Vinyāsas – Teil II

Ging es im 1. Teil um Grundsätzliches wie den Atem und Anpassungen in Bezug auf Vinyāsa aus dem Stand, führt der 2. Teil dies fort und ergänzt die Ausführungen um Vinyāsa aus dem Fersensitz und dem Liegen. Überdies werden einige allgemeine Tipps gegeben, die unterstützen können, die Praxis von Vinyāsa zu verbessern.

Vinyāsas – Teil II

Ging es im 1. Teil um Grundsätzliches wie den Atem und Anpassungen in Bezug auf Vinyāsa aus dem Stand, führt der 2. Teil dies fort und ergänzt die Ausführungen um Vinyāsa aus dem Fersensitz und dem Liegen. Überdies werden einige allgemeine Tipps gegeben, die unterstützen können, die Praxis von Vinyāsa zu verbessern.

Vinyāsas – Teil II

Ging es im 1. Teil um Grundsätzliches wie den Atem und Anpassungen in Bezug auf Vinyāsa aus dem Stand, führt der 2. Teil dies fort und ergänzt die Ausführungen um Vinyāsa aus dem Fersensitz und dem Liegen. Überdies werden einige allgemeine Tipps gegeben, die unterstützen können, die Praxis von Vinyāsa zu verbessern.

Einige Tipps vorweg

Einige Tipps, die helfen können, die Praxis von Vinyāsa zu verbessern. Das Erlernen längerer Sequenzen benötigt Geduld und ein gutes Verständnis der in dem jeweiligen Ablauf benutzten Āsana.

Atem – der Atem sollte durch die Bewegungsabläufe eines Vinyāsa nicht in Hetze oder Bedrängnis geraten. Es kann in jeder Position zwischengeatmet werden. Bleibt der Atem trotzdem kurz und ungleichmäßig, sollte nach einer Variante im Ablauf oder der gewählten Āsana gesucht werden.

Atem und Bewegung – In einem Vinyāsa wird die Atembewegung nie einer Körperbewegung ge­opfert. Jede Veränderung oder Ergänzung einer Āsanasequenz sollte so gestaltet sein, dass sie mit dem Aufeinanderfolgen von Ein- und Ausatmung harmoniert.

Zeit lassen – Ein komplexer Ablauf von Āsana verlangt viel Körperverständnis, Bewegungsgefühl, Atemqualität und Aufmerksamkeit. Bei zu schnellem Voranschreiten im Lernen solcher Sequenzen schleifen sich schnell falsche/unpassende Bewegungsmuster ein, die schwer wieder zu korrigieren sind.

Jede Position eines Vinyāsas ist ein Āsana – Keine Position ist nur der Übergang zur Nächsten. Durchhuschen oder Durchmogeln ist nicht sinnvoll. Jede Haltung steht für sich und ist von ihrem Konzept als Āsana definiert. Das beinhaltet auch eine klare Vorstellung davon, wie es aussieht und sich anfühlt, wenn die für eine Person „richtige“ Haltung erreicht wird.

Wiederholungen – Es gibt keine Regeln, wie oft ein Vinyāsa wiederholt werden sollte. Es wird einen großen Unterschied, ob es darum geht ein Vinyāsa überhaupt zu üben, es zum Aufwärmen für eine weitere Āsanapraxis zu nutzen oder als einzige Körperübung vor einem Prāṇāyāma zu üben.

Schritte – Beinschritte werden zügig, aber ohne Hast in der jeweiligen Atempause gesetzt. Auf dem Rückweg (Abb. 1b) beim Schritt nach vorn kann das gleiche Bein bewegt werden, wie auf dem Hinweg (Abb. 1a) nach hinten; so wird vīrabhadrāsana zu beiden Seiten innerhalb einer Runde geübt. Ein Umsetzen der Hände geschieht in den Atempausen (Abb. 1c), ebenso wird in der Atempause gesprungen (Abb. 1d).

Tipps zum Üben von Vinyāsa
Abb. 1

Konzepte und Tradition

Vom Konzept und der Tradition dieser Vinyāsa unterscheiden sich Bewegungsabfolgen, die ebenfalls in Indien zu finden sind und von dort den Weg in den Westen gefunden haben. Anders als die aus dem Yoga heraus entwickelten Vinyāsa sind diese Abfolgen im Zusammenhang mit bestimmten religiösen Ritualen entstanden und beziehen von dort auch ihre besonderen Inhalt und ihre Bedeutung.

Heute trifft dies immer weniger zu, aber vor ein oder zwei Generationen war in Indien tatsächlich schon jedem kleinen Kind ein Bewegungsablauf bekannt, mit dem einer Gottheit, einem heiligen Ort oder Gegenstand, einem besonderen Lehrer Respekt oder Hingabe erwiesen wurde. Die Niederwerfung, deren Schritte festgelegt sind und die – jedenfalls was die Männer angeht – immer im Stehen beginnt. Diese den Vinyāsa ähnliche Ausgangsposition folgt aber keine Abfolge von Āsana. Auch ist der in diesen Niederwerfungen gewählte Bewegungsablauf sehr viel weniger anspruchsvoll. Dies gilt einmal gegenüber der in einem Vinyāsa in sehr viel höherem Maß verlangte Achtsamkeit für die einzelnen Postionen und Bewegungen. Es gilt auch gegenüber der für Vinyāsa wesentlichen Verbindung von Atem und Bewegung.

Traditionell praktizieren in Indien Männer und Frauen die Niederwerfung in unterschiedlichen Formen. Frauen beugen sich von der Hocke aus – die Fersen berühren dabei nicht den Boden – nach vorn auf die Knie und kommen dann wieder zurück in die Hocke (Abb. 2).

Niederwerfung Frauen in Indien traditionell
Abb. 2

Männer beginnen dagegen im Stehen und liegen schließlich flach auf dem Bauch am Boden, die Arme sind dabei nach vorn gestreckt, die Handflächen liegen aneinander (Abb. 3).

Niederwerfung Männer in Indien traditionell
Abb. 3

Diese Abfolge ist auch Grundlage für einen Bewegungsablauf, der sich in einem weitverbreiteten morgendlichen Ritual der Rezitation eines Gebetes zur Sonne – dem sogenannten Gāyatrī – anschließt. Dabei wird zuerst der Körper im Stehen in alle vier Himmelsrichtungen gewandt. Dann folgt eine Vorbeuge hin zur Richtung der aufgehenden Sonne. Als Geste der Bescheidenheit, die sich selbst keine Bedeutung zumisst, werden dabei beide Ohren von den Handflächen geschlossen. Erst jetzt nennt der/die Praktizierende der Sonne seinen Namen. Der Grund für die geschlossenen Ohren: Das Hören des eigenen Namens könnte sein Ego ungebührlich steigern. Mit derselben Geste stellte sich in alten Zeiten auch Schüler ihrem Lehrer vor. Danach warf er sich ihm in gleicher Weise zu Füßen.

Dann folgt schließlich eine Niederwerfung hin zur aufgehenden Sonne (Abb. 4). Die Position der Niederwerfung am Boden selbst wird sāśtāṅga genannt sa = mit | aśta = acht | aṅga = Glieder. Mit acht Gliedern am Boden.. Wie so oft in der indischen Tradition gibt es sehr verschiedene Interpretationen, was mit diesen acht Gliedern eigentlich gemeint ist. Manchmal etwa beide Beine, beide Arme, der Körper, der Kopf am Boden und als Achtes die beiden Ohren. Oder neben den Beinen, Händen und dem Körper als sechstes Glied buddhi, die Erkenntnisfähigkeit, als siebtes das ahaṁkara, die „Individualität“ und als achtes manas, der Geist.

Niederwerfung Männer in Indien traditionell
Abb. 4

Die Niederwerfung im indischen Ritual erfuhr sowohl regional als auch in unterschiedlichen religiösen Strömungen immer wieder Veränderungen. Im Westen wurde eine recht moderne Abwandlung am bekanntesten, die schließlich als Gruß an die Sonne sūrya namaskār in der Āsanapraxis Eingang gefunden hat.Auch wenn es auf einen ersten Blick nicht so erscheinen mag. Dieser Sonnengruß unterscheidet sich sowohl im Grundkonzept als auch im Detail von den hier vorgestellten Vinyāsa deutlich.

Vinyāsa sind nichts anderes als ein Aspekt der Praxis von Āsanas und beziehen von dort ihre Haltungen und die Konzepte zur praktischen Ausführung der einzelnen Bewegungen.

Anders der Gruß an die Sonne. Dieser Unterschied zeigt sich zum Beispiel in der Schwierigkeit, im Sonnengruß den Atem in gleicher Weise zu führen, wie dies in jeder Āsanasequenz möglich ist. Ebenso spielt sāśtāṅga, die Haltung der Niederwerfung, in der Praxis von Āsanas keine Rolle.

Sonnenruß Yoga
Abb. 5

In der bekanntesten Variante des Grußes an die Sonne wird aber eine Übung (Abb. 5 und 6) vorgeschlagen, die der Haltung einer Niederwerfung zumindest ähnlich sieht.

Niederwerfung im sūrya namaskār
Abb. 6

Will man den hier dargestellten Konzepten von Āsana treu bleiben, zeigt sich schnell, dass einige der Bewegungen und Positionen des üblichen Sonnen­grußes damit schwer zu vereinbaren sind. Da ist etwa die Körperhaltung nach dem ersten Schritt (Abb. 7).

Sonnengruß und vīrabhadrāsana
Abb. 7

Nur bei großer Beweglichkeit kann es gelingen, den Rücken in dieser Position in eine wirkliche Rückbeuge zu bringen. Meist bleibt der Rücken rund und stattdessen wird der Nacken umso mehr in eine ungesunde Spannung gebracht (Abb. 8).

Probleme Nacken im vīrabhadrāsana
Abb. 8

Als Āsana viel klarer und als Rückbeuge viel einfacher ist dagegen eine Variante von vīrabhadrāsana, die aus vielen Vinyāsa vertraut ist (Abb. 9). Sie ist einfach, eindeutig und intensiv als Rückbeuge erfahrbar, mit mehr Möglichkeiten zu variieren und Anpassung. Das Knie am Boden gibt der Haltung außerdem mehr Stabilität. Durch Strecken des hinteren Beines kann die Anforderung des Āsana in Richtung Gleichgewicht erhöht werden.

Vīrabhadrāsana
Abb. 9

Ebenso schwierig ist der Weg von der Stützposition in Abb. 7 über sāśtāṅga zur Rückbeuge in der Bauchlage (Abb. 10).

Sonnengruß und sāśtāṅga
Abb. 10

Einatmen oder Ausatmen? Oder den Atem anhalten? Wenn der Weg zum Boden (a) als Bewegung in die Rückbeuge zu einer Einatmung einlädt, wie dann im nächsten Schritt (b) atmen, wo sich die Rückbeuge noch verstärkt? Und dann ist da noch die Haltung sāśtāṅga selbst. Als Āsana betrachtet, ist es nicht einfach, hier Vorzüge auszumachen. Die Rückbeuge bietet durch den Brustkorb am Boden kaum Freiheit, eine sinnvolle Haltung für den Kopf ist schwer zu finden. Entweder liegt das Kinn am Boden und zwingt den Nacken in eine übermäßige Rückbeuge, oder der Nacken wird stark gedehnt, um die Stirn an den Boden zu bringen. Jetzt muss aber zusätzlich der Kopf gehalten werden, damit er mit seinem Gewicht nicht zu sehr auf das Gesicht drückt.

Es ist nicht schwer, diese und noch andere Unklarheiten zu vermeiden, wenn der Sonnengruß durch eine Sequenz ersetzt wird, in der Āsanas in einer gut aufgebauten Abfolge angeordnet werden. Dem Bewegungsablauf des üblichen Sonnengrußes verwandt wären etwa folgende beiden Vinyāsas. Die Sequenz in Abb. 11 als die forderndere und kürzere.

Alernative zum Sonnengruß
Abb. 11

Die Sequenz in Abb. 12 ist einfacher im Übergang von adhomukha śvānāsana zum bhujaṅgāsana, allerdings auch einige Atemzüge länger.

Alernative zum Sonnengruß
Abb. 12

Ganz nebenbei wird in diesen Abfolgen auch eine Haltung vermieden, die mit dem Sonnengruß Verbreitung fand und sich hauptsächlich dadurch auszeichnet, dass sie den unteren Rücken ungesund belastet. Es ist das erste Armheben, in dem der Oberkörper oft weit nach hinten gebeugt wird. Die Folge: viel und schädlicher Druck auf die Wirbelgelenke ebenso wie die Bandscheiben und die Entstehung einer Fehlspannung in der Muskulatur des unteren Rückens (Abb. 13a). Gleichzeitig führt diese Haltung zu einer sehr starken Einschränkung der Möglichkeiten, den Brustkorb für einen tiefen Atem zu weiten. Mehr Bewegung im Brustraum und weniger unnötiger Stress für Bandscheiben und Rückenmuskulatur bringen hingegen die Alternativen in Abb. 13b oder c.

Alternativen für Standposition im Sonnengruß
Abb. 13

Weitere Variationsmöglichkeiten

Über die hier vorgestellten hinaus gibt es unzählige weitere Möglichkeiten, den Ablauf von Āsanaabfolgen zu ergänzen und zu variieren. Als Anregung zur Erkundung dieser Vielfalt hier noch einige interessante Varianten. So ist es unter anderem möglich, aus dem Stand zum adhomukha śvānāsana über einen Schritt nach hinten ins vīrabhadrāsana zu gelangen (Abb. 14).

Variante: So ist es möglich, aus dem Stand zum adhomukha śvānāsana über einen Schritt nach hinten ins vīrabhadrāsana zu gelangen.
Abb. 14

Selbstverständlich können auch Āsana eingefügt werden, die besondere Anforderungen an Kraft, Koordination und Beweglichkeiten stellen (Abb. 15 und 16).

Ein Vinyāsa mit adhomukha śvānāsana, vasiṣṭhasana und bhujaṅgāsana.
Abb. 15
Forderndes Vinyāsa
Abb. 16

Ergänzende Techniken

  • Ujjayī – Die Praxis von Vinyāsa wird häufig mit bestimmten Atemtechniken verbunden. Traditionellerweise wird sowohl bei der Ein- als auch bei der Ausatmung die Technik des Ujjayī benutzt. Dadurch verlängert sich der Atem und die Bewegungen werden langsamer, allerdings auch fordernder. Richtig angewandt, gibt Ujjayī dem Atem außerdem eine große Gleichmäßigkeit und Feinheit, was eine hohe Qualität der einzelnen Haltungen und aller Bewegungen verlangt.
  • Śītālī oder sītkārī – Einatmung über die gerollte Zunge oder durch die nur leicht geöffnete Zahnreihe, lassen sich einfach mit den Bewegungsabläufen der hier beschriebenen Vinyāsa verbinden.
  • Atemverhältnisse – Traditionell ebenfalls üblich war es, für die Āsanaabfolgen ganz bestimmte Atemverhältnisse festzulegen. Beispielsweise so, dass alle Aus- und Einatmungen von gleicher Länge sind. Oder die Ausatmung ist immer doppelt so lang wie die Einatmung.
  • Atemverhaltungen – Häufig genutzt wird auch die Möglichkeit nach der Einatmung, der Ausatmung oder beiden Atemphasen den Atem kurz anzuhalten. Das verlangt nicht nur einen sehr bewussten Umgang mit dem Atem, sondern bringt auch eine neue Qualität in den Rhythmus der Bewegung durch ein verlängertes Halten der einzelnen Positionen.
  • Rezitationen – Die Ausatmung lässt sich auch mit rezitierten Silben oder Sätzen, mit Mantras verbinden. Auch diese Technik wurde in der Tradition häufig benutzt und bringt auch heute noch interessante neue Aspekte in die Praxis von Āsanaabfolgen. Werden Silben oder Sätze nicht laut, sondern nur mental, innerlich rezitiert, kann auch die Einatmung damit verbunden werden.
  • Statik – Ebenso lassen sich Vinyāsa auch in Richtung von Statik verändern. So können einzelne Āsana betont werden, indem sie für ein oder mehrere Atemzüge gehalten werden. Ebenso ändert sich der Charakter des Vinyāsa, wenn in jedem Āsana für ein oder zwei Atemzüge statisch verweilt wird. Auch kann es beim Erlernen komplexerer Bewegungsabläufe eine große Hilfe sein, wenn in jeder Position ein oder mehrmals zwischen geatmet wird, bevor es zur nächsten Position geht.

Vinyāsas, die im vajrāsana beginnen

Neben dem Stand eignet sich auch vajrāsana Fersensitz und seine Variante, der Kniestand als Ausgangshaltung für eine Vielzahl von Vinyāsa. Die einfachste Abfolge führt in eine Variation von cakravākāsana Vierfüßlerstand .(Abb. 17)

Vinyāsa vom vajrāsana zu cakravākāsana
Abb. 17

Von dort aus könnten alle Wege eingeschlagen werden, die in den bisher vorgestellten Abläufen bereits beschrieben wurden (Abb. 19).

Vinyāsa vom vajrāsana zu cakravākāsana und weiter ...
Abb. 19

Als Ausgangsposition kann auch vajrāsana selbst gewählt werden, um aus der Vorbeuge direkt weiter zum bhujaṅgāsana zu gelangen (Abb. 20).

Als Ausgangsposition kann auch vajrāsana selbst gewählt werden um aus der Vorbeuge direkt weiter zum bhujaṅgāsana zu gelangen
Abb. 20

Vinyāsas, die in der Rückenlage beginnen

Als letztes Beispiel für die Möglichkeit, die verschiedensten Āsana zu längeren Sequenzen miteinander zu verbinden, ist eine der vielen Abfolgen, die die Rückenlage als Ausgangsposition nehmen (Abb. 21).

Ein Vinyāsa mit der Rückenlage als Ausgangsposition
Abb. 21

Solche Reihen lassen sich vielfältig verändern und ergänzen, beispielsweise wie in Abb. 22 abschließend gezeigt.

Ein Vinyāsa mit der Rückenlage als Ausgangsposition
Abb. 22

Dieser Artikel ist ursprünglich
erschienen in

Einige Tipps vorweg

Einige Tipps, die helfen können, die Praxis von Vinyāsa zu verbessern. Das Erlernen längerer Sequenzen benötigt Geduld und ein gutes Verständnis der in dem jeweiligen Ablauf benutzten Āsana.

Atem – der Atem sollte durch die Bewegungsabläufe eines Vinyāsa nicht in Hetze oder Bedrängnis geraten. Es kann in jeder Position zwischengeatmet werden. Bleibt der Atem trotzdem kurz und ungleichmäßig, sollte nach einer Variante im Ablauf oder der gewählten Āsana gesucht werden.

Atem und Bewegung – In einem Vinyāsa wird die Atembewegung nie einer Körperbewegung ge­opfert. Jede Veränderung oder Ergänzung einer Āsanasequenz sollte so gestaltet sein, dass sie mit dem Aufeinanderfolgen von Ein- und Ausatmung harmoniert.

Zeit lassen – Ein komplexer Ablauf von Āsana verlangt viel Körperverständnis, Bewegungsgefühl, Atemqualität und Aufmerksamkeit. Bei zu schnellem Voranschreiten im Lernen solcher Sequenzen schleifen sich schnell falsche/unpassende Bewegungsmuster ein, die schwer wieder zu korrigieren sind.

Jede Position eines Vinyāsas ist ein Āsana – Keine Position ist nur der Übergang zur Nächsten. Durchhuschen oder Durchmogeln ist nicht sinnvoll. Jede Haltung steht für sich und ist von ihrem Konzept als Āsana definiert. Das beinhaltet auch eine klare Vorstellung davon, wie es aussieht und sich anfühlt, wenn die für eine Person „richtige“ Haltung erreicht wird.

Wiederholungen – Es gibt keine Regeln, wie oft ein Vinyāsa wiederholt werden sollte. Es wird einen großen Unterschied, ob es darum geht ein Vinyāsa überhaupt zu üben, es zum Aufwärmen für eine weitere Āsanapraxis zu nutzen oder als einzige Körperübung vor einem Prāṇāyāma zu üben.

Schritte – Beinschritte werden zügig, aber ohne Hast in der jeweiligen Atempause gesetzt. Auf dem Rückweg (Abb. 1b) beim Schritt nach vorn kann das gleiche Bein bewegt werden, wie auf dem Hinweg (Abb. 1a) nach hinten; so wird vīrabhadrāsana zu beiden Seiten innerhalb einer Runde geübt. Ein Umsetzen der Hände geschieht in den Atempausen (Abb. 1c), ebenso wird in der Atempause gesprungen (Abb. 1d).

Tipps zum Üben von Vinyāsa
Abb. 1

Konzepte und Tradition

Vom Konzept und der Tradition dieser Vinyāsa unterscheiden sich Bewegungsabfolgen, die ebenfalls in Indien zu finden sind und von dort den Weg in den Westen gefunden haben. Anders als die aus dem Yoga heraus entwickelten Vinyāsa sind diese Abfolgen im Zusammenhang mit bestimmten religiösen Ritualen entstanden und beziehen von dort auch ihre besonderen Inhalt und ihre Bedeutung.

Heute trifft dies immer weniger zu, aber vor ein oder zwei Generationen war in Indien tatsächlich schon jedem kleinen Kind ein Bewegungsablauf bekannt, mit dem einer Gottheit, einem heiligen Ort oder Gegenstand, einem besonderen Lehrer Respekt oder Hingabe erwiesen wurde. Die Niederwerfung, deren Schritte festgelegt sind und die – jedenfalls was die Männer angeht – immer im Stehen beginnt. Diese den Vinyāsa ähnliche Ausgangsposition folgt aber keine Abfolge von Āsana. Auch ist der in diesen Niederwerfungen gewählte Bewegungsablauf sehr viel weniger anspruchsvoll. Dies gilt einmal gegenüber der in einem Vinyāsa in sehr viel höherem Maß verlangte Achtsamkeit für die einzelnen Postionen und Bewegungen. Es gilt auch gegenüber der für Vinyāsa wesentlichen Verbindung von Atem und Bewegung.

Traditionell praktizieren in Indien Männer und Frauen die Niederwerfung in unterschiedlichen Formen. Frauen beugen sich von der Hocke aus – die Fersen berühren dabei nicht den Boden – nach vorn auf die Knie und kommen dann wieder zurück in die Hocke (Abb. 2).

Niederwerfung Frauen in Indien traditionell
Abb. 2

Männer beginnen dagegen im Stehen und liegen schließlich flach auf dem Bauch am Boden, die Arme sind dabei nach vorn gestreckt, die Handflächen liegen aneinander (Abb. 3).

Niederwerfung Männer in Indien traditionell
Abb. 3

Diese Abfolge ist auch Grundlage für einen Bewegungsablauf, der sich in einem weitverbreiteten morgendlichen Ritual der Rezitation eines Gebetes zur Sonne – dem sogenannten Gāyatrī – anschließt. Dabei wird zuerst der Körper im Stehen in alle vier Himmelsrichtungen gewandt. Dann folgt eine Vorbeuge hin zur Richtung der aufgehenden Sonne. Als Geste der Bescheidenheit, die sich selbst keine Bedeutung zumisst, werden dabei beide Ohren von den Handflächen geschlossen. Erst jetzt nennt der/die Praktizierende der Sonne seinen Namen. Der Grund für die geschlossenen Ohren: Das Hören des eigenen Namens könnte sein Ego ungebührlich steigern. Mit derselben Geste stellte sich in alten Zeiten auch Schüler ihrem Lehrer vor. Danach warf er sich ihm in gleicher Weise zu Füßen.

Dann folgt schließlich eine Niederwerfung hin zur aufgehenden Sonne (Abb. 4). Die Position der Niederwerfung am Boden selbst wird sāśtāṅga genannt sa = mit | aśta = acht | aṅga = Glieder. Mit acht Gliedern am Boden.. Wie so oft in der indischen Tradition gibt es sehr verschiedene Interpretationen, was mit diesen acht Gliedern eigentlich gemeint ist. Manchmal etwa beide Beine, beide Arme, der Körper, der Kopf am Boden und als Achtes die beiden Ohren. Oder neben den Beinen, Händen und dem Körper als sechstes Glied buddhi, die Erkenntnisfähigkeit, als siebtes das ahaṁkara, die „Individualität“ und als achtes manas, der Geist.

Niederwerfung Männer in Indien traditionell
Abb. 4

Die Niederwerfung im indischen Ritual erfuhr sowohl regional als auch in unterschiedlichen religiösen Strömungen immer wieder Veränderungen. Im Westen wurde eine recht moderne Abwandlung am bekanntesten, die schließlich als Gruß an die Sonne sūrya namaskār in der Āsanapraxis Eingang gefunden hat.Auch wenn es auf einen ersten Blick nicht so erscheinen mag. Dieser Sonnengruß unterscheidet sich sowohl im Grundkonzept als auch im Detail von den hier vorgestellten Vinyāsa deutlich.

Vinyāsa sind nichts anderes als ein Aspekt der Praxis von Āsanas und beziehen von dort ihre Haltungen und die Konzepte zur praktischen Ausführung der einzelnen Bewegungen.

Anders der Gruß an die Sonne. Dieser Unterschied zeigt sich zum Beispiel in der Schwierigkeit, im Sonnengruß den Atem in gleicher Weise zu führen, wie dies in jeder Āsanasequenz möglich ist. Ebenso spielt sāśtāṅga, die Haltung der Niederwerfung, in der Praxis von Āsanas keine Rolle.

Sonnenruß Yoga
Abb. 5

In der bekanntesten Variante des Grußes an die Sonne wird aber eine Übung (Abb. 5 und 6) vorgeschlagen, die der Haltung einer Niederwerfung zumindest ähnlich sieht.

Niederwerfung im sūrya namaskār
Abb. 6

Will man den hier dargestellten Konzepten von Āsana treu bleiben, zeigt sich schnell, dass einige der Bewegungen und Positionen des üblichen Sonnen­grußes damit schwer zu vereinbaren sind. Da ist etwa die Körperhaltung nach dem ersten Schritt (Abb. 7).

Sonnengruß und vīrabhadrāsana
Abb. 7

Nur bei großer Beweglichkeit kann es gelingen, den Rücken in dieser Position in eine wirkliche Rückbeuge zu bringen. Meist bleibt der Rücken rund und stattdessen wird der Nacken umso mehr in eine ungesunde Spannung gebracht (Abb. 8).

Probleme Nacken im vīrabhadrāsana
Abb. 8

Als Āsana viel klarer und als Rückbeuge viel einfacher ist dagegen eine Variante von vīrabhadrāsana, die aus vielen Vinyāsa vertraut ist (Abb. 9). Sie ist einfach, eindeutig und intensiv als Rückbeuge erfahrbar, mit mehr Möglichkeiten zu variieren und Anpassung. Das Knie am Boden gibt der Haltung außerdem mehr Stabilität. Durch Strecken des hinteren Beines kann die Anforderung des Āsana in Richtung Gleichgewicht erhöht werden.

Vīrabhadrāsana
Abb. 9

Ebenso schwierig ist der Weg von der Stützposition in Abb. 7 über sāśtāṅga zur Rückbeuge in der Bauchlage (Abb. 10).

Sonnengruß und sāśtāṅga
Abb. 10

Einatmen oder Ausatmen? Oder den Atem anhalten? Wenn der Weg zum Boden (a) als Bewegung in die Rückbeuge zu einer Einatmung einlädt, wie dann im nächsten Schritt (b) atmen, wo sich die Rückbeuge noch verstärkt? Und dann ist da noch die Haltung sāśtāṅga selbst. Als Āsana betrachtet, ist es nicht einfach, hier Vorzüge auszumachen. Die Rückbeuge bietet durch den Brustkorb am Boden kaum Freiheit, eine sinnvolle Haltung für den Kopf ist schwer zu finden. Entweder liegt das Kinn am Boden und zwingt den Nacken in eine übermäßige Rückbeuge, oder der Nacken wird stark gedehnt, um die Stirn an den Boden zu bringen. Jetzt muss aber zusätzlich der Kopf gehalten werden, damit er mit seinem Gewicht nicht zu sehr auf das Gesicht drückt.

Es ist nicht schwer, diese und noch andere Unklarheiten zu vermeiden, wenn der Sonnengruß durch eine Sequenz ersetzt wird, in der Āsanas in einer gut aufgebauten Abfolge angeordnet werden. Dem Bewegungsablauf des üblichen Sonnengrußes verwandt wären etwa folgende beiden Vinyāsas. Die Sequenz in Abb. 11 als die forderndere und kürzere.

Alernative zum Sonnengruß
Abb. 11

Die Sequenz in Abb. 12 ist einfacher im Übergang von adhomukha śvānāsana zum bhujaṅgāsana, allerdings auch einige Atemzüge länger.

Alernative zum Sonnengruß
Abb. 12

Ganz nebenbei wird in diesen Abfolgen auch eine Haltung vermieden, die mit dem Sonnengruß Verbreitung fand und sich hauptsächlich dadurch auszeichnet, dass sie den unteren Rücken ungesund belastet. Es ist das erste Armheben, in dem der Oberkörper oft weit nach hinten gebeugt wird. Die Folge: viel und schädlicher Druck auf die Wirbelgelenke ebenso wie die Bandscheiben und die Entstehung einer Fehlspannung in der Muskulatur des unteren Rückens (Abb. 13a). Gleichzeitig führt diese Haltung zu einer sehr starken Einschränkung der Möglichkeiten, den Brustkorb für einen tiefen Atem zu weiten. Mehr Bewegung im Brustraum und weniger unnötiger Stress für Bandscheiben und Rückenmuskulatur bringen hingegen die Alternativen in Abb. 13b oder c.

Alternativen für Standposition im Sonnengruß
Abb. 13

Weitere Variationsmöglichkeiten

Über die hier vorgestellten hinaus gibt es unzählige weitere Möglichkeiten, den Ablauf von Āsanaabfolgen zu ergänzen und zu variieren. Als Anregung zur Erkundung dieser Vielfalt hier noch einige interessante Varianten. So ist es unter anderem möglich, aus dem Stand zum adhomukha śvānāsana über einen Schritt nach hinten ins vīrabhadrāsana zu gelangen (Abb. 14).

Variante: So ist es möglich, aus dem Stand zum adhomukha śvānāsana über einen Schritt nach hinten ins vīrabhadrāsana zu gelangen.
Abb. 14

Selbstverständlich können auch Āsana eingefügt werden, die besondere Anforderungen an Kraft, Koordination und Beweglichkeiten stellen (Abb. 15 und 16).

Ein Vinyāsa mit adhomukha śvānāsana, vasiṣṭhasana und bhujaṅgāsana.
Abb. 15
Forderndes Vinyāsa
Abb. 16

Ergänzende Techniken

  • Ujjayī – Die Praxis von Vinyāsa wird häufig mit bestimmten Atemtechniken verbunden. Traditionellerweise wird sowohl bei der Ein- als auch bei der Ausatmung die Technik des Ujjayī benutzt. Dadurch verlängert sich der Atem und die Bewegungen werden langsamer, allerdings auch fordernder. Richtig angewandt, gibt Ujjayī dem Atem außerdem eine große Gleichmäßigkeit und Feinheit, was eine hohe Qualität der einzelnen Haltungen und aller Bewegungen verlangt.
  • Śītālī oder sītkārī – Einatmung über die gerollte Zunge oder durch die nur leicht geöffnete Zahnreihe, lassen sich einfach mit den Bewegungsabläufen der hier beschriebenen Vinyāsa verbinden.
  • Atemverhältnisse – Traditionell ebenfalls üblich war es, für die Āsanaabfolgen ganz bestimmte Atemverhältnisse festzulegen. Beispielsweise so, dass alle Aus- und Einatmungen von gleicher Länge sind. Oder die Ausatmung ist immer doppelt so lang wie die Einatmung.
  • Atemverhaltungen – Häufig genutzt wird auch die Möglichkeit nach der Einatmung, der Ausatmung oder beiden Atemphasen den Atem kurz anzuhalten. Das verlangt nicht nur einen sehr bewussten Umgang mit dem Atem, sondern bringt auch eine neue Qualität in den Rhythmus der Bewegung durch ein verlängertes Halten der einzelnen Positionen.
  • Rezitationen – Die Ausatmung lässt sich auch mit rezitierten Silben oder Sätzen, mit Mantras verbinden. Auch diese Technik wurde in der Tradition häufig benutzt und bringt auch heute noch interessante neue Aspekte in die Praxis von Āsanaabfolgen. Werden Silben oder Sätze nicht laut, sondern nur mental, innerlich rezitiert, kann auch die Einatmung damit verbunden werden.
  • Statik – Ebenso lassen sich Vinyāsa auch in Richtung von Statik verändern. So können einzelne Āsana betont werden, indem sie für ein oder mehrere Atemzüge gehalten werden. Ebenso ändert sich der Charakter des Vinyāsa, wenn in jedem Āsana für ein oder zwei Atemzüge statisch verweilt wird. Auch kann es beim Erlernen komplexerer Bewegungsabläufe eine große Hilfe sein, wenn in jeder Position ein oder mehrmals zwischen geatmet wird, bevor es zur nächsten Position geht.

Vinyāsas, die im vajrāsana beginnen

Neben dem Stand eignet sich auch vajrāsana Fersensitz und seine Variante, der Kniestand als Ausgangshaltung für eine Vielzahl von Vinyāsa. Die einfachste Abfolge führt in eine Variation von cakravākāsana Vierfüßlerstand .(Abb. 17)

Vinyāsa vom vajrāsana zu cakravākāsana
Abb. 17

Von dort aus könnten alle Wege eingeschlagen werden, die in den bisher vorgestellten Abläufen bereits beschrieben wurden (Abb. 19).

Vinyāsa vom vajrāsana zu cakravākāsana und weiter ...
Abb. 19

Als Ausgangsposition kann auch vajrāsana selbst gewählt werden, um aus der Vorbeuge direkt weiter zum bhujaṅgāsana zu gelangen (Abb. 20).

Als Ausgangsposition kann auch vajrāsana selbst gewählt werden um aus der Vorbeuge direkt weiter zum bhujaṅgāsana zu gelangen
Abb. 20

Vinyāsas, die in der Rückenlage beginnen

Als letztes Beispiel für die Möglichkeit, die verschiedensten Āsana zu längeren Sequenzen miteinander zu verbinden, ist eine der vielen Abfolgen, die die Rückenlage als Ausgangsposition nehmen (Abb. 21).

Ein Vinyāsa mit der Rückenlage als Ausgangsposition
Abb. 21

Solche Reihen lassen sich vielfältig verändern und ergänzen, beispielsweise wie in Abb. 22 abschließend gezeigt.

Ein Vinyāsa mit der Rückenlage als Ausgangsposition
Abb. 22

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