Serie Wirkungen von Āsana – Mythos Kopfstand

In loser Folge thematisiert Viveka Āsanas, wie und in welche Richtung sie ihre Wirkung entfalten. Dies ist oft nicht einfach. Über die Wirkungen von Āsana wurde viel geschrieben und es ist schwer, sich zurechtzufinden zwischen Versprechungen, Wünschen, voneinander abgeschriebenem und der Realität.

Unsere Betrachtungen werden eingeleitet von der Diskussion einiger Wirkungen von Āsana, die – obwohl oft und wiederholt behauptet – keinen Bezug zur Realität haben. Von dieser Vorgehensweise erhoffen wir uns, den Blick ein wenig freier zu machen für die wirklichen Qualitäten der Āsanas.

Der Kopfstand verbessert die Durchblutung des Gehirns – unzählige Male begleiten solche Aussagen in Yogastunden die Praxis dieser oder ähnlicher Umkehrhaltungen. Trotzdem sind sie falsch und ihre stetige Wiederholung macht sie nicht richtiger. Deshalb sollen primär zwei Fragen beantwortet werden:

  1. Welche Wirkungen hat eine Umkehrhaltung wie der Kopfstand auf die Blutzirkulation?
  2. Wie ist es möglich, dass sich im Kreis der Yogaunterrichtenden eine solche Vorstellung, wider aller naturwissenschaftlichen Erkenntnis um die Funktionen des menschlichen Körpers, so lange halten kann?

Serie Wirkungen von Āsana – Mythos Kopfstand

In loser Folge thematisiert Viveka Āsanas, wie und in welche Richtung sie ihre Wirkung entfalten. Dies ist oft nicht einfach. Über die Wirkungen von Āsana wurde viel geschrieben und es ist schwer, sich zurechtzufinden zwischen Versprechungen, Wünschen, voneinander abgeschriebenem und der Realität.

Unsere Betrachtungen werden eingeleitet von der Diskussion einiger Wirkungen von Āsana, die – obwohl oft und wiederholt behauptet – keinen Bezug zur Realität haben. Von dieser Vorgehensweise erhoffen wir uns, den Blick ein wenig freier zu machen für die wirklichen Qualitäten der Āsanas.

Der Kopfstand verbessert die Durchblutung des Gehirns – unzählige Male begleiten solche Aussagen in Yogastunden die Praxis dieser oder ähnlicher Umkehrhaltungen. Trotzdem sind sie falsch und ihre stetige Wiederholung macht sie nicht richtiger. Deshalb sollen primär zwei Fragen beantwortet werden:

  1. Welche Wirkungen hat eine Umkehrhaltung wie der Kopfstand auf die Blutzirkulation?
  2. Wie ist es möglich, dass sich im Kreis der Yogaunterrichtenden eine solche Vorstellung, wider aller naturwissenschaftlichen Erkenntnis um die Funktionen des menschlichen Körpers, so lange halten kann?

Serie Wirkungen von Āsana – Mythos Kopfstand

In loser Folge thematisiert Viveka Āsanas, wie und in welche Richtung sie ihre Wirkung entfalten. Dies ist oft nicht einfach. Über die Wirkungen von Āsana wurde viel geschrieben und es ist schwer, sich zurechtzufinden zwischen Versprechungen, Wünschen, voneinander abgeschriebenem und der Realität.

Unsere Betrachtungen werden eingeleitet von der Diskussion einiger Wirkungen von Āsana, die – obwohl oft und wiederholt behauptet – keinen Bezug zur Realität haben. Von dieser Vorgehensweise erhoffen wir uns, den Blick ein wenig freier zu machen für die wirklichen Qualitäten der Āsanas.

Der Kopfstand verbessert die Durchblutung des Gehirns – unzählige Male begleiten solche Aussagen in Yogastunden die Praxis dieser oder ähnlicher Umkehrhaltungen. Trotzdem sind sie falsch und ihre stetige Wiederholung macht sie nicht richtiger. Deshalb sollen primär zwei Fragen beantwortet werden:

  1. Welche Wirkungen hat eine Umkehrhaltung wie der Kopfstand auf die Blutzirkulation?
  2. Wie ist es möglich, dass sich im Kreis der Yogaunterrichtenden eine solche Vorstellung, wider aller naturwissenschaftlichen Erkenntnis um die Funktionen des menschlichen Körpers, so lange halten kann?

Einleitung

Wie jeder Gegenstand auf dieser Welt kann unser Blut sich den Wirkungen der Schwerkraft nicht entziehen. Deshalb – so wird behauptet – fließt zum Gehirn mehr Blut, wenn wir den Kopf dorthin setzen, wo normalerweise unsere Füße den Boden berühren. Aber ganz so einfach, wie solche Erklärungen zum Kopfstand glauben machen wollen, verhält es sich mit der Wirkung der Schwerkraft auf die Blutzirkulation nicht.

Abb. 1

Für eine sinnvolle Diskussion der oben angesprochenen Fragen bedarf es zuerst einiger weniger, aber grundsätzlicher Informationen darüber, wie die Zirkulation des Blutes im Körper überhaupt zustande kommt.

Das Herz (linke Herzkammer) pumpt Blut mit großem Druck in die Arterien. Wer einmal jemanden aus einer der größeren Arterie bluten sehen hat, wird sich immer mit Schrecken daran erinnern, wie enorm dieser vom Herzen aufgebaute Druck ist. Das Blut kann aus einer verletzten Arterie tatsächlich meterhoch spritzen. Der Druck, mit dem das Blut in die Arterien geschickt wird, ist so groß, dass auch gegen die Schwerkraft mehr als genug Blut zu jedem Organ gepumpt werden kann.

Von noch größerer Bedeutung für die Diskussion ist aber, dass mehr Blut und mehr Blutdruck keineswegs auch mehr Durchblutung bedeutet. Damit ein Organ gut durchblutet wird, muss nämlich nicht nur Blut dort hinfließen, sondern vor allem muss das verbrauchte Blut auch abfließen können.

Wir werden später sehen, dass sich die Schöpfung für uns Menschen, und alle anderen Säugetiere, eine Regulation für den Blutfluss in den Organen unseres Körpers hat einfallen lassen, die von der Schwerkraft ganz unbeeinflusst ist.

Tatsächlich wird das mehr oder weniger an Durchblutung wesentlich entlang der Aktivität des jeweiligen Organs gesteuert: „Was mehr tut, benötigt mehr und bekommt mehr“.

Die Überlegenheit dieses Prinzips gegenüber einer Situation, in der die Organdurchblutung von der Schwerkraft abhängig wäre, leuchtet ein, wenn wir uns beide Modelle einmal ganz praktisch vorstellen: Wie würden wir wohl damit zurechtkommen, wenn unsere Hand jedes Mal, wenn wir sie über den Kopf heben, nicht mehr gut genug mit Blut versorgt würde oder die Durchblutung des Beckens im Stehen besser wäre als im Liegen? (Und es scheint auch so gewesen zu sein, dass sowohl Einstein als auch Buddha ihre erleuchtenden Gedanken sitzend, mit dem Kopf über dem Herzen und nicht auf dem Kopf stehend erlebt haben).

Unten staut sich´s

Natürlich können wir alle ohne große Mühe beobachten, dass und wie die Schwerkraft auf bestimmte Weise die Zirkulation unseres Blutes beeinflusst. Wenn wir eigene Erfahrungen ernst nehmen oder auf die Beobachtungen von Experten vertrauen, zeigt sich der Sog der Schwerkraft jedoch eher als hinderlich für einen freien Fluss des Blutes.

Experten bezüglich Schwerkraft und Blutzirkulation sind zum Beispiel Verkäuferinnen, die den ganzen Tag ununterbrochen auf den Beinen stehen. Die Füße immer ganz unten – wie der Kopf beim Kopfstand – und trotzdem schwärmen sie am Abend nicht davon, wie gut ihre Beine durchblutet sind. Stattdessen spüren sie ihre Füße so dick und angestaut, dass sie oft kaum noch in die Schuhe passen. Das liegt daran, dass während des ganzen langen Tages die Schwerkraft den Rückfluss des Blutes zurück – nach oben – zum Herzen erschwert hat. Deshalb staut sich das Blut in den Füßen und Beinen.

Worauf die Schwerkraft also offenbar einen großen und manchmal negativen Einfluss haben kann, ist der venöse Teil des Blutkreislaufs; dort fließt verbrauchtes, mit Stoffwechselschlacken angereichertes Blut.

Um einen guten Rücktransport des Blutes aus den Füßen nach oben zum Herzen hin zu bewältigen, bedarf es deshalb dessen, was Physiologen die Muskelpumpe nennen. Was ist darunter zu verstehen? Wenn wir die Beinmuskeln aktivieren (beim Gehen zum Beispiel), dann wird dadurch das Blut in den Venen gleichsam nach oben geschoben.

Deshalb geht es einer Verkäuferin oder einem Verkäufer auch wesentlich besser, wenn die Möglichkeit besteht, die Beine bei der Arbeit in Bewegung zu halten. Am dicksten werden die Füße, wenn den ganzen Tag über auf einer Stelle gestanden werden muss und so nichts der Wirkung der Schwerkraft auf den Blutfluss in den Venen entgegenarbeitet. (Dass im Bereich der Venen der Zug des Blutes nach unten entlang der Schwerkraft deutlichere Auswirkungen zeigt als im Bereich der Arterien, liegt am unterschiedlichen Aufbau beider Gefäßwände).

Aus dieser Alltagserfahrung lässt sich erkennen, dass die Schwerkraft bei der Regulierung der Blutzirkulation – insbesondere in Körperbereichen, die sich in einer bestimmten Haltung unterhalb des Herzens befinden – weniger eine Unterstützung, sondern vielmehr eine Herausforderung darstellt. Diese zusätzliche Belastung kann es dem Körper in bestimmten Situationen schwer machen, eine optimale Blutzirkulation aufrechtzuerhalten.

Regulation und Eigendynamik

Die Regulations­systeme unseres Körpers machen für den Kopf­stand keine Ausnahme.

Die erste Folge für die Blutzirkulation in jeder Umkehrposition ist also ein Blutstau im Kopfbereich. Der Rückfluss des verbrauchten Blutes zum Herzen wird erschwert, was eine gute Zirku­lation des Blutes im Bereich des Kopfes behindert. Nun haben wir im Kopf und vor allem im Gehirn keine Muskelpumpe.

Was tut unser System? Zum Glück lässt es diese wenig vorteilhafte Situation nicht bestehen, sondern reagiert darauf sehr prompt: Die Arterien im Kopf­­­be­reich werden zusammengezogen, der Zufluss von Blut so gedrosselt, dass sich wieder ein Gleich­gewicht herstellt zwischen ankommendem und abfließendem Blut.

Wir begegnen hier einem Prinzip, das in fast allen Beschreibungen der Wirkungen von Āsana entschieden zu wenig Beachtung findet: Der Körper reagiert auf eine Körperübung (ebenso wie auf ein besonderes Atemmuster oder jede andere Praxis) damit, dass er seine eigene Dynamik entwickelt.

Dazu später mehr. In diesem Fall jedenfalls geschieht diese Regulation des Blutflusses sehr rasch und wer mit der Praxis des Kopfstandes etwas Erfahrung hat, weiß, dass der Kör­per diese Reaktion mit der Zeit immer schneller und besser bewältigen kann: Der Kopf bleibt immer weniger lang blaurot und das anfängliche Staugefühl verschwindet. Unser Körpersystem bricht während des Kopfstandes also nicht in Jubel aus über das viele Blut, das jetzt endlich Richtung Kopf fließt, sondern setzt – in der Regel mit gutem Erfolg – alles daran, diese Flutwelle zu bremsen, den normalen Durchblutungszu­stand wieder herzustellen und ihn dann zu erhalten.

Unter den Bedingungen des Kopfstandes den Blutstrom so regulieren zu können, dass er ungefähr in der gleichen Weise fließt wie im Stehen oder Sitzen, benötigt ein gewisses Maß an Flexibilität, man könnte auch sagen Gesundheit. Wir können also froh sein, wenn es unserem Körper mit der Hilfe vielfältiger Regulationsmechanismen gelingt, während des Kopfstandes wenigstens das Maß an Durchblutung aufrechtzuerhalten, das uns beim Stehen, Sitzen oder Liegen gegeben ist.

Menschen mit hohem Blutdruck steht diese Reaktionsfähigkeit nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung. Stellt sich z. B. eine von Bluthoch­druck betroffene Person auf den Kopf, kann es deshalb zu einem Blut­stau und einer gefährlichen Be­las­tung der Arterien im Kopfbereich kommen.

Was rastet, das rostet

Bisher wurde nur ganz allgemein vom Blutstrom im Kopfbereich gesprochen. Wie verhält es sich im Besonderen mit der Durchblutung und Ernährung jenes Organs, das einen großen Teil unseres Kopfes ausfüllt: unser Gehirn?

Hierbei stößt man schnell auf den grundsätzlichsten Irrtum, der hinter all solchen Behauptungen steht, wie: im Kopfstand würde unser Hirn besser versorgt, gar die Altersvergesslichkeit hinausgezögert, oder einfach die grauen Zellen mit frischem Blut durchtränkt, wie es häufig ebenso bildhaft wie falsch beschrieben wird.

Die einfache Formel dieser Vorstellung ist: „Mehr Blut im Kopf, mehr Blut im Hirn; je mehr Blut im Hirn, desto besser.“ Eine solche Vorstellung ist nicht nur sehr platt, sie widerspricht allem Wissen der Neurophysiologie und Medizin.

Die Regulationssysteme, die dem Menschen gegeben wurden, um sein Hirn mit Nahrung zu versorgen und Abfallstoffe zu beseitigen, sind bewundernswert komplex. Vor allem sind sie weit davon entfernt, einer so mechanistischen und unpraktischen Vorstellung zu folgen, dass die jeweilige Körperposition dabei eine Rolle spielen könnte. Sie tut es nicht.

Sie liefern den Schlüssel für die Beantwortung der Frage, wie wir unser Gehirn bei guter Durchblutung halten können, und die Antwort ist erfreulich einfach: Wir müssen es benutzen!

Statt den Menschen einzureden, der Kopfstand könnte uns denkfähiger machen, ja gar das Altern unseres Gehirns bremsen, sollten wir sie darin bestätigen, was schon unsere Großmütter wussten: Wer rastet, der rostet, und das gilt eben auch für unser Gehirn.

Je aufmerksamer, je mehr geistig aktiv wir sind, desto mehr Leben kommt und bleibt in unseren Hirnzellen. Denken, lesen, mit anderen kommunizieren, meditieren und vieles andere mehr, das erhält sie jung und flexibel. Die Ernährung des Gehirns ist also abhängig von seiner Aktivität. Mehr Aktivität erhöht die Zirkulation des Blutes und verbessert die Versorgung der entsprechenden Hirnareale ebenso wie den Abtransport anfallender Schlackenstoffe.

Um es noch einmal zusammenzufassen: Unser Hirn ist ein Organ, das sich von unterschiedlichen Körperpositionen, den Kopfstand eingeschlossen, glücklicherweise nicht beeindrucken lässt. Ein berühmter Neurochirurg (B. Ramamurthi, der selbst begeisterter Yogapraktizierender ist) hat dies auf die Frage nach den Wirkungen des Kopfstands einmal so ausgedrückt: „Es ist eine populäre, aber falsche Vorstellung, dass im Kopfstand die Blutversorgung verbessert würde." Das Hirn ist ein von der Natur äußerst geschütztes Organ. Es ist mechanisch, strukturell, physiologisch, chemisch und immunologisch geschützt. So gibt es zum Beispiel viele immunologische Erkrankungen, die zwar den Körper, aber nicht das Hirn angreifen.“

Abb. 2

Eine der seltenen älteren Darstellungen (Abb. 2) einer Umkehrpostion aus der Śriīattvanidhi, einer Sammlung unterschiedlicher Āsana, die vor etwa 150 Jahren in Mysore, Südindien, gezeichnet wurde.

Blutdruck wissenschaftlich gesehen

Zusammengefasst aus: Thews/Vau­pel, Vegetative Physiologie, Springer 1997 und Schmidt, Neuro- und Sinnesphysiologie, Springer 1998.

Unter normalen Bedingungen (wenn wir keinen 6000 Meter hohen Berg erklimmen oder in einer Garage mit einem laufenden Auto eingeschlossen sind), bleibt die Hirndurch­blutung weitgehend konstant. Das ist eine der erstaunlichen und großen Leistungen im Rahmen des Hirnstoff­wechsels. Der Körper sorgt unter nahezu allen Bedin­gungen dafür, dass die Versorgung des Hirns mit Blut auf gleichem Niveau gewährleistet ist. Dabei kommt im Hinblick auf die häufigen Änderungen der Körper­po­sition mit entsprechenden Änderungen des hydrostatischen Drucks im Kopfbereich der myogenen Auto­regulation eine besondere Bedeutung bei.

Was meint myogene Auto­regulation?

Sobald der Gefäßdruck in einer Arterie steigt (zum Beispiel, weil wir gerade in den Kopfstand gegangen sind), führt dies zu einem Zusammenziehen der Gefäß­muskulatur ebendieser Arterie. Sie wird enger, der Blutstrom zum Gehirn gedrosselt. Dieser Mechanismus wird in den Muskeln der Gefäßwände selbst gesteuert (deshalb "myogen", durch „Muskulatur gemacht“).
Wird allerdings ein bestimmtes Maß überschritten (wenn zum Beispiel jemand mit zu hohem Blutdruck den Kopfstand übt), kann die Blutanflutung so weit ansteigen, dass der Druck in den kleinsten Hirnadern so groß wird, dass ein Hirnödem auftritt. Die dicken Füße der Verkäuferinnen stellen ebenfalls ein Ödem dar, eine Anschwellung des Gewebes, zum Glück in einem weniger wichtigen Organ.

Tatsächlich hat das Hirn einen außer­gewöhnlich hohen Grund­bedarf an Sauerstoff und Zucker. Und das Wichtigste: Jede zusätzliche Aktivität in einer bestimmten Hirnregion führt dort innerhalb von Sekunden zu einem erhöhten Sauerstoffverbrauch und einem entsprechend vermehrten Anfall an Metaboliten (Abfallstoffen). Diese Stoffwechselprodukte wiederum erweitern die lokalen Arteriolen (kleinste Arterien), was eine Erhöhung der lokalen Durchblutung zur Folge hat.

Ein Bärendienst

Angesichts dieser Tatsachen (die wohl erst in den vergangenen Jahren bis ins Detail erforscht wurden, aber schon lange in den grundsätzlichen Fakten bekannt sind) fragt man sich natürlich, wie es möglich ist, dass sie in Yoga-Kreisen weitgehend ignoriert wurden und sich dort die abenteuerlichsten Vorstellungen über die Funktion des menschlichen Körpers breit machten. Was bei vielen Beschreibungen von Wirkungen von Āsana immer wieder auffällt, ist Folgendes:

  • Kaum jemand versäumt es, naturwissenschaftlich oder medizinisch klingende Begründungen für die Wirkweisen von Āsanas und anderen Yogaübungen zu bemühen.
  • Gleichzeitig basieren diese Wirkungsbeschreibungen auf einem durch und durch mechanistischen Bild von der Funktion des menschlichen Organismus. Diese Vorstellungen sind in aller Regel sehr viel mechanistischer, als sie selbst der verbohrteste Schulmediziner jemals formuliert hätte. Āsanas werden oft beschrieben wie ein Schalter. Ich lege ihn um, und das Licht geht an, ich dimme auf 120 und alles läuft mit 120. Wir müssen den Körper nur in eine bestimmte Haltung bringen und „die Nieren werden mehr durchblutet“ oder die „Drüse X aktiviert“. So funktioniert eine Taschenlampe oder der Motor eines Autos.
Das menschliche System lässt sich mit solchen Modellen nicht erfassen.

Es ist vielfältiger und es ist vor allem getragen von einer wunderbar organisierten Eigendynamik, die auf Einflüsse von außen, seien es Āsana oder der Anblick einer Schwarzwälder-Kirschtorte auf oft überraschende Weise, vor allem aber auf seine Weise reagiert. Diese Reaktion ist schließlich das Zusammenspiel kaum überschaubarer vieler Faktoren; manche davon sind für alle Menschen, die gleichen, andere unterliegen auch noch großen individuellen Unterschieden. Deshalb ist die mechanistische und manchmal sogar einfältige Art, in der Wirkungen von Āsana bisweilen beschrieben werden, für Yogaunterrichtende ebenso wenig hilfreich wie für Yoga Übende.

Der Kopfstand – Physiologie

Physiologisch betrachtet, was bleibt nun vom Kopfstand?

Es bleibt noch einmal klarzustellen, dass es in dieser Diskussion ausschließlich um die Aspekte des Kopfstands geht, die einer physiologischen, medizinischen oder wissenschaftlichen Fragestellung zugänglich sind.

Diese Diskussion wird nicht geführt, weil der Kopfstand oder andere Āsanas hauptsächlich wegen ihrer medizinisch nachweisbaren Wirkungen geübt werden sollten. Vielmehr entsteht sie, weil in der Yogawelt oft Begründungen für bestimmte Übungen sehr attraktiv erscheinen, die ihre Autorität aus einem vermeintlich medizinisch-wissenschaftlichen Hintergrund beziehen – dieser erweist sich jedoch häufig als pseudowissenschaftlich.

Dass auf diese Weise unwidersprochen gerade solche Argumente für die Praxis mancher Āsanas überdauern konnten, die schon bei mäßig kritischem Blick einfach unhaltbar sind, zeigt, wie in sich geschlossen die Welt des Yogas manchmal ist.

Pseudowissenschaftliche Argumente sind nicht nur ein schlechtes Fundament für die Erklärung einer so fundierten Arbeit, wie Yoga sie darstellt, sie sind auch eine Zumutung für alle, die aus Interesse am Yoga Lust auf Informationen haben.

Was nun der Kopfstand von der menschlichen Physiologie her betrachtet bei Menschen bewirkt, vorausgesetzt, dass sie diese Haltung ohne Schwierigkeiten bewältigen können, lässt sich wie folgt beschreiben:

  • Der Rückfluss des Blutes aus dem unteren Körperbereich wird erleichtert. Dies bringt eine gewisse Dynamik in die Blutzirkulation des Körpers insgesamt. Für einen solchen Effekt („ich fühle mich erfrischt“) muss allerdings jemand nicht gleich auf dem Kopf stehen. Oft reicht hierfür schon das Hochlegen der Beine in śavāsana. Auch ein schöner Spaziergang oder eine Runde Tennis haben für viele Menschen ganz ähnliche Wirkungen.
  • Wenn der Kopfstand auf den Blutfluss im Kopfbereich überhaupt eine Wirkung zeigt, (wenn regelmäßig und gut vorbereitet geübt) dann allenfalls als Möglichkeit einer raschen Gegenregulation, die in der Übung einen bedenklichen Blutstau verhindert und den normalen Zustand der Durchblutung ohne große Verzögerung aufrechterhält. Für eine solche Verbesserung unserer Regulationsfähigkeit müssen wir nicht auf dem Kopf stehen. Jede regelmäßige körperliche Aktivität oder eine täglich geübte Abfolge einfacher und dynamischer Āsana wirkt in gleicher Weise.

Es gibt ein Leben ohne Kopfstand

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die hier diskutierten Wirkungen nur einen Aspekt dessen beschreiben, was eine Übung wie der Kopfstand bei einem Menschen bewirken kann. Die Gründe, den Kopfstand zu üben, können sehr vielfältig sein: Für manche mag es vielleicht das Wichtigste gewesen sein, die Angst vor dem Umfallen zu überwinden, während andere Freude daran haben, ihren Körper auch in einer solchen Position gut beherrschen zu können.

Ob die Praxis des Kopfstands einem Menschen tatsächlich dabei helfen kann, seine Umgebung und sich selbst grundsätzlich anders wahrzunehmen (auf dem Kopf stehend, sieht alles anders aus), ist eine Frage, über die sicherlich lange diskutiert werden könnte.

Das Yoga Sūtra schlägt jedenfalls für den Fall, dass man wirklich einmal seine Welt auf den Kopf stellen möchte, keine Umkehrhaltung vor, sondern ganz einfach Folgendes:

Stelle dir einmal in aller Ruhe und Ausführlichkeit vor, wie es wäre, wenn du alles ganz anders machen würdest, als du es gewöhnlich tust – Yoga Sūtra, 2. Kapitel – Sūtra 33.

Dass dafür der Kopfstand von Vorteil wäre, lesen wir bei Patañjali nicht. Wahrscheinlich hatte er für die Praxis seines Vorschlags an wesentlich einfachere Körperhaltungen gedacht, wie das aufrechte Sitzen – oder vielleicht sogar einen Spaziergang in einem stillen Park.

In mancher Sekundärliteratur, gerne als König der Āsana bezeichnet, wird der Kopfstand weder in der Haṭha Yoga Pradīpikā (einem der bekanntesten traditionellen Texte über die Praxis des Yoga) noch in anderen wichtigen Yogatexten hervorgehoben. Als solcher śirṣāsana findet er in der Haṭha Yoga Pradīpikā überhaupt keine Erwähnung.

Es ist jedoch zu vermuten, dass sicher auch der Kopfstand eingeschlossen ist, wenn die Umkehrpositionen (viparīta karaṇī) dort erläutert werden. Diese wiederum stehen in der Haṭha Yoga Pradīpikā in einem ganz besonderen Kontext, nämlich dem der sogenannten Mudrā.
Diese Mudrā sind tatsächlich Praxisanweisungen von besonderer Bedeutung. Die genauere Betrachtung des Zusammenhangs, in dem sie beschrieben und erklärt werden, hilft viele jener Wirkungsbeschreibungen zu verstehen, die traditionellerweise mit allen Umkehrhaltungen verbunden werden. Ihnen wird unter anderem auch eine „reinigende Wirkung“ zugeschrieben. ▼

Einleitung

Wie jeder Gegenstand auf dieser Welt kann unser Blut sich den Wirkungen der Schwerkraft nicht entziehen. Deshalb – so wird behauptet – fließt zum Gehirn mehr Blut, wenn wir den Kopf dorthin setzen, wo normalerweise unsere Füße den Boden berühren. Aber ganz so einfach, wie solche Erklärungen zum Kopfstand glauben machen wollen, verhält es sich mit der Wirkung der Schwerkraft auf die Blutzirkulation nicht.

Abb. 1

Für eine sinnvolle Diskussion der oben angesprochenen Fragen bedarf es zuerst einiger weniger, aber grundsätzlicher Informationen darüber, wie die Zirkulation des Blutes im Körper überhaupt zustande kommt.

Das Herz (linke Herzkammer) pumpt Blut mit großem Druck in die Arterien. Wer einmal jemanden aus einer der größeren Arterie bluten sehen hat, wird sich immer mit Schrecken daran erinnern, wie enorm dieser vom Herzen aufgebaute Druck ist. Das Blut kann aus einer verletzten Arterie tatsächlich meterhoch spritzen. Der Druck, mit dem das Blut in die Arterien geschickt wird, ist so groß, dass auch gegen die Schwerkraft mehr als genug Blut zu jedem Organ gepumpt werden kann.

Von noch größerer Bedeutung für die Diskussion ist aber, dass mehr Blut und mehr Blutdruck keineswegs auch mehr Durchblutung bedeutet. Damit ein Organ gut durchblutet wird, muss nämlich nicht nur Blut dort hinfließen, sondern vor allem muss das verbrauchte Blut auch abfließen können.

Wir werden später sehen, dass sich die Schöpfung für uns Menschen, und alle anderen Säugetiere, eine Regulation für den Blutfluss in den Organen unseres Körpers hat einfallen lassen, die von der Schwerkraft ganz unbeeinflusst ist.

Tatsächlich wird das mehr oder weniger an Durchblutung wesentlich entlang der Aktivität des jeweiligen Organs gesteuert: „Was mehr tut, benötigt mehr und bekommt mehr“.

Die Überlegenheit dieses Prinzips gegenüber einer Situation, in der die Organdurchblutung von der Schwerkraft abhängig wäre, leuchtet ein, wenn wir uns beide Modelle einmal ganz praktisch vorstellen: Wie würden wir wohl damit zurechtkommen, wenn unsere Hand jedes Mal, wenn wir sie über den Kopf heben, nicht mehr gut genug mit Blut versorgt würde oder die Durchblutung des Beckens im Stehen besser wäre als im Liegen? (Und es scheint auch so gewesen zu sein, dass sowohl Einstein als auch Buddha ihre erleuchtenden Gedanken sitzend, mit dem Kopf über dem Herzen und nicht auf dem Kopf stehend erlebt haben).

Unten staut sich´s

Natürlich können wir alle ohne große Mühe beobachten, dass und wie die Schwerkraft auf bestimmte Weise die Zirkulation unseres Blutes beeinflusst. Wenn wir eigene Erfahrungen ernst nehmen oder auf die Beobachtungen von Experten vertrauen, zeigt sich der Sog der Schwerkraft jedoch eher als hinderlich für einen freien Fluss des Blutes.

Experten bezüglich Schwerkraft und Blutzirkulation sind zum Beispiel Verkäuferinnen, die den ganzen Tag ununterbrochen auf den Beinen stehen. Die Füße immer ganz unten – wie der Kopf beim Kopfstand – und trotzdem schwärmen sie am Abend nicht davon, wie gut ihre Beine durchblutet sind. Stattdessen spüren sie ihre Füße so dick und angestaut, dass sie oft kaum noch in die Schuhe passen. Das liegt daran, dass während des ganzen langen Tages die Schwerkraft den Rückfluss des Blutes zurück – nach oben – zum Herzen erschwert hat. Deshalb staut sich das Blut in den Füßen und Beinen.

Worauf die Schwerkraft also offenbar einen großen und manchmal negativen Einfluss haben kann, ist der venöse Teil des Blutkreislaufs; dort fließt verbrauchtes, mit Stoffwechselschlacken angereichertes Blut.

Um einen guten Rücktransport des Blutes aus den Füßen nach oben zum Herzen hin zu bewältigen, bedarf es deshalb dessen, was Physiologen die Muskelpumpe nennen. Was ist darunter zu verstehen? Wenn wir die Beinmuskeln aktivieren (beim Gehen zum Beispiel), dann wird dadurch das Blut in den Venen gleichsam nach oben geschoben.

Deshalb geht es einer Verkäuferin oder einem Verkäufer auch wesentlich besser, wenn die Möglichkeit besteht, die Beine bei der Arbeit in Bewegung zu halten. Am dicksten werden die Füße, wenn den ganzen Tag über auf einer Stelle gestanden werden muss und so nichts der Wirkung der Schwerkraft auf den Blutfluss in den Venen entgegenarbeitet. (Dass im Bereich der Venen der Zug des Blutes nach unten entlang der Schwerkraft deutlichere Auswirkungen zeigt als im Bereich der Arterien, liegt am unterschiedlichen Aufbau beider Gefäßwände).

Aus dieser Alltagserfahrung lässt sich erkennen, dass die Schwerkraft bei der Regulierung der Blutzirkulation – insbesondere in Körperbereichen, die sich in einer bestimmten Haltung unterhalb des Herzens befinden – weniger eine Unterstützung, sondern vielmehr eine Herausforderung darstellt. Diese zusätzliche Belastung kann es dem Körper in bestimmten Situationen schwer machen, eine optimale Blutzirkulation aufrechtzuerhalten.

Regulation und Eigendynamik

Die Regulations­systeme unseres Körpers machen für den Kopf­stand keine Ausnahme.

Die erste Folge für die Blutzirkulation in jeder Umkehrposition ist also ein Blutstau im Kopfbereich. Der Rückfluss des verbrauchten Blutes zum Herzen wird erschwert, was eine gute Zirku­lation des Blutes im Bereich des Kopfes behindert. Nun haben wir im Kopf und vor allem im Gehirn keine Muskelpumpe.

Was tut unser System? Zum Glück lässt es diese wenig vorteilhafte Situation nicht bestehen, sondern reagiert darauf sehr prompt: Die Arterien im Kopf­­­be­reich werden zusammengezogen, der Zufluss von Blut so gedrosselt, dass sich wieder ein Gleich­gewicht herstellt zwischen ankommendem und abfließendem Blut.

Wir begegnen hier einem Prinzip, das in fast allen Beschreibungen der Wirkungen von Āsana entschieden zu wenig Beachtung findet: Der Körper reagiert auf eine Körperübung (ebenso wie auf ein besonderes Atemmuster oder jede andere Praxis) damit, dass er seine eigene Dynamik entwickelt.

Dazu später mehr. In diesem Fall jedenfalls geschieht diese Regulation des Blutflusses sehr rasch und wer mit der Praxis des Kopfstandes etwas Erfahrung hat, weiß, dass der Kör­per diese Reaktion mit der Zeit immer schneller und besser bewältigen kann: Der Kopf bleibt immer weniger lang blaurot und das anfängliche Staugefühl verschwindet. Unser Körpersystem bricht während des Kopfstandes also nicht in Jubel aus über das viele Blut, das jetzt endlich Richtung Kopf fließt, sondern setzt – in der Regel mit gutem Erfolg – alles daran, diese Flutwelle zu bremsen, den normalen Durchblutungszu­stand wieder herzustellen und ihn dann zu erhalten.

Unter den Bedingungen des Kopfstandes den Blutstrom so regulieren zu können, dass er ungefähr in der gleichen Weise fließt wie im Stehen oder Sitzen, benötigt ein gewisses Maß an Flexibilität, man könnte auch sagen Gesundheit. Wir können also froh sein, wenn es unserem Körper mit der Hilfe vielfältiger Regulationsmechanismen gelingt, während des Kopfstandes wenigstens das Maß an Durchblutung aufrechtzuerhalten, das uns beim Stehen, Sitzen oder Liegen gegeben ist.

Menschen mit hohem Blutdruck steht diese Reaktionsfähigkeit nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung. Stellt sich z. B. eine von Bluthoch­druck betroffene Person auf den Kopf, kann es deshalb zu einem Blut­stau und einer gefährlichen Be­las­tung der Arterien im Kopfbereich kommen.

Was rastet, das rostet

Bisher wurde nur ganz allgemein vom Blutstrom im Kopfbereich gesprochen. Wie verhält es sich im Besonderen mit der Durchblutung und Ernährung jenes Organs, das einen großen Teil unseres Kopfes ausfüllt: unser Gehirn?

Hierbei stößt man schnell auf den grundsätzlichsten Irrtum, der hinter all solchen Behauptungen steht, wie: im Kopfstand würde unser Hirn besser versorgt, gar die Altersvergesslichkeit hinausgezögert, oder einfach die grauen Zellen mit frischem Blut durchtränkt, wie es häufig ebenso bildhaft wie falsch beschrieben wird.

Die einfache Formel dieser Vorstellung ist: „Mehr Blut im Kopf, mehr Blut im Hirn; je mehr Blut im Hirn, desto besser.“ Eine solche Vorstellung ist nicht nur sehr platt, sie widerspricht allem Wissen der Neurophysiologie und Medizin.

Die Regulationssysteme, die dem Menschen gegeben wurden, um sein Hirn mit Nahrung zu versorgen und Abfallstoffe zu beseitigen, sind bewundernswert komplex. Vor allem sind sie weit davon entfernt, einer so mechanistischen und unpraktischen Vorstellung zu folgen, dass die jeweilige Körperposition dabei eine Rolle spielen könnte. Sie tut es nicht.

Sie liefern den Schlüssel für die Beantwortung der Frage, wie wir unser Gehirn bei guter Durchblutung halten können, und die Antwort ist erfreulich einfach: Wir müssen es benutzen!

Statt den Menschen einzureden, der Kopfstand könnte uns denkfähiger machen, ja gar das Altern unseres Gehirns bremsen, sollten wir sie darin bestätigen, was schon unsere Großmütter wussten: Wer rastet, der rostet, und das gilt eben auch für unser Gehirn.

Je aufmerksamer, je mehr geistig aktiv wir sind, desto mehr Leben kommt und bleibt in unseren Hirnzellen. Denken, lesen, mit anderen kommunizieren, meditieren und vieles andere mehr, das erhält sie jung und flexibel. Die Ernährung des Gehirns ist also abhängig von seiner Aktivität. Mehr Aktivität erhöht die Zirkulation des Blutes und verbessert die Versorgung der entsprechenden Hirnareale ebenso wie den Abtransport anfallender Schlackenstoffe.

Um es noch einmal zusammenzufassen: Unser Hirn ist ein Organ, das sich von unterschiedlichen Körperpositionen, den Kopfstand eingeschlossen, glücklicherweise nicht beeindrucken lässt. Ein berühmter Neurochirurg (B. Ramamurthi, der selbst begeisterter Yogapraktizierender ist) hat dies auf die Frage nach den Wirkungen des Kopfstands einmal so ausgedrückt: „Es ist eine populäre, aber falsche Vorstellung, dass im Kopfstand die Blutversorgung verbessert würde." Das Hirn ist ein von der Natur äußerst geschütztes Organ. Es ist mechanisch, strukturell, physiologisch, chemisch und immunologisch geschützt. So gibt es zum Beispiel viele immunologische Erkrankungen, die zwar den Körper, aber nicht das Hirn angreifen.“

Abb. 2

Eine der seltenen älteren Darstellungen (Abb. 2) einer Umkehrpostion aus der Śriīattvanidhi, einer Sammlung unterschiedlicher Āsana, die vor etwa 150 Jahren in Mysore, Südindien, gezeichnet wurde.

Blutdruck wissenschaftlich gesehen

Zusammengefasst aus: Thews/Vau­pel, Vegetative Physiologie, Springer 1997 und Schmidt, Neuro- und Sinnesphysiologie, Springer 1998.

Unter normalen Bedingungen (wenn wir keinen 6000 Meter hohen Berg erklimmen oder in einer Garage mit einem laufenden Auto eingeschlossen sind), bleibt die Hirndurch­blutung weitgehend konstant. Das ist eine der erstaunlichen und großen Leistungen im Rahmen des Hirnstoff­wechsels. Der Körper sorgt unter nahezu allen Bedin­gungen dafür, dass die Versorgung des Hirns mit Blut auf gleichem Niveau gewährleistet ist. Dabei kommt im Hinblick auf die häufigen Änderungen der Körper­po­sition mit entsprechenden Änderungen des hydrostatischen Drucks im Kopfbereich der myogenen Auto­regulation eine besondere Bedeutung bei.

Was meint myogene Auto­regulation?

Sobald der Gefäßdruck in einer Arterie steigt (zum Beispiel, weil wir gerade in den Kopfstand gegangen sind), führt dies zu einem Zusammenziehen der Gefäß­muskulatur ebendieser Arterie. Sie wird enger, der Blutstrom zum Gehirn gedrosselt. Dieser Mechanismus wird in den Muskeln der Gefäßwände selbst gesteuert (deshalb "myogen", durch „Muskulatur gemacht“).
Wird allerdings ein bestimmtes Maß überschritten (wenn zum Beispiel jemand mit zu hohem Blutdruck den Kopfstand übt), kann die Blutanflutung so weit ansteigen, dass der Druck in den kleinsten Hirnadern so groß wird, dass ein Hirnödem auftritt. Die dicken Füße der Verkäuferinnen stellen ebenfalls ein Ödem dar, eine Anschwellung des Gewebes, zum Glück in einem weniger wichtigen Organ.

Tatsächlich hat das Hirn einen außer­gewöhnlich hohen Grund­bedarf an Sauerstoff und Zucker. Und das Wichtigste: Jede zusätzliche Aktivität in einer bestimmten Hirnregion führt dort innerhalb von Sekunden zu einem erhöhten Sauerstoffverbrauch und einem entsprechend vermehrten Anfall an Metaboliten (Abfallstoffen). Diese Stoffwechselprodukte wiederum erweitern die lokalen Arteriolen (kleinste Arterien), was eine Erhöhung der lokalen Durchblutung zur Folge hat.

Ein Bärendienst

Angesichts dieser Tatsachen (die wohl erst in den vergangenen Jahren bis ins Detail erforscht wurden, aber schon lange in den grundsätzlichen Fakten bekannt sind) fragt man sich natürlich, wie es möglich ist, dass sie in Yoga-Kreisen weitgehend ignoriert wurden und sich dort die abenteuerlichsten Vorstellungen über die Funktion des menschlichen Körpers breit machten. Was bei vielen Beschreibungen von Wirkungen von Āsana immer wieder auffällt, ist Folgendes:

  • Kaum jemand versäumt es, naturwissenschaftlich oder medizinisch klingende Begründungen für die Wirkweisen von Āsanas und anderen Yogaübungen zu bemühen.
  • Gleichzeitig basieren diese Wirkungsbeschreibungen auf einem durch und durch mechanistischen Bild von der Funktion des menschlichen Organismus. Diese Vorstellungen sind in aller Regel sehr viel mechanistischer, als sie selbst der verbohrteste Schulmediziner jemals formuliert hätte. Āsanas werden oft beschrieben wie ein Schalter. Ich lege ihn um, und das Licht geht an, ich dimme auf 120 und alles läuft mit 120. Wir müssen den Körper nur in eine bestimmte Haltung bringen und „die Nieren werden mehr durchblutet“ oder die „Drüse X aktiviert“. So funktioniert eine Taschenlampe oder der Motor eines Autos.
Das menschliche System lässt sich mit solchen Modellen nicht erfassen.

Es ist vielfältiger und es ist vor allem getragen von einer wunderbar organisierten Eigendynamik, die auf Einflüsse von außen, seien es Āsana oder der Anblick einer Schwarzwälder-Kirschtorte auf oft überraschende Weise, vor allem aber auf seine Weise reagiert. Diese Reaktion ist schließlich das Zusammenspiel kaum überschaubarer vieler Faktoren; manche davon sind für alle Menschen, die gleichen, andere unterliegen auch noch großen individuellen Unterschieden. Deshalb ist die mechanistische und manchmal sogar einfältige Art, in der Wirkungen von Āsana bisweilen beschrieben werden, für Yogaunterrichtende ebenso wenig hilfreich wie für Yoga Übende.

Der Kopfstand – Physiologie

Physiologisch betrachtet, was bleibt nun vom Kopfstand?

Es bleibt noch einmal klarzustellen, dass es in dieser Diskussion ausschließlich um die Aspekte des Kopfstands geht, die einer physiologischen, medizinischen oder wissenschaftlichen Fragestellung zugänglich sind.

Diese Diskussion wird nicht geführt, weil der Kopfstand oder andere Āsanas hauptsächlich wegen ihrer medizinisch nachweisbaren Wirkungen geübt werden sollten. Vielmehr entsteht sie, weil in der Yogawelt oft Begründungen für bestimmte Übungen sehr attraktiv erscheinen, die ihre Autorität aus einem vermeintlich medizinisch-wissenschaftlichen Hintergrund beziehen – dieser erweist sich jedoch häufig als pseudowissenschaftlich.

Dass auf diese Weise unwidersprochen gerade solche Argumente für die Praxis mancher Āsanas überdauern konnten, die schon bei mäßig kritischem Blick einfach unhaltbar sind, zeigt, wie in sich geschlossen die Welt des Yogas manchmal ist.

Pseudowissenschaftliche Argumente sind nicht nur ein schlechtes Fundament für die Erklärung einer so fundierten Arbeit, wie Yoga sie darstellt, sie sind auch eine Zumutung für alle, die aus Interesse am Yoga Lust auf Informationen haben.

Was nun der Kopfstand von der menschlichen Physiologie her betrachtet bei Menschen bewirkt, vorausgesetzt, dass sie diese Haltung ohne Schwierigkeiten bewältigen können, lässt sich wie folgt beschreiben:

  • Der Rückfluss des Blutes aus dem unteren Körperbereich wird erleichtert. Dies bringt eine gewisse Dynamik in die Blutzirkulation des Körpers insgesamt. Für einen solchen Effekt („ich fühle mich erfrischt“) muss allerdings jemand nicht gleich auf dem Kopf stehen. Oft reicht hierfür schon das Hochlegen der Beine in śavāsana. Auch ein schöner Spaziergang oder eine Runde Tennis haben für viele Menschen ganz ähnliche Wirkungen.
  • Wenn der Kopfstand auf den Blutfluss im Kopfbereich überhaupt eine Wirkung zeigt, (wenn regelmäßig und gut vorbereitet geübt) dann allenfalls als Möglichkeit einer raschen Gegenregulation, die in der Übung einen bedenklichen Blutstau verhindert und den normalen Zustand der Durchblutung ohne große Verzögerung aufrechterhält. Für eine solche Verbesserung unserer Regulationsfähigkeit müssen wir nicht auf dem Kopf stehen. Jede regelmäßige körperliche Aktivität oder eine täglich geübte Abfolge einfacher und dynamischer Āsana wirkt in gleicher Weise.

Es gibt ein Leben ohne Kopfstand

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die hier diskutierten Wirkungen nur einen Aspekt dessen beschreiben, was eine Übung wie der Kopfstand bei einem Menschen bewirken kann. Die Gründe, den Kopfstand zu üben, können sehr vielfältig sein: Für manche mag es vielleicht das Wichtigste gewesen sein, die Angst vor dem Umfallen zu überwinden, während andere Freude daran haben, ihren Körper auch in einer solchen Position gut beherrschen zu können.

Ob die Praxis des Kopfstands einem Menschen tatsächlich dabei helfen kann, seine Umgebung und sich selbst grundsätzlich anders wahrzunehmen (auf dem Kopf stehend, sieht alles anders aus), ist eine Frage, über die sicherlich lange diskutiert werden könnte.

Das Yoga Sūtra schlägt jedenfalls für den Fall, dass man wirklich einmal seine Welt auf den Kopf stellen möchte, keine Umkehrhaltung vor, sondern ganz einfach Folgendes:

Stelle dir einmal in aller Ruhe und Ausführlichkeit vor, wie es wäre, wenn du alles ganz anders machen würdest, als du es gewöhnlich tust – Yoga Sūtra, 2. Kapitel – Sūtra 33.

Dass dafür der Kopfstand von Vorteil wäre, lesen wir bei Patañjali nicht. Wahrscheinlich hatte er für die Praxis seines Vorschlags an wesentlich einfachere Körperhaltungen gedacht, wie das aufrechte Sitzen – oder vielleicht sogar einen Spaziergang in einem stillen Park.

In mancher Sekundärliteratur, gerne als König der Āsana bezeichnet, wird der Kopfstand weder in der Haṭha Yoga Pradīpikā (einem der bekanntesten traditionellen Texte über die Praxis des Yoga) noch in anderen wichtigen Yogatexten hervorgehoben. Als solcher śirṣāsana findet er in der Haṭha Yoga Pradīpikā überhaupt keine Erwähnung.

Es ist jedoch zu vermuten, dass sicher auch der Kopfstand eingeschlossen ist, wenn die Umkehrpositionen (viparīta karaṇī) dort erläutert werden. Diese wiederum stehen in der Haṭha Yoga Pradīpikā in einem ganz besonderen Kontext, nämlich dem der sogenannten Mudrā.
Diese Mudrā sind tatsächlich Praxisanweisungen von besonderer Bedeutung. Die genauere Betrachtung des Zusammenhangs, in dem sie beschrieben und erklärt werden, hilft viele jener Wirkungsbeschreibungen zu verstehen, die traditionellerweise mit allen Umkehrhaltungen verbunden werden. Ihnen wird unter anderem auch eine „reinigende Wirkung“ zugeschrieben. ▼

Weitere artikel aus der Themensammlung: Yogapraxis

Viveka Āsana-Finder

Du suchst gezielt nach einem bestimmten Āsana; möchtest mehr erfahren und wissen, ob es dazu einen Artikel auf Viveka gibt?

Klicke im Finder einfach auf die entsprechende Grafik oder wähle im ĀSANA-FILTER ein Thema, um eine Auswahl angezeigt zu bekommen.
Success!
This is a success message.
Error
This is an error message.