Über das Üben

In der Tradition des Yoga ist eigenes Üben in einer regelmäßigen Praxis von zentraler Bedeutung. Ohne Üben gibt es keinen Yogaweg. Und ohne Üben gibt es auch keine Yogawirkung. Gerade diese ist es aber, die im Auge hat, wer gesund bleiben oder gesund werden möchte. Alle Werkzeuge, die wir in diesem Rahmen einsetzen, entfalten ihre Wirkung erst über Üben.

Über das Üben

In der Tradition des Yoga ist eigenes Üben in einer regelmäßigen Praxis von zentraler Bedeutung. Ohne Üben gibt es keinen Yogaweg. Und ohne Üben gibt es auch keine Yogawirkung. Gerade diese ist es aber, die im Auge hat, wer gesund bleiben oder gesund werden möchte. Alle Werkzeuge, die wir in diesem Rahmen einsetzen, entfalten ihre Wirkung erst über Üben.

Über das Üben

In der Tradition des Yoga ist eigenes Üben in einer regelmäßigen Praxis von zentraler Bedeutung. Ohne Üben gibt es keinen Yogaweg. Und ohne Üben gibt es auch keine Yogawirkung. Gerade diese ist es aber, die im Auge hat, wer gesund bleiben oder gesund werden möchte. Alle Werkzeuge, die wir in diesem Rahmen einsetzen, entfalten ihre Wirkung erst über Üben.

Vom Geist des Übens

Dass Üben mehr beinhaltet als schlichtes Wiederholen von Āsana oder anderen Techniken, wissen wir aus ganz praktischer Erfahrung und dem Verständnis der Konzepte des Yoga Sūtra. Die große Selbstverständlichkeit des Yoga im Umgang mit Üben und Übungen ist dem westlichen Denken dagegen eher fremd.

Umso erfreulicher ist es, auf eine europäische Reflexion über das Üben zu stoßen, die so scharfsichtig, tiefgründig und vor allem engagiert gehalten ist wie die des deutschen Philosophen Otto Friedrich Bollnow (1903 – 1991). Er machte es sich 1978 in einem kleinen Büchlein zur Aufgabe, der Geringschätzung der abendländischen Tradition für die Übung entgegenzutreten. 1978 erschien Vom Geist des Übens – Eine Rückbesinnung auf elementare didaktische Erfahrungen.

Es ist der Versuch, sich über den Charakter, den Sinn und die Wirkung jeden Übens Klarheit zu verschaffen. In einer Zusammenfassung werden die Inhalte der Betrachtungen von Bollnow im folgenden Artikel dargestellt.

Sie berühren wesentliche Aspekte, die jedem Yogaüben innewohnen. Wer mit dem Yoga Sūtra und seinen Übungen von Āsana, Prāṇāyāma und Meditation vertraut ist, wird in Bollnows Schrift viel Bekanntes wiederfinden. Sicher werden es nicht immer alle von ihm angesprochenen Aspekte sein, die in die Wirkung von Yogapraxis einfließen. Zu verschieden sind die Intensität und Bedeutung, die eine Übungspraxis für die übende Person gewinnt. Aber gerade die Grundsätzlichkeit seiner Fragestellung macht die Ausführungen Bollnows so wertvoll.

Über das Üben beschreibt verschiedene Ebenen, die in jedem Üben zu finden sind. Sie lassen sich so in einem ersten Überblick kurz zusammenfassen:

  • Üben hat etwas mit Lernen zu tun. Allerdings nur dann, wenn gelernt wird, um etwas zu können.
  • Wissen wird eingeprägt, Können aber muss geübt werden.
  • Üben benötigt eigenes Tun, eigenes Handeln.
  • Üben braucht einen Rahmen außerhalb des normalen Alltags.
  • Festgelegte Formen werden genau wiederholt.
  • Der Handlungsablauf wird ohne Zielorientiertheit ausgeführt (was allerdings nur für den Übungsablauf selbst gilt).
  • Üben verlangt eine besondere Ernsthaftigkeit, ja Feierlichkeit.
  • Üben braucht Hingabe an die Sache, nicht Hingabe an sich selbst; es hat etwas Altruistisches.
  • Im Üben verbindet sich Können immer auch mit Nicht-Können. Deshalb bleibt immer eine Unsicherheit.
  • Üben ist immer ein Wagnis. Die Erfahrung des Nicht-Können im Üben ist wesentlich für die weitere Motivation.
  • Widerstände gehören zur Verwirklichung von Können. Das lässt den Übenden Grenzen erfahren und hilft, das persönliche Maß zu finden.
  • Vor allem aber schenkt Verwirklichung von Können Freude, richtig verstandenes Üben Gelassenheit und innere Freiheit.

Hinweis: Otto Friedrich Bollnows Büchlein Verlag Rolf Kugler, 1987 – Vom Geist des Übens – ist nur noch antiquarisch zu erhalten, kann aber ganz einfach aus dem Internet heruntergeladen werden. Weil das Original so einfach zugänglich ist, ist im folgenden Artikel, der besseren Lesbarkeit halber, auf die Kennzeichnung von Zitaten verzichtet worden. Tatsächlich besteht der Artikel in weiten Teilen aus mehr oder weniger wörtlichen Zitaten aus diesem Büchlein. Mancher wird sich deshalb mit der etwas sperrigen Sprache Bollnows schwertun. Wir finden aber, dass die Mühe lohnt.

Üben und Können

Üben ist immer dort erforderlich, wo es sich um ein spezifisches Können handelt, das ein Mensch erwerben möchte. Das gilt nicht nur für Fertigkeiten, die etwa die Beherrschung des Körpers betreffen oder manuelle Fertigkeiten, wie sie im Handwerk oder beim Spielen eines Instruments verlangt werden. Das gilt auch für geistige Fertigkeiten.

So beschreibt schon Kant die Urteilskraft als ein besonderes Talent, welches gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will. Dieser Unterschied zwischen einfachem Lernen und sich etwas durch Üben wirklich zu eigen machen, weist auf einen wichtigen Aspekt des Übens hin:

Üben entfaltet seine Wirkung erst mit der Zeit, die davon erhofften Wirkungen müssen reifen.

Üben betrifft das innerste Wesen des Menschen. Es berührt einen Grundzug seiner Natur, nämlich das Können-Wollen und das Immer-besser-können-Wollen. Beides hängt mit der Selbstverwirklichung des Menschen zusammen, und zwar so, dass der Ausgang des Können-Wollens ungewiss ist und der Mensch erst im Versuchen und Wagen erfährt, was er kann. Aber er erfährt zugleich auch, was er nicht kann.

Erst im bis an die Grenze vordringenden Versuchen erfährt also der Mensch, was er ist. Der Mensch ist das, was er vermag.

Das jedem Können als Sorge gegenwärtige Nichtkönnen ist sowohl Mäßigung als auch Würze des Könnens. Daraus entspringt dem Menschen die Aufgabe, sich mit seinem Nichtkönnen auseinanderzusetzen. Er muss sein Maß finden, sich darin frei einzurichten und lernen, auf das Unerreichbare zu verzichten. Das bedeutet, dass der Mensch nie mit Sicherheit weiß, ob ihm das, was er zu können glaubt, auch gelingt. In jeder Handlung bleibt, auch wenn der Mensch sie noch so gut zu können glaubt, ein Wagnis, und das Gelingen hängt trotz aller Anstrengung nicht von ihm allein ab. Es muss noch etwas hinzukommen, das ihm geschenkt wird.

Um etwas wirklich zu können, müssen wir es uns erüben. Zwei Wesenszüge der Übung im eigentlichen und strengen Sinn heben sich dabei heraus.

  • Das eine ist ihr formaler Charakter. Die zu übende Leistung (zum Beispiel sich auf einen Meditationsgegenstand ausrichten zu können oder den Atem lang und fein werden zu lassen oder in einer Haltung Leichtigkeit und Stabilität zu erreichen, Anm. d. Redaktion) ist hier aus dem größeren Sinnzusammenhang herausgerissen. Es geht in der Übung nun lediglich um die Ausbildung bestimmter Fertigkeiten, die als solche allein eigentlich wenig Sinn ergeben. Sie gewinnen ihren Sinn erst aus dem größeren Zusammenhang, in dem sie eingesetzt werden. Deshalb kann während des Übens das Ziel, um dessen Willen man übt, leicht aus dem Auge verschwinden und sich Langeweile einstellen.
  • Der zweite Wesenszug der Übung im eigentlichen Sinn ist die Disziplin, unerbittliche Forderung, die an die Vollkommenheit der einzelnen Leistung gestellt ist. Hier hört das Spielerische auf, alles Sich-Begnügen mit dem Unbestimmten und Ungefähren, mit allem, was dem Menschen leicht und ohne besondere Anstrengung zufällt. Der Geist der Übung ist der unerbittliche Ernst, der nicht nachlässt, bis die Leistung fehlerfrei gelungen ist. Die Übung erfordert eine Härte gegen sich selbst. Sie verlangt eine strenge Disziplin. Zu ihr gehört unablösbar ein gewisser asketischer Zug; und nicht umsonst heißt Askese in der wörtlichen Übersetzung ganz einfach Übung. Vielleicht ist es dieser asketische Zug, die Notwendigkeit einer strengen Disziplin, die zur heute verbreiteten Abneigung gegen das Üben geführt oder doch wesentlich beigetragen hat.

Das Leben im Ganzen oder die Liebe zum Beispiel kann man nicht wirklich können. Von einem Können kann man nur dort sinnvoll sprechen, wo es ein Üben gibt. Das Üben im eigentlichen Sinn entsteht aber erst dort, wo der gewohnte Ablauf der Tätigkeiten durch ein auftretendes Unvermögen unterbrochen wird und jetzt die bestimmte Einzelleistung isolierend herausgehoben und zur Vollkommenheit gebracht werden muss.

Nur isolierte Einzelleistungen lassen sich üben und durch Üben zum Können bringen.

Und nur soweit dies geschieht, d. h. nur soweit es Übung im strengen Sinn gibt, kann man auch von einem Können im strengen Sinn sprechen. Es ist sinnlos, diesen Begriff auf das Ganze des Lebens oder auf Verhaltensweisen übertragen zu wollen, die, wie die Liebe, unmittelbar aus dem Ganzen des Lebens entspringen. Und wo man das trotzdem tut, da verfehlt man die Echtheit und Unmittelbarkeit des Lebens.

Virtuos, aber seelenlos

Aber auch dort, wo es sich um einzelne zu erbringende Leistungen handelt, ergibt sich eine entsprechende Gefahr. Denn in dem Augenblick, in dem das Können nicht mehr primär im Dienst einer übergeordneten Aufgabe steht, sondern als solches entwickelt und genossen wird, entsteht als Möglichkeit ein spielerischer Selbstgenuss, der sich von der Sache entfernt hat, um die es ursprünglich ging.

Je schwieriger eine Tätigkeit ist, desto größer die Kunstfertigkeit ist, die sie erfordert, umso größer ist die Gefahr eines leeren, seelenlos gewordenen Virtuosentums.

Diese Gefahr ist im Wesen des Könnens und damit im Wesen des Menschen und darum gar nicht zu vermeiden.

Umso wichtiger wird die Aufgabe, diese Gefahr in ehrlicher Auseinandersetzung zu bestehen. Die im Stolz auf das Gekonnte liegenden Gefahren führen zu der schwierigen Frage, in welcher Weise der Mensch überhaupt über das im Üben erworbene Können in der Folgezeit verfügen kann. Tatsächlich ist Können nicht als ein verfügbarer Besitz gegeben. Es erhält sich nur im immer wiederholten Üben. Es entgleitet wieder, es rostet gewissermaßen ein, wenn der Mensch es nicht durch tägliches Üben lebendig erhält.

Vorbedingung für den Erfolg des Übens

Das Üben führt nicht in allen Fällen in gleicher Weise zum Erfolg:

  • wo der Mensch zerstreut oder unaufmerksam ist
  • wo er seine Übungen nachlässig betreibt
  • wo er von schwerem Kummer belastet ist, von dem er sich in seinen Gedanken nicht losreißen kann
  • wo er vor freudiger Erwartung auf ein kommendes Ereignis zittert

Überall da ist das Üben sinnlos, weil es nicht zum Erfolg führen kann. Die Übung verlangt vielmehr die selbstvergessene Hingabe an das zu übende Tun, den nicht nachlassenden Willen, das Tun so gut wie möglich und bei jeder Wiederholung besser als das vorige Mal zu machen. Die Übung erfordert die Anspannung des ganzen Menschen. Aber umgekehrt würde auch eine zu große, krampfhafte Anspannung den Erfolg des Übens gefährden. Wo um jeden Preis ein Ergebnis erzwungen werden soll, bleibt dieses gerade aus, und zwar umso mehr, je verzweifelter sich der Mensch darum bemüht. Die im Üben erstrebte Leistung gelingt auf der anderen Seite nur in einer gelösten Seelenverfassung. Diese beiden Seiten, Anspannung und Gelöstheit, müssen sich verbinden, wenn das Üben zum richtigen Ergebnis führen soll.

Es ist ein Zustand stiller und gesammelter Heiterkeit, in der keine Sorge den Menschen beunruhigt und keine übermäßige Eile ihn vorantreibt. Nur in einem solchen ausgeglichenen Zustand kann der Mensch erfolgreich üben. Insbesondere verhindert auch ein zu hastiges Vorwärtsdrängen den Erfolg des Übens.

Wer richtig üben will, muss ganz in seinem Tun aufgehen und muss sich von seinem Rhythmus tragen lassen.

Er darf seine Arbeit natürlich nicht lässig betreiben, aber er darf ebenso wenig über sein Tun hinaus ständig auf das Ergebnis hinzielen und dieses in möglichst kurzer Zeit zu erreichen suchen. Er muss sich im Zustand größter Gelassenheit befinden, die im gegenwärtigen Augenblick ruht und, weil sie ihrer sicher ist, sich auch im Üben die nötige Zeit nehmen kann.

Üben schafft seine eigenen Voraussetzungen

Es sind also sehr gewichtige und schwer zu erfüllende Voraussetzungen, die an das richtige Üben gestellt sind, und es ergibt sich die Frage, wie unter diesen Bedingungen ein erfolgreiches Üben überhaupt zustande kommen kann.

Wer von der Unruhe des täglichen Lebens umgetrieben wird oder gar von schwerem Leid bedrückt ist, kann selbst dann, wenn er sich ernsthaft bemüht, nicht die Voraussetzungen erfüllen, die für ein sinnvolles Üben erfüllt sein müssen, und wird darum schwer zu einem befriedigenden Erfolg gelangen.

So scheint der Erfolg des Übens nicht in der Macht des Menschen zu stehen, sondern von zufällig vorhandenen günstigen oder ungünstigen Umständen abzuhängen. Das ist nun glücklicherweise nicht der Fall.

Vielmehr zeigt sich die paradoxe Situation, dass das Üben, wenn es mit einem Minimum an gutem Willen erst einmal begonnen ist, schrittweise von sich aus die Vorbedingungen schafft, derer es zu seinem Gelingen bedarf.

Fritz Loser ein deutscher Pädagoge, den Bollnow hier zitiert, Anm. d. Redaktion hat dies in einem Aufsatz über das Üben im Unterricht sehr klar herausgearbeitet:

Wenn vom Schüler die Konzentration auf seine Übungen gefordert wird, so ist diese Konzentration nicht einfach die Vorbedingung, die erfüllt sein muss, ehe er mit seinem Üben beginnen kann. Vielmehr bildet sie sich erst und wächst im Üben. Üben fördert die Konzentration. Nur die Umkehrung des traditionellen Begründungszusammenhangs zwischen Konzentration und Übung lässt eine bislang nur wenig beachtete pädagogische Bedeutung der Übung erkennen. Sie besteht darin, dass sie ihre Voraussetzungen nicht nur akzeptiert und sich an ihnen ausrichtet, sondern diese selbst zuallererst mit hervorbringt. Offenbar ist die Konzentration nicht nur Voraussetzung einer sinnvollen Übungspraxis. Vielmehr ist sie auch eine Funktion der Übung, zumindest aber ist sie der Übung zugänglich. Dabei ist die durch das Üben hervorgebrachte Konzentration nicht auf den einzelnen, konkreten Fall beschränkt. Sie wirkt sich darüber hinaus auch für die Zukunft aus als gesteigerte Konzentrationsfähigkeit. Konzentration kann so als „übbar“ beschrieben werden; denn damit ist die Konzentrationsfähigkeit ein Können, das durch Üben hervorgebracht und erhalten wird. Das ist ein Ansatz von fundamentaler Bedeutung. Man übt in diesem Fall nicht nur mit dem Ziel, eine bestimmte Fertigkeit zu erreichen, sondern auch und vielleicht sogar in erster Linie, um eine bestimmte innere Verfassung zu erlangen, nämlich die Konzentration der Aufmerksamkeit. Und es scheint darüber hinaus so, dass diese innere Verfassung, die auf dem direkten Wege vorsätzlich nicht herbeigeführt werden kann, auf dem Umweg über die Übung trotzdem erreichbar wird. Durch ein Üben, das man bewusst anstellen kann, also durch ein äußeres Tun.

In diesem Sinne erklärt Loser, dass die Konzentration „der natürlichen Zerstreuung durch äußere Übungen und Exerzitien abgerungen werden kann.“

Gelöstheit

Aus einer östlichen Übungstradition, dem japanischen Zen, können wir lernen, dass man an das Üben als Mittelpunkt eines ganzen Übungsweges einen umfassenden Anspruch stellen kann. In der Übungspraxis geht es nunmehr um eine radikale, den Menschen in seinem innersten Kern ergreifende Wandlung. Die Übung gewinnt damit eine Schlüsselstellung bei der Verwirklichung des wahren Menschseins.

Weil es sich im Zen in der Überwindung der alltäglichen Betriebsamkeit und Zerstreutheit, um einen letztlich religiös zu verstehenden Vorgang handelt, wird das Üben selbst so in einen religiösen Zusammenhang hineingenommen und erhält von diesem her seinen tieferen Sinn. So begreifen wir, dass es vorwiegend der Zen-Buddhismus gewesen ist, durch den in Japan die Kultur des Übens zu einer Entfaltung gekommen ist, die nachdenkliche Europäer in ihren Bann gezogen hat.

Aber der besondere religiöse Untergrund, aus dem diese Übungen im japanischen Kulturbereich hervorgegangen sind, kann hier nicht weiter verfolgt werden. Hier geht es allein darum, was wir für unsere europäischen Verhältnisse aus der japanischen Übungstradition lernen können.

Dass wir die japanischen Übungsformen nicht einfach auf unsere Kultur übernehmen können, ist selbstverständlich. Dazu sind sie zu sehr in der besonderen japanischen Überlieferung verwurzelt, und jeder Versuch einer direkten Übertragung behielte etwas Künstliches und letztlich Unverbindliches. Wir müssen vielmehr fragen, ob nicht in den japanischen Übungsformen eine allgemeine Einsicht in die anthropologische Funktion der Übung enthalten ist, die sich aus ihnen als auch für uns gültig herausarbeiten lässt.

Und wir können hoffen, dass an dem dort zur letzten Vollkommenheit durchgebildeten Beispiel unser eigenes Verständnis des Übens geklärt und genauer bestimmt werden kann. Im Kontext abendländischer Betrachtung eines den ganzen Menschen erfassenden Ziels von Üben soll uns der Begriff der Gelöstheit weiterhelfen.

Gelöstheit, die im richtigen Üben erfahren wird, beinhaltet nicht nur das Lösen körperlicher oder seelischer Verkrampfungen. Vielmehr löst sich der Mensch dabei von seiner Selbstbezogenheit und beengenden Anhaftungen. Eine so verstandene Gelöstheit ist also keineswegs das Versinken in bloßer Passivität.

Sie steht nicht im Gegensatz zum Tun, sondern ist eine Weise des Tuns selber. Sie ist ein gesammeltes Tun, das, ohne verkrampft zu sein, ohne hastig der Zukunft entgegen zu drängen, ganz im gegenwärtigen Tun aufgeht.

Man könnte in einer paradox scheinenden und doch die Sache völlig treffenden Formel von einer gesammelten Gelöstheit oder einer gelösten Sammlung sprechen.

Innere Freiheit

Wir können, was in der Gelöstheit zunächst negativ, nämlich als Ablösung von etwas gefasst ist, positiv auch als Freiheit, genauer als innere Freiheit bestimmen; denn alle Freiheit ist doch die Lösung von einem – äußeren oder inneren – Zwang. Wir können daher hoffen, im Begriff der Freiheit den in der Übung sich vollziehenden Wandlungsprozess von einer anderen Seite her in den Blick zu bekommen und dadurch schärfer zu bestimmen.

Innere Freiheit ist das Gefühl des Einklangs des Menschen mit den Bedingtheiten seiner Situation.

Hierbei bedeutet die Situation als äußere und als innere Situation die Gesamtheit der Gegebenheiten, zu denen sich der Mensch jeweils verhalten kann. Das sind ebenso sehr die äußeren Lebensumstände, seine Abhängigkeit von den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen, wie auch die Abhängigkeit von der Natur, in deren gesetzmäßigen Zusammenhang der Mensch durch seinen Leib eingebettet ist, durch die ihm gegebenen wie auch die ihm versagten Anlagen und Fähigkeiten. Das ist eine Abhängigkeit, wie sie ihm durch Krankheit, Alter und bevorstehenden Tod schmerzhaft in Erinnerung gebracht wird. Es ist aber ebenso sehr seine eigene Seele, die, wie zuvor besprochen, mit ihren Trieben und Leidenschaften einen Zwang auf ihn ausübt.

Freiheit kann nun nicht bedeuten, dass der Mensch sich von all diesen Abhängigkeiten und diesen Zwängen befreit. Das ist unmöglich, und jeder verzweifelte Versuch der Auflehnung führt nur zu neuen Spannungen.

Einklang von Wollen und Können

Innere Freiheit bedeutet vielmehr, im Einklang mit seinen Verhältnissen zu leben.

Diese Forderung hat zwei Seiten, eine nach außen und eine nach innen gerichtete. Einerseits kann der Mensch den gesuchten Einklang dadurch herstellen, dass er die Umwelt, in der er lebt, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu einer ihm gemäßen Welt formt und die beengenden Umstände, in denen er sich vorfindet, so weit wie nur möglich zu seinen Gunsten verändert. Aber dabei stößt er bald auf seine Grenzen.

Seine Lebensbedingungen lassen sich nur in einem sehr beschränkten Umfang beeinflussen. Darum muss sich seine Aufmerksamkeit auf ihn selbst zurückwenden, und soweit der Mensch nicht seine Verhältnisse ändern kann, muss er sich selbst so ändern, dass er sich in Einklang mit seinen Verhältnissen setzt.

Der Mensch fühlt sich innerlich frei, wenn er sich und seine Verhältnisse so aneinander angepasst hat, dass er diese Verhältnisse nicht mehr als Druck empfindet, unter dem er zu leiden hat, sondern sich in ihnen wohlfühlt wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser.

Gelassenheit

Die eine Seite der inneren Freiheit besteht also in dem Bewusstsein, nicht durch äußere Umstände in der eigenen Bewegungsfreiheit beengt zu sein. Weil aber die Umstände nur zum geringen Teil vom Menschen abhängig sind, gewinnt die andere Seite an Wichtigkeit: die notwendige Veränderung im Menschen selbst, durch die er sich in Einklang mit den Umständen zu setzen vermag.

Wir können dies den Verzicht auf den Eigenwillen bezeichnen. Das bedeutet aber keineswegs den Verzicht auf den Willen überhaupt, sondern nur die Reinigung des Willens von seiner störenden Selbstbezogenheit.

Der Begriff Ichlosigkeit wäre in diesem Zusammenhang allein dann sinnvoll gebraucht, wenn er sich nur auf das kleine Alltags-Ich mit all seinen kleinlichen Sorgen und Empfindlichkeiten bezieht.

An deren Stelle tritt der lebendig erfahrene Einklang mit einem größeren Ganzen, dem großen Leben oder wie auch immer man es sonst benennen mag. Den dabei erreichten Zustand bezeichnen wir am besten mit dem Wort Gelassenheit. ▼

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Vom Geist des Übens

Dass Üben mehr beinhaltet als schlichtes Wiederholen von Āsana oder anderen Techniken, wissen wir aus ganz praktischer Erfahrung und dem Verständnis der Konzepte des Yoga Sūtra. Die große Selbstverständlichkeit des Yoga im Umgang mit Üben und Übungen ist dem westlichen Denken dagegen eher fremd.

Umso erfreulicher ist es, auf eine europäische Reflexion über das Üben zu stoßen, die so scharfsichtig, tiefgründig und vor allem engagiert gehalten ist wie die des deutschen Philosophen Otto Friedrich Bollnow (1903 – 1991). Er machte es sich 1978 in einem kleinen Büchlein zur Aufgabe, der Geringschätzung der abendländischen Tradition für die Übung entgegenzutreten. 1978 erschien Vom Geist des Übens – Eine Rückbesinnung auf elementare didaktische Erfahrungen.

Es ist der Versuch, sich über den Charakter, den Sinn und die Wirkung jeden Übens Klarheit zu verschaffen. In einer Zusammenfassung werden die Inhalte der Betrachtungen von Bollnow im folgenden Artikel dargestellt.

Sie berühren wesentliche Aspekte, die jedem Yogaüben innewohnen. Wer mit dem Yoga Sūtra und seinen Übungen von Āsana, Prāṇāyāma und Meditation vertraut ist, wird in Bollnows Schrift viel Bekanntes wiederfinden. Sicher werden es nicht immer alle von ihm angesprochenen Aspekte sein, die in die Wirkung von Yogapraxis einfließen. Zu verschieden sind die Intensität und Bedeutung, die eine Übungspraxis für die übende Person gewinnt. Aber gerade die Grundsätzlichkeit seiner Fragestellung macht die Ausführungen Bollnows so wertvoll.

Über das Üben beschreibt verschiedene Ebenen, die in jedem Üben zu finden sind. Sie lassen sich so in einem ersten Überblick kurz zusammenfassen:

  • Üben hat etwas mit Lernen zu tun. Allerdings nur dann, wenn gelernt wird, um etwas zu können.
  • Wissen wird eingeprägt, Können aber muss geübt werden.
  • Üben benötigt eigenes Tun, eigenes Handeln.
  • Üben braucht einen Rahmen außerhalb des normalen Alltags.
  • Festgelegte Formen werden genau wiederholt.
  • Der Handlungsablauf wird ohne Zielorientiertheit ausgeführt (was allerdings nur für den Übungsablauf selbst gilt).
  • Üben verlangt eine besondere Ernsthaftigkeit, ja Feierlichkeit.
  • Üben braucht Hingabe an die Sache, nicht Hingabe an sich selbst; es hat etwas Altruistisches.
  • Im Üben verbindet sich Können immer auch mit Nicht-Können. Deshalb bleibt immer eine Unsicherheit.
  • Üben ist immer ein Wagnis. Die Erfahrung des Nicht-Können im Üben ist wesentlich für die weitere Motivation.
  • Widerstände gehören zur Verwirklichung von Können. Das lässt den Übenden Grenzen erfahren und hilft, das persönliche Maß zu finden.
  • Vor allem aber schenkt Verwirklichung von Können Freude, richtig verstandenes Üben Gelassenheit und innere Freiheit.

Hinweis: Otto Friedrich Bollnows Büchlein Verlag Rolf Kugler, 1987 – Vom Geist des Übens – ist nur noch antiquarisch zu erhalten, kann aber ganz einfach aus dem Internet heruntergeladen werden. Weil das Original so einfach zugänglich ist, ist im folgenden Artikel, der besseren Lesbarkeit halber, auf die Kennzeichnung von Zitaten verzichtet worden. Tatsächlich besteht der Artikel in weiten Teilen aus mehr oder weniger wörtlichen Zitaten aus diesem Büchlein. Mancher wird sich deshalb mit der etwas sperrigen Sprache Bollnows schwertun. Wir finden aber, dass die Mühe lohnt.

Üben und Können

Üben ist immer dort erforderlich, wo es sich um ein spezifisches Können handelt, das ein Mensch erwerben möchte. Das gilt nicht nur für Fertigkeiten, die etwa die Beherrschung des Körpers betreffen oder manuelle Fertigkeiten, wie sie im Handwerk oder beim Spielen eines Instruments verlangt werden. Das gilt auch für geistige Fertigkeiten.

So beschreibt schon Kant die Urteilskraft als ein besonderes Talent, welches gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will. Dieser Unterschied zwischen einfachem Lernen und sich etwas durch Üben wirklich zu eigen machen, weist auf einen wichtigen Aspekt des Übens hin:

Üben entfaltet seine Wirkung erst mit der Zeit, die davon erhofften Wirkungen müssen reifen.

Üben betrifft das innerste Wesen des Menschen. Es berührt einen Grundzug seiner Natur, nämlich das Können-Wollen und das Immer-besser-können-Wollen. Beides hängt mit der Selbstverwirklichung des Menschen zusammen, und zwar so, dass der Ausgang des Können-Wollens ungewiss ist und der Mensch erst im Versuchen und Wagen erfährt, was er kann. Aber er erfährt zugleich auch, was er nicht kann.

Erst im bis an die Grenze vordringenden Versuchen erfährt also der Mensch, was er ist. Der Mensch ist das, was er vermag.

Das jedem Können als Sorge gegenwärtige Nichtkönnen ist sowohl Mäßigung als auch Würze des Könnens. Daraus entspringt dem Menschen die Aufgabe, sich mit seinem Nichtkönnen auseinanderzusetzen. Er muss sein Maß finden, sich darin frei einzurichten und lernen, auf das Unerreichbare zu verzichten. Das bedeutet, dass der Mensch nie mit Sicherheit weiß, ob ihm das, was er zu können glaubt, auch gelingt. In jeder Handlung bleibt, auch wenn der Mensch sie noch so gut zu können glaubt, ein Wagnis, und das Gelingen hängt trotz aller Anstrengung nicht von ihm allein ab. Es muss noch etwas hinzukommen, das ihm geschenkt wird.

Um etwas wirklich zu können, müssen wir es uns erüben. Zwei Wesenszüge der Übung im eigentlichen und strengen Sinn heben sich dabei heraus.

  • Das eine ist ihr formaler Charakter. Die zu übende Leistung (zum Beispiel sich auf einen Meditationsgegenstand ausrichten zu können oder den Atem lang und fein werden zu lassen oder in einer Haltung Leichtigkeit und Stabilität zu erreichen, Anm. d. Redaktion) ist hier aus dem größeren Sinnzusammenhang herausgerissen. Es geht in der Übung nun lediglich um die Ausbildung bestimmter Fertigkeiten, die als solche allein eigentlich wenig Sinn ergeben. Sie gewinnen ihren Sinn erst aus dem größeren Zusammenhang, in dem sie eingesetzt werden. Deshalb kann während des Übens das Ziel, um dessen Willen man übt, leicht aus dem Auge verschwinden und sich Langeweile einstellen.
  • Der zweite Wesenszug der Übung im eigentlichen Sinn ist die Disziplin, unerbittliche Forderung, die an die Vollkommenheit der einzelnen Leistung gestellt ist. Hier hört das Spielerische auf, alles Sich-Begnügen mit dem Unbestimmten und Ungefähren, mit allem, was dem Menschen leicht und ohne besondere Anstrengung zufällt. Der Geist der Übung ist der unerbittliche Ernst, der nicht nachlässt, bis die Leistung fehlerfrei gelungen ist. Die Übung erfordert eine Härte gegen sich selbst. Sie verlangt eine strenge Disziplin. Zu ihr gehört unablösbar ein gewisser asketischer Zug; und nicht umsonst heißt Askese in der wörtlichen Übersetzung ganz einfach Übung. Vielleicht ist es dieser asketische Zug, die Notwendigkeit einer strengen Disziplin, die zur heute verbreiteten Abneigung gegen das Üben geführt oder doch wesentlich beigetragen hat.

Das Leben im Ganzen oder die Liebe zum Beispiel kann man nicht wirklich können. Von einem Können kann man nur dort sinnvoll sprechen, wo es ein Üben gibt. Das Üben im eigentlichen Sinn entsteht aber erst dort, wo der gewohnte Ablauf der Tätigkeiten durch ein auftretendes Unvermögen unterbrochen wird und jetzt die bestimmte Einzelleistung isolierend herausgehoben und zur Vollkommenheit gebracht werden muss.

Nur isolierte Einzelleistungen lassen sich üben und durch Üben zum Können bringen.

Und nur soweit dies geschieht, d. h. nur soweit es Übung im strengen Sinn gibt, kann man auch von einem Können im strengen Sinn sprechen. Es ist sinnlos, diesen Begriff auf das Ganze des Lebens oder auf Verhaltensweisen übertragen zu wollen, die, wie die Liebe, unmittelbar aus dem Ganzen des Lebens entspringen. Und wo man das trotzdem tut, da verfehlt man die Echtheit und Unmittelbarkeit des Lebens.

Virtuos, aber seelenlos

Aber auch dort, wo es sich um einzelne zu erbringende Leistungen handelt, ergibt sich eine entsprechende Gefahr. Denn in dem Augenblick, in dem das Können nicht mehr primär im Dienst einer übergeordneten Aufgabe steht, sondern als solches entwickelt und genossen wird, entsteht als Möglichkeit ein spielerischer Selbstgenuss, der sich von der Sache entfernt hat, um die es ursprünglich ging.

Je schwieriger eine Tätigkeit ist, desto größer die Kunstfertigkeit ist, die sie erfordert, umso größer ist die Gefahr eines leeren, seelenlos gewordenen Virtuosentums.

Diese Gefahr ist im Wesen des Könnens und damit im Wesen des Menschen und darum gar nicht zu vermeiden.

Umso wichtiger wird die Aufgabe, diese Gefahr in ehrlicher Auseinandersetzung zu bestehen. Die im Stolz auf das Gekonnte liegenden Gefahren führen zu der schwierigen Frage, in welcher Weise der Mensch überhaupt über das im Üben erworbene Können in der Folgezeit verfügen kann. Tatsächlich ist Können nicht als ein verfügbarer Besitz gegeben. Es erhält sich nur im immer wiederholten Üben. Es entgleitet wieder, es rostet gewissermaßen ein, wenn der Mensch es nicht durch tägliches Üben lebendig erhält.

Vorbedingung für den Erfolg des Übens

Das Üben führt nicht in allen Fällen in gleicher Weise zum Erfolg:

  • wo der Mensch zerstreut oder unaufmerksam ist
  • wo er seine Übungen nachlässig betreibt
  • wo er von schwerem Kummer belastet ist, von dem er sich in seinen Gedanken nicht losreißen kann
  • wo er vor freudiger Erwartung auf ein kommendes Ereignis zittert

Überall da ist das Üben sinnlos, weil es nicht zum Erfolg führen kann. Die Übung verlangt vielmehr die selbstvergessene Hingabe an das zu übende Tun, den nicht nachlassenden Willen, das Tun so gut wie möglich und bei jeder Wiederholung besser als das vorige Mal zu machen. Die Übung erfordert die Anspannung des ganzen Menschen. Aber umgekehrt würde auch eine zu große, krampfhafte Anspannung den Erfolg des Übens gefährden. Wo um jeden Preis ein Ergebnis erzwungen werden soll, bleibt dieses gerade aus, und zwar umso mehr, je verzweifelter sich der Mensch darum bemüht. Die im Üben erstrebte Leistung gelingt auf der anderen Seite nur in einer gelösten Seelenverfassung. Diese beiden Seiten, Anspannung und Gelöstheit, müssen sich verbinden, wenn das Üben zum richtigen Ergebnis führen soll.

Es ist ein Zustand stiller und gesammelter Heiterkeit, in der keine Sorge den Menschen beunruhigt und keine übermäßige Eile ihn vorantreibt. Nur in einem solchen ausgeglichenen Zustand kann der Mensch erfolgreich üben. Insbesondere verhindert auch ein zu hastiges Vorwärtsdrängen den Erfolg des Übens.

Wer richtig üben will, muss ganz in seinem Tun aufgehen und muss sich von seinem Rhythmus tragen lassen.

Er darf seine Arbeit natürlich nicht lässig betreiben, aber er darf ebenso wenig über sein Tun hinaus ständig auf das Ergebnis hinzielen und dieses in möglichst kurzer Zeit zu erreichen suchen. Er muss sich im Zustand größter Gelassenheit befinden, die im gegenwärtigen Augenblick ruht und, weil sie ihrer sicher ist, sich auch im Üben die nötige Zeit nehmen kann.

Üben schafft seine eigenen Voraussetzungen

Es sind also sehr gewichtige und schwer zu erfüllende Voraussetzungen, die an das richtige Üben gestellt sind, und es ergibt sich die Frage, wie unter diesen Bedingungen ein erfolgreiches Üben überhaupt zustande kommen kann.

Wer von der Unruhe des täglichen Lebens umgetrieben wird oder gar von schwerem Leid bedrückt ist, kann selbst dann, wenn er sich ernsthaft bemüht, nicht die Voraussetzungen erfüllen, die für ein sinnvolles Üben erfüllt sein müssen, und wird darum schwer zu einem befriedigenden Erfolg gelangen.

So scheint der Erfolg des Übens nicht in der Macht des Menschen zu stehen, sondern von zufällig vorhandenen günstigen oder ungünstigen Umständen abzuhängen. Das ist nun glücklicherweise nicht der Fall.

Vielmehr zeigt sich die paradoxe Situation, dass das Üben, wenn es mit einem Minimum an gutem Willen erst einmal begonnen ist, schrittweise von sich aus die Vorbedingungen schafft, derer es zu seinem Gelingen bedarf.

Fritz Loser ein deutscher Pädagoge, den Bollnow hier zitiert, Anm. d. Redaktion hat dies in einem Aufsatz über das Üben im Unterricht sehr klar herausgearbeitet:

Wenn vom Schüler die Konzentration auf seine Übungen gefordert wird, so ist diese Konzentration nicht einfach die Vorbedingung, die erfüllt sein muss, ehe er mit seinem Üben beginnen kann. Vielmehr bildet sie sich erst und wächst im Üben. Üben fördert die Konzentration. Nur die Umkehrung des traditionellen Begründungszusammenhangs zwischen Konzentration und Übung lässt eine bislang nur wenig beachtete pädagogische Bedeutung der Übung erkennen. Sie besteht darin, dass sie ihre Voraussetzungen nicht nur akzeptiert und sich an ihnen ausrichtet, sondern diese selbst zuallererst mit hervorbringt. Offenbar ist die Konzentration nicht nur Voraussetzung einer sinnvollen Übungspraxis. Vielmehr ist sie auch eine Funktion der Übung, zumindest aber ist sie der Übung zugänglich. Dabei ist die durch das Üben hervorgebrachte Konzentration nicht auf den einzelnen, konkreten Fall beschränkt. Sie wirkt sich darüber hinaus auch für die Zukunft aus als gesteigerte Konzentrationsfähigkeit. Konzentration kann so als „übbar“ beschrieben werden; denn damit ist die Konzentrationsfähigkeit ein Können, das durch Üben hervorgebracht und erhalten wird. Das ist ein Ansatz von fundamentaler Bedeutung. Man übt in diesem Fall nicht nur mit dem Ziel, eine bestimmte Fertigkeit zu erreichen, sondern auch und vielleicht sogar in erster Linie, um eine bestimmte innere Verfassung zu erlangen, nämlich die Konzentration der Aufmerksamkeit. Und es scheint darüber hinaus so, dass diese innere Verfassung, die auf dem direkten Wege vorsätzlich nicht herbeigeführt werden kann, auf dem Umweg über die Übung trotzdem erreichbar wird. Durch ein Üben, das man bewusst anstellen kann, also durch ein äußeres Tun.

In diesem Sinne erklärt Loser, dass die Konzentration „der natürlichen Zerstreuung durch äußere Übungen und Exerzitien abgerungen werden kann.“

Gelöstheit

Aus einer östlichen Übungstradition, dem japanischen Zen, können wir lernen, dass man an das Üben als Mittelpunkt eines ganzen Übungsweges einen umfassenden Anspruch stellen kann. In der Übungspraxis geht es nunmehr um eine radikale, den Menschen in seinem innersten Kern ergreifende Wandlung. Die Übung gewinnt damit eine Schlüsselstellung bei der Verwirklichung des wahren Menschseins.

Weil es sich im Zen in der Überwindung der alltäglichen Betriebsamkeit und Zerstreutheit, um einen letztlich religiös zu verstehenden Vorgang handelt, wird das Üben selbst so in einen religiösen Zusammenhang hineingenommen und erhält von diesem her seinen tieferen Sinn. So begreifen wir, dass es vorwiegend der Zen-Buddhismus gewesen ist, durch den in Japan die Kultur des Übens zu einer Entfaltung gekommen ist, die nachdenkliche Europäer in ihren Bann gezogen hat.

Aber der besondere religiöse Untergrund, aus dem diese Übungen im japanischen Kulturbereich hervorgegangen sind, kann hier nicht weiter verfolgt werden. Hier geht es allein darum, was wir für unsere europäischen Verhältnisse aus der japanischen Übungstradition lernen können.

Dass wir die japanischen Übungsformen nicht einfach auf unsere Kultur übernehmen können, ist selbstverständlich. Dazu sind sie zu sehr in der besonderen japanischen Überlieferung verwurzelt, und jeder Versuch einer direkten Übertragung behielte etwas Künstliches und letztlich Unverbindliches. Wir müssen vielmehr fragen, ob nicht in den japanischen Übungsformen eine allgemeine Einsicht in die anthropologische Funktion der Übung enthalten ist, die sich aus ihnen als auch für uns gültig herausarbeiten lässt.

Und wir können hoffen, dass an dem dort zur letzten Vollkommenheit durchgebildeten Beispiel unser eigenes Verständnis des Übens geklärt und genauer bestimmt werden kann. Im Kontext abendländischer Betrachtung eines den ganzen Menschen erfassenden Ziels von Üben soll uns der Begriff der Gelöstheit weiterhelfen.

Gelöstheit, die im richtigen Üben erfahren wird, beinhaltet nicht nur das Lösen körperlicher oder seelischer Verkrampfungen. Vielmehr löst sich der Mensch dabei von seiner Selbstbezogenheit und beengenden Anhaftungen. Eine so verstandene Gelöstheit ist also keineswegs das Versinken in bloßer Passivität.

Sie steht nicht im Gegensatz zum Tun, sondern ist eine Weise des Tuns selber. Sie ist ein gesammeltes Tun, das, ohne verkrampft zu sein, ohne hastig der Zukunft entgegen zu drängen, ganz im gegenwärtigen Tun aufgeht.

Man könnte in einer paradox scheinenden und doch die Sache völlig treffenden Formel von einer gesammelten Gelöstheit oder einer gelösten Sammlung sprechen.

Innere Freiheit

Wir können, was in der Gelöstheit zunächst negativ, nämlich als Ablösung von etwas gefasst ist, positiv auch als Freiheit, genauer als innere Freiheit bestimmen; denn alle Freiheit ist doch die Lösung von einem – äußeren oder inneren – Zwang. Wir können daher hoffen, im Begriff der Freiheit den in der Übung sich vollziehenden Wandlungsprozess von einer anderen Seite her in den Blick zu bekommen und dadurch schärfer zu bestimmen.

Innere Freiheit ist das Gefühl des Einklangs des Menschen mit den Bedingtheiten seiner Situation.

Hierbei bedeutet die Situation als äußere und als innere Situation die Gesamtheit der Gegebenheiten, zu denen sich der Mensch jeweils verhalten kann. Das sind ebenso sehr die äußeren Lebensumstände, seine Abhängigkeit von den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen, wie auch die Abhängigkeit von der Natur, in deren gesetzmäßigen Zusammenhang der Mensch durch seinen Leib eingebettet ist, durch die ihm gegebenen wie auch die ihm versagten Anlagen und Fähigkeiten. Das ist eine Abhängigkeit, wie sie ihm durch Krankheit, Alter und bevorstehenden Tod schmerzhaft in Erinnerung gebracht wird. Es ist aber ebenso sehr seine eigene Seele, die, wie zuvor besprochen, mit ihren Trieben und Leidenschaften einen Zwang auf ihn ausübt.

Freiheit kann nun nicht bedeuten, dass der Mensch sich von all diesen Abhängigkeiten und diesen Zwängen befreit. Das ist unmöglich, und jeder verzweifelte Versuch der Auflehnung führt nur zu neuen Spannungen.

Einklang von Wollen und Können

Innere Freiheit bedeutet vielmehr, im Einklang mit seinen Verhältnissen zu leben.

Diese Forderung hat zwei Seiten, eine nach außen und eine nach innen gerichtete. Einerseits kann der Mensch den gesuchten Einklang dadurch herstellen, dass er die Umwelt, in der er lebt, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu einer ihm gemäßen Welt formt und die beengenden Umstände, in denen er sich vorfindet, so weit wie nur möglich zu seinen Gunsten verändert. Aber dabei stößt er bald auf seine Grenzen.

Seine Lebensbedingungen lassen sich nur in einem sehr beschränkten Umfang beeinflussen. Darum muss sich seine Aufmerksamkeit auf ihn selbst zurückwenden, und soweit der Mensch nicht seine Verhältnisse ändern kann, muss er sich selbst so ändern, dass er sich in Einklang mit seinen Verhältnissen setzt.

Der Mensch fühlt sich innerlich frei, wenn er sich und seine Verhältnisse so aneinander angepasst hat, dass er diese Verhältnisse nicht mehr als Druck empfindet, unter dem er zu leiden hat, sondern sich in ihnen wohlfühlt wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser.

Gelassenheit

Die eine Seite der inneren Freiheit besteht also in dem Bewusstsein, nicht durch äußere Umstände in der eigenen Bewegungsfreiheit beengt zu sein. Weil aber die Umstände nur zum geringen Teil vom Menschen abhängig sind, gewinnt die andere Seite an Wichtigkeit: die notwendige Veränderung im Menschen selbst, durch die er sich in Einklang mit den Umständen zu setzen vermag.

Wir können dies den Verzicht auf den Eigenwillen bezeichnen. Das bedeutet aber keineswegs den Verzicht auf den Willen überhaupt, sondern nur die Reinigung des Willens von seiner störenden Selbstbezogenheit.

Der Begriff Ichlosigkeit wäre in diesem Zusammenhang allein dann sinnvoll gebraucht, wenn er sich nur auf das kleine Alltags-Ich mit all seinen kleinlichen Sorgen und Empfindlichkeiten bezieht.

An deren Stelle tritt der lebendig erfahrene Einklang mit einem größeren Ganzen, dem großen Leben oder wie auch immer man es sonst benennen mag. Den dabei erreichten Zustand bezeichnen wir am besten mit dem Wort Gelassenheit. ▼

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