaltet. Diese und ähnliche Fragen werden aufgegriffen und im Artikel geklärt.

Jālandhara bandha

Viele Leserinnen und Leser von Viveka unterrichten Yoga und stellen sich regelmäßig Fragen zur korrekten Praxis von Āsana, Prāṇāyāma, deren Wirkungen und Risiken. Oft sind Antworten nur individuell möglich, da Bedürfnisse und Einschränkungen entscheidend sind. Einige Aspekte können jedoch grundsätzlich behandelt werden. Ein solches Thema wird im folgenden Artikel behandelt – jālandhara bandha.

Dabei stellt sich die Frage, ob es für ein »gelungenes« Üben von Āsana erstrebenswert ist, in jeder Haltung jālandhara bandha einzunehmen. Ebenso wird gefragt, ob Prāṇāyāma ohne jālandhara bandha überhaupt möglich ist und welche Wirkungen jālandhara bandha dabei entfaltet. Diese und ähnliche Fragen werden aufgegriffen und im Artikel geklärt.

Jālandhara bandha – ein Rückblick

»Jālandhara bandha besiegt Alter und Tod.« Diese Aussage findet sich in der vor etwa 700 Jahren verfassten Haṭha Yoga Pradīpikā. Vergleichbare, wundersame Behauptungen zum gleichen Thema sind auch in vielen anderen bekannten alten Yogatexten zu lesen. Nach heutigem Wissensstand über diese Zeit ist davon auszugehen, dass die dort formulierten hoffnungsvollen Aussagen tatsächlich wörtlich gemeint waren und nicht als Allegorie verstanden werden sollten. Sie beruhen auf Vorstellungen, die vor rund tausend Jahren im Zuge der Entstehung des Haṭha Yoga in Indien eine zentrale Rolle spielten und weit verbreitet waren.

Das Menschenbild des mittelalterlichen Indiens war – ähnlich wie im Abendland – geprägt von vorwissenschaftlichen Spekulationen, religiösen Dogmen und mystischen Erzählungen über den Ursprung der Welt. Auf solchen Konzepten fußte der Haṭha Yoga, um die Wirkungen vieler seiner seit damals praktizierten Techniken zu erklären. Heutzutage würde niemand mehr im Zusammenhang mit einer Übung wie jālandhara bandha das ewige Leben versprechen. Dennoch beziehen sich zahlreiche aktuelle Darstellungen zur Bedeutung und Wirkung dieser Technik im Wesentlichen weiterhin auf eben jene alten Konzepte, denen der Haṭha Yoga zur Erklärung der Wirkungen dieses bandha gefolgt ist.

Vor diesem Hintergrund beginnt die Diskussion zu jālandhara bandha mit einem Blick auf diese Ideen aus dem indischen Mittelalter.

Wer sich mit Sinn und Wirkung dieses bandha auseinandersetzen möchte, sollte die damaligen Vorstellungen kennen – einerseits, um das Erkenntnisinteresse jener Zeit zu würdigen, andererseits, um den geringen Nutzen dieser Erklärungsmodelle für heutige Diskussionen zur Wirkweise von Yogatechniken einschätzen zu können.

Wie funktioniert der Mensch, wofür soll er üben?  

Die folgenden Fragen lassen sich nur beantworten, wenn man sich das Bild vergegenwärtigt, das man sich damals vom Menschen, seinen Fähigkeiten, seinem Leben und seinem Körper machte.

  • Was glaubten die Übenden der Haṭha-Yoga-Schulen, die Gemeinschaften in ihrem Umfeld, eigentlich, als sie ihre Übungstechniken entwickelten und verfeinerten?
  • Was erwarteten sie sich von der Praxis von Āsana, von Prāṇāyāma, von mudrā und eben auch von den bandha?
  • Warum galt die Technik der bandha als so besonders wertvoll?
  • Was machte sie zur »Waffe gegen Krankheit« und auch den Tod?

Und die Fragen von damals unterscheiden sich wahrscheinlich von heutigen nicht besonders:  

  • Wie kommt es, dass man einen Finger kraft des Willens bewegen kann?
  • Wie kommt es, dass im Körper Wärme entsteht?
  • Wie ist es möglich, dass eine Wunde wieder zuwächst?
  • Wie ist es möglich, etwas zu spüren, zu riechen, zu sehen, zu hören?
  • Wie ist es möglich, dass sich eine Mahlzeit in Energie für eine anstrengende Arbeit verwandelt?
  • Warum beruhigt einen ein langsamer Atem?  

Gänzlich verschieden jedoch waren und sind die Antworten damals und heute. Im Mittelalter kannte man weder den Blutkreislauf noch wusste man, dass dem Herz die Fähigkeit zukommt, Blut im Körper zu bewegen. Man wusste nichts von der Funktion der Nerven, das komplexe Spiel des selbstständig arbeitenden Nervensystems war unerklärlich. Die Rolle des Gehirns war weitgehend unbekannt. Starb jemand plötzlich, dachte niemand an einen Herzinfarkt, erholte er sich von einem Fieber, dachte niemand an das Immunsystem.  

Mit dem Ayurveda gab es zwar eine hoch entwickelte Erfahrungsmedizin, die sich für ihre Diagnosen und Behandlungen auf ein komplexes Verständnis des Menschen bezog. Für die Übungskonzepte des Haṭha Yoga allerdings spielten die dort entwickelten Vorstellungen weder praktisch noch theoretisch eine wesentliche Rolle. Im Umfeld des Haṭha Yoga orientierte man sich bei Fragen zur Gesundheit und zum Leben und Sterben im Allgemeinen und damit auch zu den Wirkungen von Übungen vorzugsweise in eine andere Richtung. Die wesentlichen Quellen, aus denen die Haṭha-Yogis schöpften, waren die alten Mythologien der Veden und in sehr starkem Maße die damals »moderne« und in jenen Kreisen bewunderte und weitverbreitete Alchemie.

Die Suche nach dem Elixier der Unsterblichkeit, die magische Verwandlung von Unreinem zu Reinem, Fantasien der Allmacht über den Körper und über die Elemente des Kosmos waren zentrale Motive, um die sich das Weltbild des Haṭha Yoga rankte.

Das daraus entwickelte Körperverständnis lieferte dem Haṭha Yoga die wesentliche Grundlage für den Blick auf den Menschen und auf die Wirkungen, die von einer Yogapraxis zu erwarten sind. Das gilt somit auch für die damaligen Vorstellungen zur Bedeutung von jālandhara bandha.

Blockierung des Lebenselixiers – Der Weg zum ewigen Leben

Jālandhara bandha bezog seine Attraktivität vor allem aus der Überzeugung, dass sich mit dieser Körpertechnik das Altern aufhalten, vielleicht sogar völlig aufheben ließe. Wie ist das zu verstehen?

Die Lebensspanne eines Menschen wurde als begrenzt durch die Menge eines Lebenselixiers angesehen, das jedem Menschen bei seiner Geburt mitgegeben wird. Im Laufe des Lebens verbraucht sich dieser Lebenssaft/Nektar Sanskrit: amṛtā allmählich. Geht er gänzlich zur Neige, tritt der Tod ein. Auch ein Ort, an dem dieser Nektar zu finden ist, wurde ausgemacht: eine Höhlung in der Schädelbasis. Mitten im Schädel, hinter dem Punkt zwischen den Augenbrauen gelegen, wurde dieser Grube auch in vielen anderen Kulturen eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Im europäischen Mittelalter wurde dort häufig der Sitz der Seele vermutet.

Im Umfeld des Haṭha Yoga wurde angenommen, dieser Nektar würde durch besondere Kanäle, den nāḍī, abfließen. So gelangt er in den Bauchraum und wird dort durch ein Verdauungsfeuer Sanskrit: agni verbrannt.

Könnte die Vergeudung dieser kostbaren Essenz aufgehalten werden, so die Vorstellung, ließe sich das Leben verlängern, vielleicht sogar der Tod besiegen.

Wie also kann das scheinbar unaufhaltsame Verbrennen des Lebenselixiers angehalten werden? Im Haṭha Yoga standen dafür zwei Strategien zur Verfügung, die durch ihre innere Logik bestechen.

  • Die eine Möglichkeit bestand darin, den Körper in eine Umkehrhaltung zu bringen. Kein Tropfen der kostbaren Flüssigkeit des amṛtā würde mehr nach unten fließen, der Alterungsprozess gebremst. So liegt die Hochschätzung, die Umkehrhaltungen entgegengebracht wurde, tatsächlich im Konzept des von oben nach unten abfließenden Lebensnektars begründet. Vor diesem Hintergrund wurden diese Positionen in der Haṭha Yoga Pradīpikā unter der Rubrik mudrā eingeführt. In ihrer Gesamtheit werden sie dort viparīta karaṇī umgekehrte Haltung genannt.
  • Die zweite Strategie folgt ebenfalls einem einfachen Denkansatz: Es wurde nach Möglichkeiten gesucht, den Fluss des Nektars im Bereich des Halses mechanisch zu unterbrechen. Im jālandhara bandha geschieht dies durch Druck auf den Hals, im sogenannten khecari mudrā durch das Zurückbiegen der Zunge, bis ihre Spitze den Schlund verschließt. Auch dem Drehsitz matsyendrāsana wurde eine solche Wirkung nachgesagt, weil der Hals durch die Drehbewegung wie zusammengeschnürt wird.

Der Haṭha Yogi Svātmārāma, Autor der bekannten und weitverbreiteten Haṭha Yoga Pradīpikā, beschreibt die damaligen Vorstellungen klar und knapp:

»Jālandhara bandha … versperrt die Menge der nāḍī und verhindert das Abwärtsfließen des Nektars.« Kapitel 3, Vers 70 Und weiter: »Die Anwendung von jālandhara bandha durch das Zusammendrücken des Halses hält den Nektar davon ab, in das Feuer (agni) zu fallen.« Kapitel 3, Vers 71 Und es wird ergänzt: »Die beiden nāḍī iḍā und piṅgalā sollen durch das Zusammendrücken des Halses vollständig blockiert werden.« Kapitel 3, Vers 72

Diese Konzepte drücken sich auch im Namen der Technik selbst aus: Jāla, wörtlich Netzwerk, meint das Netzwerk der nāḍī, die im Bereich des Halses zu finden sind. Dabei lässt sich nicht mehr eindeutig klären, wie exakt die Yogis von damals einzelne nāḍī unterschieden. Denn neben den nāḍī, in denen die Lebensenergie prāṇa fließen soll, wurden auch gröbere Strukturen wie die Speiseröhre, die Luftröhre und große Blutgefäße als nāḍī bezeichnet.

Jālandhara bandha heute

So sehr der Forschergeist der yogischen Ahnen bewundert und ihr Bedürfnis, den menschlichen Körper zu verstehen und ihm mehr Gesundheit zu schenken, geschätzt werden darf – ihren Konzepten kann heute so nicht mehr gefolgt werden.

Das damalige Verständnis des Körpers und seiner Funktionen war in weiten Teilen sehr mechanistisch, ähnlich wie im Abendland vor 500 Jahren. Dies betrifft auch die Vorstellungen darüber, wie das menschliche System durch Übungen beeinflusst werden kann.

Es bestand noch kein Bewusstsein und Wissen für die Komplexität der Prozesse, die das Leben ermöglichen, Krankheiten verursachen und Heilung ermöglichen.

Entsprechend einfach sind die Konzepte, mit denen versucht wurde, die durch Yogapraxis erzeugten positiven Erfahrungen zu erklären.

Darüber hinaus gehörte es damals offenbar zum guten Ton, in der Darstellung beliebter Übungen, sich mit der Behauptung möglichst beeindruckender Wunderwirkungen zu überbieten. Zu solchen Fantasien zählt etwa die in Haṭha-Yoga-Texten häufig geäußerte Versprechung, mit jālandhara bandha ließen sich »alle Halsübel heilen«.

Doch weder die damalige Wunder­gläubigkeit noch die zu dieser Zeit verbreiteten Modelle zur Erklärung des menschlichen Körpers sollten davon abhalten, die wirklichen Qualitäten von jālandhara bandha zu erkennen und zu nutzen. In der Praxis finden sich interessante, hilfreiche und praktikable Aspekte.

Die Praxis

Eingenommen wird jālandhara bandha traditionell in folgender Reihenfolge. Da jālandhara bandha in verschiedenen Positionen geübt werden kann, werden in der folgenden Beschreibung die Bewegung der Arme und Schultern ausgelassen.

  • Wähle einen bequemen Sitz mit aufrechter Wirbelsäule.
  • Atme tief und vollständig ein.
  • Während der Atem angehalten wird kumbhaka, sinkt der Kopf über vorn nach unten, dabei wird das Kinn fest gegen die Brust oder zwischen die Schlüsselbeine gedrückt.
  • Das jālandhara bandha wird für einige Sekunden gehalten, gerade solange es angenehm ist.
  • Beim Ausatmen wird der Kinnverschluss gelöst, der Kopf angehoben und die Arme und Schultern entspannt.
  • Bleibe sitzen, bis sich die Atmung wieder normalisiert hat, und beginne dann mit einer nächsten Runde.

Jālandara bandha im Prāṇāyāma

Die Praxis von jālandhara bandha im Prāṇāyāma umfasst zwei Aspekte: Zum einen das Heranziehen des Kinns zum Hals Kinnverschluss, zum anderen das dafür notwendige Strecken des Nackens. Daraus ergeben sich folgende Wirkrichtungen von jālandhara bandha:

  • Es gibt einen dauerhaften Impuls, die gesamte Wirbelsäule zu strecken und dadurch in einer aufrechten Sitzhaltung zu bleiben (Abb. 1).
Jālandara bandha, die Atemrichtung
Abb. 1
  • Die Technik des ujjayī Kehlatmung wird erleichtert: Durch das Halten des Kinns nahe am Hals lässt sich der Kehlton im ujjayī einfacher erzeugen und besser kontrollieren.
  • In nāḍī śodhana Wechselatmung ist es leichter, den Kopf in der Ausrichtung nach vorn zu halten (Abb. 2). Andernfalls neigt der Kopf dazu, sich zur regulierenden Hand zu drehen. Zudem wird die Arm- und Handhaltung entspannter, wenn der Kopf geneigt ist.
Jālandara bandha und nāḍī śodhana – die Wechselatmung
Abb. 2
  • Beim Einnehmen von uḍḍīyāna bandha dem nach innen und oben Ziehen des Bauches in der Verhaltung nach der Ausatmung (Abb. 3) ist die Beherrschung von jālandhara bandha sogar zwingend notwendig. Andernfalls ist es kaum möglich, im uḍḍīyāna bandha die korrekte Sitzhaltung zu bewahren und die Atemverhaltung angemessen zu kontrollieren.
Abb. 3

Ein Hinweis zum Schluss: Im Umgang mit jālandhara bandha ist auch Vorsicht geboten: Das Heranziehen des Kinns zum Hals kann leicht zu größeren Spannungen im Nackenbereich führen. Deshalb bleibt ein volles jālandhara bandha im Unterrichtsalltag wahrscheinlich eher die Ausnahme.

Für eine intensive Prāṇāyāma-Praxis gibt das Konzept von jālandhara bandha dennoch wesentliche Richtungen vor, die für ein gelungenes Prāṇāyāma essenziell sind:

  • die aufrechte Haltung im Sitz
  • der nach vorn geneigte Kopf
  • die Vermeidung einer Kopfdrehung bei nāḍī śodhana
  • die Erleichterung der ujjāyī-Technik
  • Stabilität im Körper und Atem bei uḍḍīyāna bandha

Jālandhara bandha in der Praxis von Āsana

Auch im Zusammenhang mit der Praxis von Āsana ist ein intensiv eingenommenes jālandhara bandha eher die Ausnahme. Zu groß ist das Risiko, mit dieser Technik nachhaltige Spannungen im Nacken zu provozieren. Dennoch verbergen sich auch hier hinter einer für das regelmäßige Üben meist zu anspruchsvollen Technik sinnvolle und hilfreiche Hinweise auf die korrekte Ausführung von Āsana.

Jālandhara bandha ist dabei zwei Arten von Āsana vorbehalten: den Vorbeugen und Streckungen. Beim Üben von Rückbeugen und Drehungen ist es hingegen wenig sinnvoll.

  • Ähnlich wie die Sitzhaltung im Prāṇāyāma kann jālandhara bandha Streckungen wie daṇḍāsana, ardha uttānāsana, mahāmudrā oder adhomukha śvānāsana intensivieren und dafür sorgen, dass die Wirbelsäule in ihrer Gesamtheit in die Streckung einbezogen wird.
  • In Vorbeugen kann jālandhara bandha der Tendenz des Kopfes entgegenwirken, sich in den Nacken zu legen, und so zu einer Verbesserung der Vorbeugehaltung beitragen. Das gilt für die dynamische ebenso wie für die statische Praxis von Vorbeugen.

Übende neigen manchmal in einer Vorbeuge dazu, den Kopf in den Nacken zu legen. Dadurch fehlt der Vorbeuge Vollständigkeit und Harmonie. Die Dehnung des Nackens sollte ebenfalls in die Vorbeuge einbezogen werden (Abb. 4).

Abb. 4

Die traditionelle Strenge in der Praxis von Āsana machte für die perfekte Ausführung von Vorbeugen und Streckungen jālandhara bandha zur Pflicht. Dies lässt sich heutzutage nur selten in der Praxis umsetzen. Das zugrunde liegende Konzept bleibt jedoch richtig: Von Beginn bis Ende einer Vorbeuge gehört auch die Dehnung des Nackens dazu (Abb. 5).

Abb. 5

Dieser Artikel ist ursprünglich
erschienen in

Jālandhara bandha – ein Rückblick

»Jālandhara bandha besiegt Alter und Tod.« Diese Aussage findet sich in der vor etwa 700 Jahren verfassten Haṭha Yoga Pradīpikā. Vergleichbare, wundersame Behauptungen zum gleichen Thema sind auch in vielen anderen bekannten alten Yogatexten zu lesen. Nach heutigem Wissensstand über diese Zeit ist davon auszugehen, dass die dort formulierten hoffnungsvollen Aussagen tatsächlich wörtlich gemeint waren und nicht als Allegorie verstanden werden sollten. Sie beruhen auf Vorstellungen, die vor rund tausend Jahren im Zuge der Entstehung des Haṭha Yoga in Indien eine zentrale Rolle spielten und weit verbreitet waren.

Das Menschenbild des mittelalterlichen Indiens war – ähnlich wie im Abendland – geprägt von vorwissenschaftlichen Spekulationen, religiösen Dogmen und mystischen Erzählungen über den Ursprung der Welt. Auf solchen Konzepten fußte der Haṭha Yoga, um die Wirkungen vieler seiner seit damals praktizierten Techniken zu erklären. Heutzutage würde niemand mehr im Zusammenhang mit einer Übung wie jālandhara bandha das ewige Leben versprechen. Dennoch beziehen sich zahlreiche aktuelle Darstellungen zur Bedeutung und Wirkung dieser Technik im Wesentlichen weiterhin auf eben jene alten Konzepte, denen der Haṭha Yoga zur Erklärung der Wirkungen dieses bandha gefolgt ist.

Vor diesem Hintergrund beginnt die Diskussion zu jālandhara bandha mit einem Blick auf diese Ideen aus dem indischen Mittelalter.

Wer sich mit Sinn und Wirkung dieses bandha auseinandersetzen möchte, sollte die damaligen Vorstellungen kennen – einerseits, um das Erkenntnisinteresse jener Zeit zu würdigen, andererseits, um den geringen Nutzen dieser Erklärungsmodelle für heutige Diskussionen zur Wirkweise von Yogatechniken einschätzen zu können.

Wie funktioniert der Mensch, wofür soll er üben?  

Die folgenden Fragen lassen sich nur beantworten, wenn man sich das Bild vergegenwärtigt, das man sich damals vom Menschen, seinen Fähigkeiten, seinem Leben und seinem Körper machte.

  • Was glaubten die Übenden der Haṭha-Yoga-Schulen, die Gemeinschaften in ihrem Umfeld, eigentlich, als sie ihre Übungstechniken entwickelten und verfeinerten?
  • Was erwarteten sie sich von der Praxis von Āsana, von Prāṇāyāma, von mudrā und eben auch von den bandha?
  • Warum galt die Technik der bandha als so besonders wertvoll?
  • Was machte sie zur »Waffe gegen Krankheit« und auch den Tod?

Und die Fragen von damals unterscheiden sich wahrscheinlich von heutigen nicht besonders:  

  • Wie kommt es, dass man einen Finger kraft des Willens bewegen kann?
  • Wie kommt es, dass im Körper Wärme entsteht?
  • Wie ist es möglich, dass eine Wunde wieder zuwächst?
  • Wie ist es möglich, etwas zu spüren, zu riechen, zu sehen, zu hören?
  • Wie ist es möglich, dass sich eine Mahlzeit in Energie für eine anstrengende Arbeit verwandelt?
  • Warum beruhigt einen ein langsamer Atem?  

Gänzlich verschieden jedoch waren und sind die Antworten damals und heute. Im Mittelalter kannte man weder den Blutkreislauf noch wusste man, dass dem Herz die Fähigkeit zukommt, Blut im Körper zu bewegen. Man wusste nichts von der Funktion der Nerven, das komplexe Spiel des selbstständig arbeitenden Nervensystems war unerklärlich. Die Rolle des Gehirns war weitgehend unbekannt. Starb jemand plötzlich, dachte niemand an einen Herzinfarkt, erholte er sich von einem Fieber, dachte niemand an das Immunsystem.  

Mit dem Ayurveda gab es zwar eine hoch entwickelte Erfahrungsmedizin, die sich für ihre Diagnosen und Behandlungen auf ein komplexes Verständnis des Menschen bezog. Für die Übungskonzepte des Haṭha Yoga allerdings spielten die dort entwickelten Vorstellungen weder praktisch noch theoretisch eine wesentliche Rolle. Im Umfeld des Haṭha Yoga orientierte man sich bei Fragen zur Gesundheit und zum Leben und Sterben im Allgemeinen und damit auch zu den Wirkungen von Übungen vorzugsweise in eine andere Richtung. Die wesentlichen Quellen, aus denen die Haṭha-Yogis schöpften, waren die alten Mythologien der Veden und in sehr starkem Maße die damals »moderne« und in jenen Kreisen bewunderte und weitverbreitete Alchemie.

Die Suche nach dem Elixier der Unsterblichkeit, die magische Verwandlung von Unreinem zu Reinem, Fantasien der Allmacht über den Körper und über die Elemente des Kosmos waren zentrale Motive, um die sich das Weltbild des Haṭha Yoga rankte.

Das daraus entwickelte Körperverständnis lieferte dem Haṭha Yoga die wesentliche Grundlage für den Blick auf den Menschen und auf die Wirkungen, die von einer Yogapraxis zu erwarten sind. Das gilt somit auch für die damaligen Vorstellungen zur Bedeutung von jālandhara bandha.

Blockierung des Lebenselixiers – Der Weg zum ewigen Leben

Jālandhara bandha bezog seine Attraktivität vor allem aus der Überzeugung, dass sich mit dieser Körpertechnik das Altern aufhalten, vielleicht sogar völlig aufheben ließe. Wie ist das zu verstehen?

Die Lebensspanne eines Menschen wurde als begrenzt durch die Menge eines Lebenselixiers angesehen, das jedem Menschen bei seiner Geburt mitgegeben wird. Im Laufe des Lebens verbraucht sich dieser Lebenssaft/Nektar Sanskrit: amṛtā allmählich. Geht er gänzlich zur Neige, tritt der Tod ein. Auch ein Ort, an dem dieser Nektar zu finden ist, wurde ausgemacht: eine Höhlung in der Schädelbasis. Mitten im Schädel, hinter dem Punkt zwischen den Augenbrauen gelegen, wurde dieser Grube auch in vielen anderen Kulturen eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Im europäischen Mittelalter wurde dort häufig der Sitz der Seele vermutet.

Im Umfeld des Haṭha Yoga wurde angenommen, dieser Nektar würde durch besondere Kanäle, den nāḍī, abfließen. So gelangt er in den Bauchraum und wird dort durch ein Verdauungsfeuer Sanskrit: agni verbrannt.

Könnte die Vergeudung dieser kostbaren Essenz aufgehalten werden, so die Vorstellung, ließe sich das Leben verlängern, vielleicht sogar der Tod besiegen.

Wie also kann das scheinbar unaufhaltsame Verbrennen des Lebenselixiers angehalten werden? Im Haṭha Yoga standen dafür zwei Strategien zur Verfügung, die durch ihre innere Logik bestechen.

  • Die eine Möglichkeit bestand darin, den Körper in eine Umkehrhaltung zu bringen. Kein Tropfen der kostbaren Flüssigkeit des amṛtā würde mehr nach unten fließen, der Alterungsprozess gebremst. So liegt die Hochschätzung, die Umkehrhaltungen entgegengebracht wurde, tatsächlich im Konzept des von oben nach unten abfließenden Lebensnektars begründet. Vor diesem Hintergrund wurden diese Positionen in der Haṭha Yoga Pradīpikā unter der Rubrik mudrā eingeführt. In ihrer Gesamtheit werden sie dort viparīta karaṇī umgekehrte Haltung genannt.
  • Die zweite Strategie folgt ebenfalls einem einfachen Denkansatz: Es wurde nach Möglichkeiten gesucht, den Fluss des Nektars im Bereich des Halses mechanisch zu unterbrechen. Im jālandhara bandha geschieht dies durch Druck auf den Hals, im sogenannten khecari mudrā durch das Zurückbiegen der Zunge, bis ihre Spitze den Schlund verschließt. Auch dem Drehsitz matsyendrāsana wurde eine solche Wirkung nachgesagt, weil der Hals durch die Drehbewegung wie zusammengeschnürt wird.

Der Haṭha Yogi Svātmārāma, Autor der bekannten und weitverbreiteten Haṭha Yoga Pradīpikā, beschreibt die damaligen Vorstellungen klar und knapp:

»Jālandhara bandha … versperrt die Menge der nāḍī und verhindert das Abwärtsfließen des Nektars.« Kapitel 3, Vers 70 Und weiter: »Die Anwendung von jālandhara bandha durch das Zusammendrücken des Halses hält den Nektar davon ab, in das Feuer (agni) zu fallen.« Kapitel 3, Vers 71 Und es wird ergänzt: »Die beiden nāḍī iḍā und piṅgalā sollen durch das Zusammendrücken des Halses vollständig blockiert werden.« Kapitel 3, Vers 72

Diese Konzepte drücken sich auch im Namen der Technik selbst aus: Jāla, wörtlich Netzwerk, meint das Netzwerk der nāḍī, die im Bereich des Halses zu finden sind. Dabei lässt sich nicht mehr eindeutig klären, wie exakt die Yogis von damals einzelne nāḍī unterschieden. Denn neben den nāḍī, in denen die Lebensenergie prāṇa fließen soll, wurden auch gröbere Strukturen wie die Speiseröhre, die Luftröhre und große Blutgefäße als nāḍī bezeichnet.

Jālandhara bandha heute

So sehr der Forschergeist der yogischen Ahnen bewundert und ihr Bedürfnis, den menschlichen Körper zu verstehen und ihm mehr Gesundheit zu schenken, geschätzt werden darf – ihren Konzepten kann heute so nicht mehr gefolgt werden.

Das damalige Verständnis des Körpers und seiner Funktionen war in weiten Teilen sehr mechanistisch, ähnlich wie im Abendland vor 500 Jahren. Dies betrifft auch die Vorstellungen darüber, wie das menschliche System durch Übungen beeinflusst werden kann.

Es bestand noch kein Bewusstsein und Wissen für die Komplexität der Prozesse, die das Leben ermöglichen, Krankheiten verursachen und Heilung ermöglichen.

Entsprechend einfach sind die Konzepte, mit denen versucht wurde, die durch Yogapraxis erzeugten positiven Erfahrungen zu erklären.

Darüber hinaus gehörte es damals offenbar zum guten Ton, in der Darstellung beliebter Übungen, sich mit der Behauptung möglichst beeindruckender Wunderwirkungen zu überbieten. Zu solchen Fantasien zählt etwa die in Haṭha-Yoga-Texten häufig geäußerte Versprechung, mit jālandhara bandha ließen sich »alle Halsübel heilen«.

Doch weder die damalige Wunder­gläubigkeit noch die zu dieser Zeit verbreiteten Modelle zur Erklärung des menschlichen Körpers sollten davon abhalten, die wirklichen Qualitäten von jālandhara bandha zu erkennen und zu nutzen. In der Praxis finden sich interessante, hilfreiche und praktikable Aspekte.

Die Praxis

Eingenommen wird jālandhara bandha traditionell in folgender Reihenfolge. Da jālandhara bandha in verschiedenen Positionen geübt werden kann, werden in der folgenden Beschreibung die Bewegung der Arme und Schultern ausgelassen.

  • Wähle einen bequemen Sitz mit aufrechter Wirbelsäule.
  • Atme tief und vollständig ein.
  • Während der Atem angehalten wird kumbhaka, sinkt der Kopf über vorn nach unten, dabei wird das Kinn fest gegen die Brust oder zwischen die Schlüsselbeine gedrückt.
  • Das jālandhara bandha wird für einige Sekunden gehalten, gerade solange es angenehm ist.
  • Beim Ausatmen wird der Kinnverschluss gelöst, der Kopf angehoben und die Arme und Schultern entspannt.
  • Bleibe sitzen, bis sich die Atmung wieder normalisiert hat, und beginne dann mit einer nächsten Runde.

Jālandara bandha im Prāṇāyāma

Die Praxis von jālandhara bandha im Prāṇāyāma umfasst zwei Aspekte: Zum einen das Heranziehen des Kinns zum Hals Kinnverschluss, zum anderen das dafür notwendige Strecken des Nackens. Daraus ergeben sich folgende Wirkrichtungen von jālandhara bandha:

  • Es gibt einen dauerhaften Impuls, die gesamte Wirbelsäule zu strecken und dadurch in einer aufrechten Sitzhaltung zu bleiben (Abb. 1).
Jālandara bandha, die Atemrichtung
Abb. 1
  • Die Technik des ujjayī Kehlatmung wird erleichtert: Durch das Halten des Kinns nahe am Hals lässt sich der Kehlton im ujjayī einfacher erzeugen und besser kontrollieren.
  • In nāḍī śodhana Wechselatmung ist es leichter, den Kopf in der Ausrichtung nach vorn zu halten (Abb. 2). Andernfalls neigt der Kopf dazu, sich zur regulierenden Hand zu drehen. Zudem wird die Arm- und Handhaltung entspannter, wenn der Kopf geneigt ist.
Jālandara bandha und nāḍī śodhana – die Wechselatmung
Abb. 2
  • Beim Einnehmen von uḍḍīyāna bandha dem nach innen und oben Ziehen des Bauches in der Verhaltung nach der Ausatmung (Abb. 3) ist die Beherrschung von jālandhara bandha sogar zwingend notwendig. Andernfalls ist es kaum möglich, im uḍḍīyāna bandha die korrekte Sitzhaltung zu bewahren und die Atemverhaltung angemessen zu kontrollieren.
Abb. 3

Ein Hinweis zum Schluss: Im Umgang mit jālandhara bandha ist auch Vorsicht geboten: Das Heranziehen des Kinns zum Hals kann leicht zu größeren Spannungen im Nackenbereich führen. Deshalb bleibt ein volles jālandhara bandha im Unterrichtsalltag wahrscheinlich eher die Ausnahme.

Für eine intensive Prāṇāyāma-Praxis gibt das Konzept von jālandhara bandha dennoch wesentliche Richtungen vor, die für ein gelungenes Prāṇāyāma essenziell sind:

  • die aufrechte Haltung im Sitz
  • der nach vorn geneigte Kopf
  • die Vermeidung einer Kopfdrehung bei nāḍī śodhana
  • die Erleichterung der ujjāyī-Technik
  • Stabilität im Körper und Atem bei uḍḍīyāna bandha

Jālandhara bandha in der Praxis von Āsana

Auch im Zusammenhang mit der Praxis von Āsana ist ein intensiv eingenommenes jālandhara bandha eher die Ausnahme. Zu groß ist das Risiko, mit dieser Technik nachhaltige Spannungen im Nacken zu provozieren. Dennoch verbergen sich auch hier hinter einer für das regelmäßige Üben meist zu anspruchsvollen Technik sinnvolle und hilfreiche Hinweise auf die korrekte Ausführung von Āsana.

Jālandhara bandha ist dabei zwei Arten von Āsana vorbehalten: den Vorbeugen und Streckungen. Beim Üben von Rückbeugen und Drehungen ist es hingegen wenig sinnvoll.

  • Ähnlich wie die Sitzhaltung im Prāṇāyāma kann jālandhara bandha Streckungen wie daṇḍāsana, ardha uttānāsana, mahāmudrā oder adhomukha śvānāsana intensivieren und dafür sorgen, dass die Wirbelsäule in ihrer Gesamtheit in die Streckung einbezogen wird.
  • In Vorbeugen kann jālandhara bandha der Tendenz des Kopfes entgegenwirken, sich in den Nacken zu legen, und so zu einer Verbesserung der Vorbeugehaltung beitragen. Das gilt für die dynamische ebenso wie für die statische Praxis von Vorbeugen.

Übende neigen manchmal in einer Vorbeuge dazu, den Kopf in den Nacken zu legen. Dadurch fehlt der Vorbeuge Vollständigkeit und Harmonie. Die Dehnung des Nackens sollte ebenfalls in die Vorbeuge einbezogen werden (Abb. 4).

Abb. 4

Die traditionelle Strenge in der Praxis von Āsana machte für die perfekte Ausführung von Vorbeugen und Streckungen jālandhara bandha zur Pflicht. Dies lässt sich heutzutage nur selten in der Praxis umsetzen. Das zugrunde liegende Konzept bleibt jedoch richtig: Von Beginn bis Ende einer Vorbeuge gehört auch die Dehnung des Nackens dazu (Abb. 5).

Abb. 5

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